Ethik / Philosophie, 5./6. Schuljahr, Realschule, Gymnasium
Ethik 5/6
Herausgegeben von | Luutz, Eveline |
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Erschienen | Leipzig: Militzke, 2012 |
Seitenanzahl | 192 |
ISBN | 978-3-861-89575-6 |
Geeignet für | Thüringen |
Rezensiert von | Becker, Ann-Christin, Carolyn Dusza und Theresa Schnücker (Studierende), 6. May 2014 |
Projekt | Justus-Liebig-Universität Gießen, Wintersemester 2013/14 |
Rezension von Becker, Ann-Christin, Carolyn Dusza und Theresa Schnücker (Studierende)
"In der Jahrgangsstufe 5/6 wird ausgehend von den lebensweltlichen Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler der Grundstein für ein immer differenzierter werdendes Verstehen gelegt. Anknüpfend an die in der Grundschule erworbenen Wissens- und Kompetenzbestände wird das differenzierte Wahrnehmen und das Deuten unterschiedlicher Sicht- und Handlungsweisen mittels geeigneter Aufgabenstellungen geübt. Die im Lehrplan festgelegten inhaltliche[n] Schwerpunkte wurden dazu in altersgerechte Kontexte gerückt. Jedes Kapitel verfügt über eine Kapiteleinstiegsseite, auf der sich Bilder und Textfragmente befinden. Den Abschluss eines jeden Kapitels bildet eine Doppelseite, deren Aufbau immer gleich ist: Eine Methode, die für die Behandlung der Kapitelthematik zentral ist, wird darauf vorgestellt. In Gestalt der "Ankerbegriffe" finden die Schüler ferner zentrale Begriffe, die für das Verständnis der Thematik bedeutsam sind, und anhand derer sie den Hauptinhalt des Kapitels selbstständig wiederholen und rekonstruieren können." (http://www.militzke.de/schulbuch/details/ethik-klassen-56-2)
Einleitung
Das Schulbuch "Ethik 5/6" des Militzke Verlags wurde für den Ethikunterricht in der Sekundarstufe I an thüringischen Schulen konzipiert und orientiert sich strikt entlang des thüringischen Rahmenlehrplans. Mittels des oben angeführten Zitats bewirbt der Verlag das Schulbuch auf seiner Internetseite. Anhand des Zitats soll im Folgenden überprüft werden, inwiefern es hält, was es verspricht.
Konzept des Lehrwerks
Das Cover von "Ethik 5/6" ist durch seine farbliche Gestaltung ein optischer eye-catcher für Schülerinnen und Schüler. Die bunte Farbgestaltung sowie die abgebildeten Kinder, welche augenscheinlich unterschiedlichen Ethnien angehören, erwecken den Eindruck, ein sehr vielfältiges und altersgerechtes Schulbuch in Händen zu halten. Das Lehrwerk selbst besteht aus einem Vorwort, Inhaltsverzeichnis, vier Themenkomplexen, einem hilfreichen Glossar und einem Bildverzeichnis. Das Werk unterteilt sich in vier Themenkomplexe, welche die Auseinandersetzung mit dem eigenen Ich, dem Wir, der Kultur und der Natur thematisieren. Jeder Themenkomplex wird durch eine eigene Farbe hervorgehoben, wodurch die Orientierung erleichtert wird. Diese Farben finden sich ebenfalls im Inhaltsverzeichnis wieder. Die vier Themen umfassen jeweils circa 50 Seiten und werden in je drei weitere Unterkapitel aufgeteilt.
Direkt zu Beginn, quasi nachdem das Buch aufgeschlagen wurde, wenden sich die Autoren dieses Schulbuches im Vorwort mit einer kurzen Hinführung zum Fach Ethik und dessen Schwerpunkten an die Adressaten, nämlich die Schülerinnen und Schüler. Das Vorwort soll ihnen erläutern, wie das Lehrwerk aufgebaut ist und wie es sie in ihrem Lernprozess unterstützen kann, nämlich anhand von "vielen Informationen und verschiedenen Ansichten, die sie kennenlernen und eigenständig prüfen sollen" (S4). Zwar adressiert das Vorwort, aufgrund seiner spezifischen Anrede, ausschließlich die Schülerinnen und Schüler, allerdings lässt der gewählte Ton vielmehr vermuten, dass es sich nichtsdestotrotz vielmehr an die Lehrer wendet. Darüber hinaus ist zu vermuten, dass Schülerinnen und Schüler in diesem Alter der Ausbildung ihrer personalen, sozialen und fachlichen Kompetenzen kein Interesse und somit auch wenig Aufmerksamkeit entgegenbringen.
