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Geschichte, 7./8. Schuljahr, 9./10. Schuljahr, 5./6. Schuljahr, Gymnasium

Zeiten und Menschen 1–4

Zeiten und Menschen 1–4
Herausgegeben von Lendzian, Hans-Jürgen und Wolfgang Mattes
Erschienen Paderborn: Schöningh, 1999
ISBN 3-506-34500-1, 3-506-34501-x, 3-506-34503-6,3-506-34502-8
Geeignet für Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz
Rezensiert von Büsching, Svenja (Wissenschaftlerin), 1. January 2005
Reihe eckert.rezensionen

Rezension von Büsching, Svenja (Wissenschaftlerin)


Die Reihe Zeiten und Menschen des Schöningh-Verlages ist - in der hier untersuchten Ausgabe - für den Geschichtsunterricht in der Sekundarstufe I an Gymnasien in NRW entwickelt worden. Neben der Stammausgabe von Zeiten und Menschen, die auf den Lehrplan Gymnasium Sek I in NRW zugeschnitten ist, gibt es Ausgaben für Rheinland-Pfalz sowie Baden-Württemberg, die dann jeweils lehrplanspezifische Änderungen dieser Bundesländer berücksichtigen. Durch die Ausrichtung auf den Lehrplan eines Bundeslandes können dessen Vorgaben sehr genau umgesetzt werden, so dass die Bände der Reihe nicht nur in der Chronologie, sondern auch in den Problemorientierungen den Vorgaben des Lehrplans Geschichte folgen. Der erste Band ist für den Anfangsunterricht Geschichte in der Klasse 6 konzipiert, der zweite Band für die siebte Klasse, der dritte für die neunte und der letzte Band für die Abschlussklasse der Sekundarstufe I. Neben den vier Bänden des Unterrichtswerkes gibt es passend zu den ersten beiden Arbeitshefte für die Schülerinnen und Schüler, "Schüleraufgaben mit Pfiff"; Lehrerbände gibt es zu keinem Band.
 
Die Bände der Reihe sind konsequent als Arbeitsbücher für Schülerinnen und Schüler konzipiert; folgerichtig enthalten sie ein für Schüler zu nutzendes Glossar ("Begriffe zum Nachschlagen"), dessen Begriffsauswahl an einigen Stellen etwas willkürlich anmutet, sowie ein Register mit dem Großteil der im Buch benannten Persönlichkeiten sowie wichtigen Grundbegriffen. Nur der erste Band enthält eine an die Adressaten der Bücher gerichtete Einführung in die Arbeit mit dem Unterrichtswerk. Die anderen drei Bände steigen nach dem Inhaltsverzeichnis sofort in das erste Unterrichtsthema ein.

Die Schülerorientierung wird zudem in den beiden methodischen Schwerpunkten der Reihe deutlich: Zum einen enthält jeder Band so genannte Forschungsstationen, zum anderen "Methodenboxen", in denen die Schülerinnen und Schüler in historische Methoden oder allgemeine Lernmethoden eingeführt werden. Einige der Methoden wiederholen sich, werden aber durch die Wiederholung vertieft und intensiviert (z.B. die Arbeit mit Quellentexten); insgesamt sind die Methodenboxen sehr strukturiert und curricular aufgebaut, sodass sie - sofern in den vier Schuljahren 6, 7, 9 und 10 mit Zeiten und Menschen gearbeitet wird - eine sinnvolle methodische Basis für das Geschichtslernen schaffen können. Bei einigen Methodenboxen - in erster Linie bei den allgemeinen Lern- und Arbeitsmethoden - ist die Verteilung auf die Bände nicht ganz nachvollziehbar; so würde man sich als Lehrkraft die Einführung in die Methode des Mind-Mapping und die Arbeit in Gruppen schon im ersten, nicht erst im zweiten Band wünschen.
Die Forschungsstationen geben den Schülerinnen und Schülern die Gelegenheit, bestimmte Phänomene einer zu besprechenden Epoche selbstständig zu erarbeiten. Hierzu werden den Schülern als Hilfestellung bestimmte Forschungsfragen vorgegeben, die jeweilige Doppelseite (in wenigen Fällen auch zwei Doppelseiten) bieten eine Materialauswahl aus Bild- und Textquellen sowie Darstellungstexten, anhand derer die Schülerinnen und Schüler die Fragestellungen erarbeiten können. Manche Forschungsstationen enthalten mehrere "Stationen", z.B. "Unterdrückung und Verführung im Alltag" (Band 4, S. 116 f.) oder "Die USA auf dem Prüfstand" (Band 3, S.60). Alle Forschungsstationen können für die Gruppenarbeit oder zum Stationenlernen genutzt werden, wie es z.B. der vierte Band beim Thema "Die Goldenen Zwanziger" auch explizit anbietet. Durch die Forschungsfragen und den überschaubaren Umfang der Forschungsstationen bieten sie eine gute Grundlage für Kurzvorträge und Referate durch Schüler(-gruppen).

