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Geschichte, Oberstufe, Gymnasium

Kursbuch Geschichte

Kursbuch Geschichte
Herausgegeben von Berg, Rudolf et al.
Erschienen Berlin: Cornelsen, 2000
Seitenanzahl 656
ISBN 978-3-464-64303-7
Geeignet für Hessen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein
Rezensiert von Pleitner, Berit (Lehrerin), 1. April 2008

Rezension von Pleitner, Berit (Lehrerin)


Einstieg
Das Kursbuch Geschichte ist für die gymnasiale Oberstufe konzipiert. Bei dem hier vorgestellten Werk handelt es sich um die allgemeine Ausgabe, die keinen expliziten Bezug zu bestimmten Rahmenrichtlinien aufweist und damit prinzipiell bundesweit einsetzbar ist. Der Verlag hat jedoch auch Ausgaben für Baden-Württemberg, Berlin/ Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Thüringen publiziert. Auf seiner Website (www.cornelsen-teachweb.de) bietet Cornelsen zusätzliche Unterrichtsmaterialien an; für die allgemeine Ausgabe sind das 12 Arbeitsblätter und 3 Leistungsmessungen. Diese können von registrierten Nutzern heruntergeladen und im Unterricht eingesetzt werden.

Konzept
Im – recht kurz gehaltenen - einführenden Text heißt es, das Kursbuch Geschichte verstehe sich als ein modernes Lern- und Arbeitsbuch. Tatsächlich wird der Autorentext durch zahlreiche Materialien ergänzt und – durch Verweise im Text – eng mit diesen verzahnt. Das Buch ist übersichtlich aufgebaut. Jedes größere Kapitel beginnt mit zwei Auftaktseiten: auf der ersten eine Abbildung, auf der zweiten ein Überblick über das folgende Kapitel. Dieses ist in Unterkapitel gegliedert, deren Abschnitte (thematische Einheiten) wiederum durch eingerahmte Schlagwörter eingeleitet werden. Wichtige Begriffe werden außerdem im laufenden Text fett hervorgehoben. Jedem Unterkapitel folgt ein Materialienteil; Abbildungen sind zum Teil bereits in den Autorentext integriert. Alle Materialien werden durch Arbeitsaufträge ergänzt. Am Ende eines jeden Kapitels befinden sich gelb gestaltete Seiten mit übergeordneten Arbeitsaufträgen („Zusammenhänge und Perspektiven“) und einer Zeittafel. In unregelmäßigen Abständen wird ein ebenfalls gelb markierter Methodenteil eingebracht, der - insgesamt zehnmal - in den Umgang mit verschiedenen historischen Quellen und Darstellungen einführt. Der gesamte Band wird durch Literatur- und Internethinweise sowie ein vierzehnseitiges, äußerst umfassendes und gut formuliertes Lexikon abgeschlossen.

Inhalt
Inhaltlich bietet das Werk nach eigenen Angaben „alle klassischen Themen von der Antike bis zur Gegenwart“. Diese sind in folgende Kapitel unterteilt:

- Die antike Welt: Fremdheit und Nähe; - Das europäische Mittelalter: Einheit und Vielfalt; - Die frühe Neuzeit: Wege in die Moderne; - Die Französische Revolution: Politische und gesellschaftliche Umbrüche; - Die Industrielle Revolution: Aufbruch in die moderne Gesellschaft; - Die USA: Demokratie und Nation; - Russland im 19. und 20. Jahrhundert: Nation und Gesellschaft; - Nationalismus und Liberalismus: Deutschland im "langen" 19. Jahrhundert; - Die Weimarer Republik: Die erste deutsche Demokratie; - Die nationalsozialistische Diktatur in Europa; - Deutschland nach 1945: Politik und Gesellschaft; - Europa und die Welt: Wege und Strukturen im 20. Jahrhundert