Des Weiteren gehen die Autoren explizit auf die Einstiegsseiten ein, welche zu Beginn jedes Themenkomplexes vorzufinden sind und des Schülers Interesse wecken sollen. Auf diesen Einstiegsseiten befinden sich farbige Textblasen, wobei jede Farbe eine spezifische Kernkompetenz signalisieren soll. Die Farbe rot steht für die personale Kompetenz, gelb verweist auf die soziale Kompetenz und blau verdeutlicht die Sachkompetenz. Auf dem Hintergrund der Kapiteleinstiegsseiten finden sich ein bis mehrere Bilder, welche teilweise von den Textblasen ablenken können. Die Textblasen beinhalten neben Autorenaussagen auch Zitate und Fragen. Diese können die Schülerinnen und Schüler durchaus zum Nachdenken anregen. Beispielsweise werden auf der ersten Einstiegsseite folgende Fragen gestellt: "Wie wichtig sind mir andere Menschen? Wie wichtig bin ich für sie?" (S. 9) Allerdings sind diese Textblasen nicht zwingend selbsterklärend, was am folgenden Beispiel deutlich sichtbar wird: "Das, was wir tun sollen, kann nicht das sein, was wir ohnehin schon tun, weil wir nun mal so sind oder weil es uns im Moment nützt. Das, was wir tun sollen, sollen wir ja tun, obwohl es uns gegen den Strich geht." (S. 63) Für die Lehrperson stellt sich aufgrund dieser Seiten die Frage, inwiefern sie diese für den Themeneinstieg in der Klasse verwenden kann.
Anschließend an die Einstiegsseiten folgen die Themenseiten der jeweiligen Kapitel. Diese beinhalten pro Seite mindestens ein farbliches Bild, eine Vielzahl kürzerer Texte als auch längere Geschichten, welche sich über maximal eineinhalb Seiten erstrecken. Die ausgewählten Materialien, beispielsweise Steckbriefe oder Comics, wirken zunächst schülergerecht aufgearbeitet, da sie einen direkten Alltagsbezug zu nehmen scheinen. Auf den ersten Blick scheint das Überthema Orientierung zu bieten, allerdings verdeutlicht der zweite Blick, dass kein roter Faden vorhanden ist. Zum einen fehlt der genannte rote Faden innerhalb der vier Themenkomplexe, zum anderen ist ein solcher nicht einmal innerhalb eines einzelnen Kapitels aufzufinden. Dies wird unter anderem deutlich, beachtet man die unterschiedlichen Bezeichnungen für dieselbe Methode. Auf Seite 57 wird die Methode Platzdeckchen genannt und auf Seite 15 heißt die gleiche Methode Placemat. Ein Extrembeispiel lässt sich auf den Seiten 166/167 finden, die zum Themenkomplex "Mit der Natur auf du und du" gehören. Hier erscheint die gesamte Konzeption der Doppelseite willkürlich und somit verwirrend. Der Leser findet hier einen Merkkasten, der den Terminus "Denkmodell" erklären soll, daneben befindet sich die schematische Darstellung einer perigynen Blüte. Im unteren Teil der Seite gibt es einen Text mit dem Titel "Die Welt als Denkmodell", zu welchem eine Abbildung des dunklen Mals aus dem Film "Harry Potter" gehört, wobei die Bildbeschriftung fehlerhaft ist. Die zum Bild gehörige Aufgabenstellung können die Schülerinnen und Schüler erst auf der nächsten Seite finden, auf welcher sich ebenfalls Abbildungen des geozentrischen Weltbildes von Galileo Galilei sowie des Weltbildes der Inuit auf einer Robbenhaut befinden. Zu drei der vier Abbildungen wird weder in den Texten noch in den Aufgabenstellungen Bezug genommen. Darüber hinaus ist weder die Kapitel- noch die Themenzugehörigkeit ohne weiteres zu erkennen. Ohne jegliche Bild- und Textverweise scheint die Materialauswahl hochgradig willkürlich und unpassend, da sie in ihrer Thematik sehr weit auseinander klaffen. Der Sinn dieser Doppelseite erschließt sich den Autoren dieser Rezension bis zuletzt nicht. Ein weiterer auffälliger Kritikpunkt der Themenseiten bezieht sich auf die fehlende Heterogenität der Ethnien, welche man aufgrund des Covers vermutet hätte. Insbesondere der Ethikunterricht sollte dem Anspruch gerecht werden, diese Thematik anzusprechen.