Die Bände folgen konsequent einem Doppelseiten-Aufbau: Neben einer Auftaktseite enthalten die Kapitel umfangreiche, sehr bunt und abwechslungsreich gestaltete Darstellungsteile, wobei die Darstellungstexte selbst zum Teil sehr kurz ausfallen, die Seiten enthalten weiterhin viel Bildmaterial, von dem ein Teil der Visualisierung, ein anderer der Erarbeitung dient, sowie zum Teil sehr stark gekürzte Quellentexte. Quellentexte, Passagen aus Werken der Sekundärliteratur und Darstellungstexte stehen direkt nebeneinander, sodass sie im Ganzen eine zusammenhängende Darstellung eines historischen Sachverhalts liefern. Jede Doppelseite enthält zudem mindestens einen Arbeitsauftrag, es sei denn, es handelt sich um die so genannten "Info"-Seiten, , auf denen in einem längeren Darstellungstext ein historischer Sachverhalt objektiv und unter Berücksichtigung verschiedener möglicher Perspektiven vorgestellt wird. Die Aufgabenstellungen zeugen zum Teil von großer Kreativität der Verfasser; zwar finden sich auch zahlreiche "typische" Aufgabenstellungen zum Erläutern von Begriffen, Zusammenfassen von Texten, Wiedergeben der Hauptaussagen, das Gros der Aufgabenstellungen sind aber Produktions- und Imaginationsaufgaben; vom ersten bis zum vierten Band gleicht sich der Anteil an gängigen Textaufgaben (bezogen auf Darstellungs- und Quellentexte) dem der Produktionsaufgaben an. Der Anteil der Imaginationsaufgaben wird deutlich weniger. Orientiert an den jeweiligen Altersstufen der Adressaten scheint diese Akzentverschiebung auch sinnvoll. Viel Wert wird auf Produktionsaufgaben gelegt, in denen die Schülerinnen und Schüler Position zu einem historischen Sachverhalt beziehen und sich argumentativ mit anderen über diesen Sachverhalt auseinandersetzen sollen. "Spielerische" Elemente in Form von Simulationen, Rollenspielen, Debatten, Entscheidungsspiele, Reden halten etc. sorgen bei diesen Aufgabenstellungen für den motivationalen Anreiz.
Wie (fast) alle Schulgeschichtsbücher folgt auch Zeiten und Menschen der Chronologie, die im ersten Band - der für den Anfangsunterricht Geschichte in der Klasse 6 konzipiert ist - mit der Vorgeschichte, Alt- und Jungsteinzeit beginnt, im zweiten Band mit dem Mittelalter weitermacht, im dritten Band das "lange 19. Jahrhundert" thematisiert und schließlich im vierten Band den Nationalsozialismus, die Nachkriegszeit bis zur Zeitgeschichte abhandelt. Durchbrochen wird die Chronologie durch drei thematische, im Lehrplan NRW obligatorische, Längsschnitte: Im zweiten Band ist dies "Arbeit und Arbeitsalltag", im dritten Band "Europa" und im vierten "Friedenserziehung".
Die anderen Grundformen historischer Untersuchung - synchrone Untersuchungen, gegenwartsgenetische Untersuchungen, Beleuchtung des historischen Falls sowie perspektivisch-ideologiekritische Verfahren - sind alle in der Reihe vertreten, wenngleich letztgenannte Untersuchungsform nur ansatzweise in den Bänden 3 und 4 realisiert wird (was allerdings nicht immer gleich gut gelingt, vgl. Einzelrezension Band 3).
Durch die hohe Anpassung an die Vorgaben für den Geschichtsunterricht der gymnasialen Sekundarstufe I werden die Einzelkapitel mit der im Lehrplan vorgesehenen Problemorientierung eingeleitet; die Aufbereitung der Inhalte folgt also den mit der Problemorientierung verbundenen Lernzielen. Die Verfasser bemühen sich - mit Erfolg - um eine starke Gegenwartsorientierung, die auch die Lebens- und Erfahrungswelt der Schülerinnen und Schüler mit einschließt. Die gleichermaßen hohe Schüler-, Gegenwarts- und Problemorientierung führt allerdings dazu, dass die Bücher inhaltlich - gemessen an der Unterrichtszeit, die zur Verfügung steht - überfrachtet sind. Die hohen Seitenzahlen der Bände deuten das Problem schon an: So umfasst z.B. das Thema Industrialisierung im dritten Band 27 Doppelseiten. Auf diesen Doppelseiten finden sich drei Forschungsstationen, ein Projekt "Die Kriminalpolizei ermittelt: Ein Fall von Industriespionage", fünf Methodenboxen, zwei Rollenspiele, ein weiteres Projekt "Die Fernsehserie 'Die Sorgenstraße'" zur Wiederholung der Folgen der Industrialisierung für die Arbeiter sowie umfangreiche Darstellungstexte, die ganz unterschiedliche Aspekte der Industrialisierung beleuchten. Zwar bietet sich der Lehrkraft somit ein großer Fundus an Materialien, aus denen sie die für sich passenden für den Unterricht auswählen kann, aber es entsteht so das Problem, sinnvoll auszuwählen: Lehrplangemäße Notwendigkeiten konkurrieren mit gestalterisch ansprechenden Elementen, mit denen die Schülerinnen und Schüler für den Geschichtsunterricht motiviert werden können. Die umfangreichen Aufgabenstellungen tragen zusätzlich dazu bei, die Problematik der Auswahl zuzuspitzen.
Die Reihe folgt methodisch einem Ansatz, Geschichte als "Denkfach" und historische Inhalte als diskussionswürdig und auch als emotional erfahrbar den Schülern zu präsentieren. Darunter leidet in der Konzeption ein wenig die Darstellung von Daten und Fakten zu Epochen, Ereignissen und Personen. Einige Darstellungstexte würde man sich als Lehrer wohl ausführlicher wünschen, damit die Schüler die Möglichkeit haben, mithilfe des Schulbuches auch eine Basis an Daten- und Faktenwissen zu erhalten. Ausnahmen wie z.B. "Die Revolution im Überblick" im dritten Band, die in Stichworten und mit Datumsangaben auf einem Zeitstrahl den Verlauf der Französischen Revolution widerspiegelt, sind rar und gehören nicht zur konzeptionellen Gestaltung der Bände.
Eine besondere thematische Pointierung erhält die Alltagsgeschichte und damit verbunden die Geschichte der "kleinen Leute"/von "Otto Normalverbraucher". Diese Pointierung erklärt sich aus der besonderen Betonung der "Erweiterung der Dimensionen der historischen Erfahrung" um die alltagsgeschichtliche Dimension, wie sie der Lehrplan vornimmt. Der Lernbereich der Alltagsgeschichte ist für Schülerinnen und Schüler deswegen sehr interessant, weil sie ihre Lebens- und Erfahrungswelt für die Auseinandersetzung mit Geschichte nutzen können. Die Motivation der Schülerinnen und Schüler, sich mit dem Alltagsleben der Menschen früherer Zeiten zu beschäftigen, ist groß, es droht aber die Gefahr der unreflektierten Übertragung eigener Erfahrungen und Werte auf das Leben in früheren Zeiten. "Passend" zum hohen Anteil der Alltagsgeschichte wird vielfach die Methode der Personifizierung verwendet. Sehr gut gelungen ist dies z.B. im ersten Band. Hier werden Schülerinnen und Schülern die Vor- und Frühgeschichte der Menschen u.a. durch "Lucy" und den "Jungen vom Turkana-See" nahegebracht. Ein Interview mit dem "Jungen vom Turkana-See" soll gelernte Sachinformation in lebendige Vorstellung von den Lebensbedingungen der Vor- und Frühmenschen umsetzen helfen. Eine zu starke Personifizierung kann aber, wie bei aller Betonung des hohen Lernwertes durch diesen Zugriff dennoch zu betonen ist, auf Dauer dazu führen, dass die Schülerinnen und Schüler keine Distanz zu den historischen Sachverhalten entwickeln.
Die Bände legen neben der Betonung der Alltagsgeschichte großen Wert auf die Darstellung des Frauenlebens in der Geschichte. Dies geschieht in einer großen Spannbreite über "Frauen auf dem Thron" im alten Ägypten (Band 1, S. 94) bis zum Frauenleben während des ersten Weltkrieges (Band 3, S. 278 f.). So lobenswert es auch ist, der Frauengeschichte ein besonderes Augenmerk zu widmen, so wirken einige der Kapitel zum Frauenleben recht aufgesetzt und wie "verordnet".