Fachdidaktische Aspekte
Der Autorentext endet zeitlich mit der deutschen Wiedervereinigung 1990 bzw. globalen Problemen Mitte der Neunziger Jahre. Die Zeittafeln sind bis 2002 geführt. Insgesamt liegt der Schwerpunkt eindeutig auf der Neueren und Neuesten Geschichte. Die Epochen Antike, Mittelalter und Frühe Neuzeit werden auf den ersten 100 Seiten abgehandelt, wohingegen dem 19. und 20. Jahrhundert der fünffache Umfang zugestanden wird. Räumlich gesehen handelt es sich vornehmlich um europäische (inklusive nordamerikanischer) Geschichte. Lediglich das letzte Kapitel mit dem Titel „Europa und die Welt: Wege und Strukturen im 20. Jahrhundert“ lässt auf einen globaleren Zugriff hoffen. Doch auch dieses nähert sich den Fragestellungen vorwiegend aus einer europäischen bzw. europäisch-nordatlantischen Perspektive. Das Buch folgt damit den Lehrplänen für die gymnasiale Oberstufe, die sich ebenfalls zum großen Teil auf die Neuere und Neueste Geschichte aus europäischer Sicht konzentrieren. Der Preis für diese recht umfassende Nutzbarkeit des Buches liegt in dem Verzicht auf einen Blick über den Tellerrand. Es sind wirklich nur die „klassischen“ Themen, die Eingang gefunden haben. Absolutismus am Beispiel Frankreichs, Parlamentarismus am Beispiel Englands und Aufgeklärter Absolutismus am Beispiel Preußens – inhaltlich werden kaum neue Wege beschritten.
In Bundesländern wie z.B. Hessen oder dem Saarland lässt sich dieses Buch gut einsetzen, denn hier sind die Rahmenrichtlinien in eben solch „klassischer“ und chronologischer Weise konzipiert worden. In einigen anderen Ländern hingegen, wie z.B. in Niedersachsen, wird ein stärker problemorientierter bzw. struktureller Zugriff auf das Fach gefordert. Mögliche Themen wie „Vergleichbarkeit und Unvergleichbarkeit zweier deutscher Vergangenheiten: Menschen im NS- und im SED-Herrschaftssystem“ oder „Einheit, Gleichheit, Freiheit – 1848, 1918, 1989: Revolutionen in Deutschland?“ lassen sich bei guter Kenntnis des Schulbuches mit diesem noch unterrichten. Andere Themen wie „Das Deutschlandbild und sein Wandel bei den Völkern Europas und der Welt“ sind schlechterdings nicht mehr mit diesem Buch zu bewältigen. Es muss allerdings gesagt werden, dass diese Herangehensweise bislang eher eine Ausnahme ist und die meisten Lehrpläne dem chronologischen Gang durch die Geschichte verhaftet bleiben. Die Konzeption des Kursbuches Geschichte ist daher sowohl inhaltlich als auch ökonomisch sicherlich die sinnvollste.

Fachwissenschaftliche Aspekte
Das Buch präsentiert vielseitige Dimensionen historischer Forschung. Neben der Politik-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte weist das Buch auch Alltags- und Kultur und (in etwas geringerem Ausmaße) Umweltgeschichte auf. Besonders auffällig ist die Betonung der Frauen- und Geschlechtergeschichte, die sich durch alle Kapitel zieht. Diese Dimension erhält immer eine eigene thematische Einheit, teilweise sogar ein ganzes Unterkapitel: "Frauenrechte - Männerechte in der Antike", "Frauen in der Französischen Revolution" oder "Die Anfänge der deutschen Frauenbewegung" sind nur einige Beispiele für die Bedeutung, die dieser Dimension der Geschichtsschreibung zugesprochen wird. Folglich lässt sich hier auch gut diachron arbeiten. Leider wird anderen sozialen Gruppen sehr viel weniger Aufmerksamkeit zuteil. Die Herausbildung einer Arbeiterklasse und die Entwicklung der Arbeiterbewegung z.B. werden deutlich kürzer abgehandelt - für Deutschland auf drei Seiten 8S. 160-162). Soziale Spannungen in England werden gar nicht deutlich gemacht, vielmehr wird die Industrielle Revolution präsentiert als "das Ergebnis mehrerer begünstigender Umstände und Vorgänge, die unabhängig voneinander das Wirtschaftswachstum beschleunigt haben" (S. 139). Auch der Parlamentarismus in England wird gedeutet als "Anpassungsfähigkeit an die Bedingungen der industriellen Moderne" (S. 98). Das ist ja auch nicht falsch, doch verstellt dieser Zugriff auf Strukturen und Wesensmerkmale manchmal die Sicht auf die Akteure. Drei Seiten Autorentext zu "Renaissance, Humanismus, Kolonialismus" lassen keinen Platz für multiperspektivische Darstellung und Hervorhebung so genannter "stummer Gruppen". Hier bleibt die Perspektive leider wirklich eurozentristisch.
Positiv hervorzuheben ist hingegen der durchgängig vorhandene Gegenwartsbezug, der motivierende Wirkung auf die Schüler haben dürfte und zudem einen problemorientierten Geschichtsunterricht ermöglicht.