Insgesamt hat Schöningh mit der Neuauflage von Zeiten und Menschen ein sehr gelungenes Arbeitsbuch für Schülerinnen und Schüler für den Geschichtsunterricht vorgelegt, das einer konsequenten Schülerorientierung folgt und nichts mehr mit der vorherigen Lehrbuch-Ausgabe der Reihe gemeinsam hat. Die für Schülerinnen und Schüler motivierenden kreativ und abwechslungsreich gestaltenden Einzelkapitel der vier Bände leiden zum Teil unter der Kürze der Texte - sowohl der Darstellungs- als auch der Quellentexte -, doch die Möglichkeiten zur selbstständigen Erarbeitung von historischen Sachverhalten können diese Schwächen ausgleichen. Allerdings führt die Lebhaftigkeit der Gestaltung der Bände auch dazu, dass die verschiedenen Kapitel inhaltlich überfrachtet sind: Den sowieso schon vollen Lehrplan Geschichte in NRW zu erfüllen ist eine Sache - ein Buch zu schaffen, das noch weitere Facetten der Sachverhalte mit einbringt, eine andere. Die unterrichtende Lehrkraft wird so oft vor die "Qual der Wahl" gestellt, was aus den einzelnen Kapitel ausgeklammert werden kann, da auf der einen Seite die Inhalte, die eine besonders hohe motivationale Wirkung auf die Schüler haben, stehen, die aber oft genug nicht mit den durch die Lehrpläne vorgeschriebenen Inhalten auf der anderen Seite übereinstimmen. So zwingt die Lehrkraft das Wissen, z.B. in der neunten Klasse in der Chronologie bis zum Ende des Ersten Weltkrieges kommen zu müssen, dazu, viele interessante Aspekte im dritten Band auszuklammern - wie z.B. das Leben "der Töchter reicher und armer Familien".

 Anhand zweier Beispiele sollen gelungene und eher problematische Aspekte der Reihe aufgezeigt werden:

Band 1: Gelungene Einführung in den Geschichtsunterricht zwischen hoher Motivation und Wissensvermittlung
Schon die Einführung in den ersten Band der Reihe ist in der Ansprache wie im gesamten Sprachstil konsequent an den Adressaten orientiert. Der Aufbau der Bände wird den Schülerinnen und Schülern durch unterstützende Zeichnungen anschaulich und mit einfachen Worten erklärt und sie werden auf diesem Niveau in die historische Fragestellungen einführt, "Was können wir aus der Vergangenheit lernen?" und "Wie sollen wir unsere Zukunft gestalten?" (S.7). Ebenso gelungen und besonders erwähnenswert ist die Einführung in das neue Unterrichtsfach Geschichte. Im Gegensatz zu vielen anderen Unterrichtswerken legt Zeiten und Menschen großen Wert auf eine umfangreiche Einführung, die nicht sofort in die Vor- und Frühgeschichte übergeht. Auf zehn Doppelseiten erhalten die Schülerinnen und Schüler einen Einblick in historische Arbeitsmethoden und Fachbegriffe, in die Bedeutung von Geschichte für ihre Gegenwart, und sie werden zu eigenen Projekten (Stammbaum, Familiengeschichte) aufgefordert.
Die Einführung in die Vor- und Frühgeschichte der Menschheit ist ebenso schülerorientiert und motivierend gestaltet. Der erste Kontakt mit historischen Sachverhalten erfolgt über die Personifizierung des Australopithecus "Lucy" und des Skeletts eines Frühmenschen, dem "Jungen vom Turkanasee". Diese gängige Bezeichnungen ermöglichen zugleich eine Personifizierung der für Schüler zunächst abstrakten archäologischen Funde. Typisch für die Aufgabenstellungen in der Reihe ist die auch hier anzutreffende Dreigliederung: Reproduktion des Gehörten, Anwendung und Fällen eines Urteils, Kreativität und Imagination. So lautet die letzte Aufgabe in diesem Fall: "[...] Welche Fragen würdest du dem Jungen vom Turkana-See stellen?" (S.33).Der Übergang von der Stein- zur Metallzeit - ein paar Seiten später - wird anhand des Kriminalfalls: "Ein Toter im Eis" (S. 56 f.) eingeführt. Die Gegenwartsorientierung zum Abschluss des Kapitels erfolgt über die Forschungsstationen "Naturvölker heute" (S. 60 ff.). Einerseits bleibt zwar die Problematik einer Parallelisierung prähistorischer und rezenter Kulturen ausgeblendet, andererseits weist der Text darauf hin, dass Überlegenheitsgefühle gegenüber Menschen auf anderem technologischen Niveau unangebracht sind, und betont das andere Verhältnis gegenüber der Natur, den "Einklang mit der Natur", in dem diese leben - eine nicht unwichtige Erkenntnis für 10- bis 11-jährige.Das große Problem dieser sehr anschaulichen, interessanten, mehrperspektivischen und schülerorientierten Aufbereitung der Inhalte liegt im Umfang: Dieses erste Thema im Geschichtsunterricht (Einführung und Vorgeschichte) umfasst im Buch insgesamt 60 Seiten. Geht man den für Schülerinnen und Schülern sehr motivierenden Aufgabenstellungen nach, kostet die Arbeit an nur einem Kapitel sehr viel Zeit. Als Lehrkraft muss man also in der Lage sein, hier eine Auswahl zu treffen. Auf der anderen Seite bietet sich durch die Vielzahl der Unterthemen und methodischen Arbeitsweisen die Möglichkeit, auf der Grundlage des Schulbuches und im Rahmen des Lehrplans Geschichte (für das Gymnasium, Sekundarstufe I NRW) ein eigenes, schulspezifisches Curriculum zu erstellen.
 