Methodik und Bildmaterial
Dem Anspruch, Lern- und Arbeitsbuch zu sein, wird voll nachgekommen. Die Methodenteile beziehen sich auf die gängigsten Medien, die im Geschichtsunterricht Anwendung finden: schriftliche Quellen (gesondert: Sekundärliteratur), Malerei, Fotografie, Karikaturen, Filme, Diagramme und Lieder. Ergänzt wird dies durch eine Probeklausur für das Abitur. Obwohl der Umgang mit diesen Medien bis zur Oberstufe bereits erlernt worden sein soll, dürfte es für viele Schüler dennoch hilfreich sein, einen systematischen (wenn natürlich auch nicht vollständigen) Überblick über Darstellungsarten und Quellengattungen und den Umgang damit zu bekommen. Die hier erworbenen bzw. gefestigten Kompetenzen können bei der Bearbeitung der umfangreichen Materialien jedes Kapitels Anwendung finden. Die Qualität der Abbildungen ist hervorragend, und auch die Bildunterschriften sind im Vergleich zu vielen anderen Schulbüchern gut. Benannt werden Künstler, Jahr, Titel, Gattung und Material. Der Ort der Entstehung und der momentane Ausstellungsort werden teilweise angegeben, wobei nicht ganz ersichtlich wird, aus welchen Gründen diese Angaben uneinheitlich bleiben. Ganz fehlt leider die Angabe der Größe der Originale.

Material
Die Anzahl schriftlicher und bildlicher Materialien hält sich in etwa die Waage; hinzu kommen pro Kapitel eine Handvoll Statistiken. Die Materialien sind abwechslungsreich und umfassen u.a. Fotografien, Karikaturen, Gemälde, Zeichnungen, logische Bilder, Karten, Tabellen, Reden, Briefe, Gesetze, Erlasse, Verfassungen, Tagebuchauszüge, Zeitungsartikel, Stellungnahmen, Liedtexte und Gedichte. Leider bietet das Buch so gut wie keine Abbildungen von Sachquellen. Fotografien von historischen Orten sind vorhanden, doch nach mobilen Sachquellen sucht man fast vergeblich. Das Kapitel „Die antike Welt: Fremdheit und Nähe“ weist nur eine Abbildung einer Sachquelle auf: eine Münze aus dem Jahr 315. Die herausragende Rolle, die Sachquellen als Zeugnisse gerade für die Alte Geschichte spielen, kann so nicht ersichtlich werden. Auffallend oft werden hingegen Einschätzungen von Historikern herangezogen und miteinander verglichen. Dadurch wird der Konstruktionscharakter von Geschichte verdeutlicht, die sich als Gesamtheit vielfältiger, teilweise konkurrierender Deutungen von Zeugnissen der Vergangenheit präsentiert. Der permanente Blick auf die Geschichtswissenschaft und die dort geführten Debatten ist eine unbestreitbare Stärke des Buches. Besonders zeigt sich dies in dem fünfseitigen Unterkapitel „Der Nationalsozialismus in der historischen Debatte“, der sowohl die ost- und westdeutsche Sicht auf den Nationalsozialismus miteinander vergleicht als auch wichtige Forschungskontroversen (das Modernisierungspotential des Nationalsozialismus; der Zusammenhang von Faschismus und Bolschewismus) thematisiert. Auf diese Weise kann auch die Kompetenz der Dekonstruktion bei den Schülern gefördert werden.

Aufgaben
Die Aufgaben zu den Materialien sind (wie auch der Autorentext) gut verständlich geschrieben und regen zu eigenständiger Arbeit an. Die Fragen bauen aufeinander auf und werden durch unterschiedliche Operatoren eingeleitet. Während die direkt zugeordneten Aufgaben zumeist analytischer Natur sind (Beispiel: "Erklären Sie, was mit dem Prinzip der 'checks and balances' gemeint ist. Überprüfen Sie seine Verwirklichung anhand des Verfassungsschemas", S.108), schulen die übergeordneten Fragen am Ende jedes Kapitels die Synthesefähigkeit (Beispiel: "Fassen Sie noch einmal rückblickend die politischen und gesellschaftlichen Leitbilder der USA ('American Dream') zusammen sowie jene Ereignisse, die zu den Herausforderungen dieser Leitbilder zählten.", S. 222).

Fazit
Insgesamt ist das Kursbuch Geschichte trotz der geäußerten Kritikpunkte ein sehr gelungenes, schüler- und problemorientiertes Unterrichtswerk.

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