Band 3: Der dritte Band zwischen Überfrachtung und politischem "Weisungscharme"
Hinsichtlich der Quantität und Qualität der Inhalte ist der dritte Band weniger gut gelungen; zum einen ist er merklich mit Inhalten überfrachtet, was sich hier besonders zeigt, weil viele zum Lehrplan zusätzliche Aspekte und Sachverhalte mit aufgenommen wurden, wodurch bei vielen Kapiteln der "rote Faden" und damit die Struktur der Kapitel verloren geht. Fraglos steht auch hier die Schülerorientierung an erster Stelle und der Band versucht sehr erfolgreich, den Schülerinnen und Schülern sowohl auf affektiver als auch auf kognitiver Ebene einen Zugang zur Geschichte zu ermöglichen. Aber die Einzelkapitel sind inhaltlich überfrachtet worden. Vom thematischen Längsschnitt "Europa" zum Einstieg in den dritten Band abgesehen, umfassen die Einzelkapitel zum Teil mehr als 70 Seiten. Die Einstiegsseiten in das erste chronologische Thema "Absolutismus", auf denen in rascher Abfolge der Absolutismus vorgestellt, ein Herrscherbild interpretiert und Karikaturen gedeutet werden, der Merkantilismus eingeführt und die Aufklärung mit eingebunden wird (S. 36-51), machen deutlich, dass die Lehrkraft, die mit dem Buch ihren Unterricht gestaltet, an vielen Stellen über die Informationen des Buches hinausgehen muss, um den Schülerinnen und Schülern Hintergrundinformationen zu vermitteln, sie (wieder) in die Geschichte einzuführen und grundsätzliche methodische Fragen zu klären. Der für Schüler wichtige "rote Faden" fehlt bzw. wird zu Gunsten einer Vielzahl - einer Überzahl - an schüleraktivierenden Arbeitsaufträgen, Bildmaterial und Methodenseiten vernachlässigt.
Sehr positiv ist, dass mit dem dritten Band die Anzahl der so genannten "Info"-Texte zunimmt, also der umfangreichen Darstellungstext zu historisch strittigen Fragen oder Problemstellungen. Die Erarbeitung solcher Texte kostet allerdings Zeit, die dann fehlt, wenn neben der für Schülerinnen und Schüler wenig motivierenden, aber dringend notwendigen Textarbeit methodische Zugriffe wie Rollenspiele, Karikaturen entschlüsseln oder Bilder deuten angeboten wird. Natürlich soll es hier nicht darum gehen, über das Schulgeschichtsbuch auf die Mängel und Schwächen des Lehrplans Geschichte aufmerksam zu machen - was er zweifellos verdient hätte; die Kritik am Umfang dieses Bandes soll lediglich auf die Problematik hinweisen, die sich unterrichtenden Lehrkräften bei der Arbeit mit dem Buch stellen kann. Zudem zeigt sich das Problem, dass sich das Buch selbst Konkurrenz macht: Die vom Lehrplan vorgegebenen Inhalte stehen in Konkurrenz zu den - oftmals weit interessanteren - zusätzlichen Themen oder methodischen Zugriffen.
Die Kürzung von Quellentexten gehört zu den zwar kleinen, aber doch ins Auge fallenden Schwächen des Buches. Einige der Quellentexte - wie z.B. das Urteil von Francois de Jaubert über Napoleon (S. 101) - ist an einigen Stellen so stark gekürzt, dass zum einen der Zusammenhang der Quelle nur noch schwer nachzuvollziehen ist und der Quellentext nur durch die Darstellung zu erschließen ist und dass zum anderen die Aussage des Textes verschoben wird. Wenngleich diese Problematik nicht eklatant ist und nur an einigen Stellen auftritt, erweckt sie doch den Schein der Oberflächlichkeit, die der Reihe eigentlich nicht entspricht, durch das Ziel der Vielfältigkeit und breit gefächerten Darstellung aber ausgelöst wird.
Bedenklich allerdings ist die an manchen Stellen vorgenommene bewusste Lenkung des Urteils der Lernenden durch suggestive Bild- und Textauswahl und/oder Fragestellungen. So wird die Fragestellung "Nationalismus - gefährlich oder ungefährlich?" an die Schülerinnen und Schüler gerichtet, die Auswahl der Quellentexte und die dazugehörigen Fragen implizieren aber eine Verurteilung des Nationalismus als gefährliche Strömung (S. 180 f.). Sachlich inkorrekt ist die Verwendung des Bildes "Fest auf der Wartburg", das als Visualisierung zum Thema "Der Liberalismus" dient; das Wartburgfest der national gesinnten und zum Teil recht radikalen Veranstalter als Beispiel für den erwachenden Liberalismus zu wählen, scheint recht unglücklich, besonders weil in anderen Fällen (z.B. im zweiten Band, Columbus "entdeckt" Amerika, S. 192-197) sehr viel kritischer - und sehr gelungen - das Augenmerk der Schülerinnen und Schüler auf Bilder und ihre Aussagen gelenkt wird.
Die Aufgabe des Geschichtsunterrichts, den Schülerinnen und Schülern "Angebote zu einer positiven Identifikation mit der pluralistischen Gesellschaft [...]" zu machen, wird in Fällen wie diesen auf Kosten des perspektivisch-ideologiekritischen Verfahrens verwirklicht und lenkt m.E. stark in eine "politisch gewünschte" Richtung, die so nicht notwendig und wünschenswert sein kann. Denn die Schülerinnen und Schüler erhalten hier z.B. nur eingeschränkt die Gelegenheit den Nationalismus als eine im 19. Jahrhundert positive politische Strömung neben anderen, wie dem Liberalismus, kennen zu lernen.

Wie hier am dritten Band exemplarisch gezeigt, hätten die Vielfältigkeit der Darstellung sowie das breite Angebot an historischen Sachverhalten an einigen Stellen zugunsten einer stärkeren Orientierung an einem "roten Faden" und der Möglichkeit, intensiv und tiefergehend an einem Problem arbeiten zu können, etwas eingeschränkt werden sollen. Schließlich hätten einige suggestiv oder direkt gelenkte Sach- und Werturteile über historische Sachverhalte stärker den Schülerinnen und Schülern überlassen werden sollen. Wenn eine Reihe so schülerorientiert und motivierend, so vielfältig und anschaulich, durch die Geschichte führt, sollte sie es nicht nötig haben, die Lernenden in ihren Urteilen zu lenken, besonders, wenn die Schülerorientierung darauf beruht, die Schülerinnen und Schüler selbstständig arbeiten (und urteilen!) zu lassen.


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Info Zitation Büsching, Svenja. Rezension zu: Zeiten und Menschen 1–4 von Lendzian, Hans-Jürgen und Wolfgang Mattes (Hg.). Paderborn: Schöningh 1999, ISBN 3-506-34500-1, 3-506-34501-x, 3-506-34503-6,3-506-34502-8, Edumeres 2005, https://edu-reviews.edumeres.net/en/reviews/reviews/buesching-svenja-1/, zuletzt geprüft am 26.03.2024.