Die Kapitelausgangsseiten bestehen einerseits aus einer Methodenseite und andererseits einer Zusammenfassung des behandelten Themenkomplexes. Die Methoden werden bereits in den vorausgehenden Kapiteln des Themenkomplexes, mit entsprechendem Verweis auf die Methodenseite, angewendet und in den nachfolgenden Themenkomplexen gefestigt. Der zweite Teil der Methodenseite zeigt Ankerbegriffe, wichtige Schlüsselbegriffe aus dem vorausgehenden Themenkomplex, mittels welcher die Schülerinnen und Schüler ihren Wissenszuwachs selbstständig überprüfen können. In einem Kasten unter der Darstellung der Ankerbegriffe sind wichtige Gedanken aus dem vorherigen Themenkomplex noch einmal zusammengefasst. Hier werden die Schülerinnen und Schüler aufgefordert, über die für sie zentralen Gedanken des Kapitels zu reflektieren und diese schriftlich festzuhalten.
Fachdidaktische Auseinandersetzung
Insgesamt orientiert sich das Schulbuch an dem Fachkonzept Ethik und berücksichtigt jeweils in eigenen Kapiteln die zentralen Dimensionen des Fachs. Nach und nach werden von den Heranwachsenden Themen innerhalb Philosophie, Religionswissenschaften und Sozialwissenschaften erarbeitet. Didaktische Leitperspektiven, zum Beispiel das Individuum und die Gesellschaft, werden in den Kapiteln berücksichtigt. In Bezug auf fachspezifische Kompetenzen setzt das Buch daran an, die Argumentations- und Urteilskompetenz sowie die Fähigkeit der Schüler und Schülerinnen zur Empathie, Perspektivenübernahme und Reflexionsfähigkeit zu fördern. Aktuelle ethische Diskussionen und gesellschaftliche Entwicklungen werden dem Lehrplan gemäß überwiegend umgesetzt, jedoch fehlen diesbezüglich wichtige Aspekte, wie Interkulturalität, fast gänzlich.
Texte und Materialien
Insgesamt ist anzumerken, dass das Schulbuch "Ethik 5/6" über eine breite Vielfalt an Texten und Materialien verfügt. Sowohl Sachtexte, Gesetzestexte, Geschichten und philosophische Texte als auch Umfragen, Filme und Internetlinks finden Eingang auf den Themenseiten. Sie reichen von einfach verständlichen Texten wie Auszügen aus Kinder- und Jugendliteratur bis zu sehr anspruchsvollen Textauszügen bekannter Philosophen wie Marcus Tullius Cicero und Aristoteles. Die Aufgabenstellungen beinhalten W-Fragen und Operatoren, die eine offene Bearbeitung der Aufgaben ermöglichen. Das Buch bietet vorrangig additiv aufeinander folgende Aufgabenstellungen, wobei aufeinander aufbauende Aufgabenstellungen wünschenswerter wären. Dabei sind die Aufgaben an sich abwechslungsreich und spannend gestaltet. Nichtsdestotrotz werden die Schülerinnen und Schüler auf kein höheres Abstraktionslevel begleitet.
Vereinzelt lassen sich in dem Buch Anregungen zum selbstständigen, problemlösenden Denken erkennen, zum Beispiel in Form einer Pro-Contra-Diskussion. Fünfte und sechste Klassen müssten jedoch zunächst an diese Methode herangeführt werden. Anzumerken ist außerdem, dass - wie in vielen anderen Lehrwerken auch - Differenzierungsangebote fehlen.
Fazit
Werden die obigen Ausführungen mit dem Zitat des Militzke-Verlags verglichen, wird deutlich, dass dieses Zitat zwar einiges verspricht, in der Umsetzung aber vieles davon auf der Strecke bleibt. Zwar ist das Bestreben nach dem Anknüpfen an die lebensweltlichen Erfahrungen und bereits vorhandenen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler deutlich erkennbar, jedoch mündet dies selten in geeignete Aufgabenstellungen, die einen Fortschritt der Schülerinnen und Schüler auf diesem Gebiet zur Folge hätten. Entgegen dem eingangs aufgezeigten Zitat fehlen Aufgaben, die differenziertes Wahrnehmen und Reflektieren explizit fördern. Die sowohl im Zitat als auch im Vorwort hochgepriesenen Kapiteleinstiegsseiten sind für Schüler und Schülerinnen als auch die Lehrperson noch lange nicht so wertvoll, wie es zunächst den Anschein hat. Die Themenseiten weisen eine Vielzahl von Kritikpunkten auf. Hervorzuheben wären fehlende Bild- und Textverweise, unpassende Bildauswahl, und überladene Seitengestaltung, sowie die einseitige Darstellung von Themenkomplexen, die sich nicht durch eine vielfältige Textauswahl, bunte Buchgestaltung und eine im Ansatz umgesetzte Kompetenzorientierung aufwiegen lassen. Anzunehmen ist, dass aufgrund der neun Autoren, die für jeweils unterschiedliche Kapitel aus den unterschiedlichen Themenkomplexen verantwortlich waren, bei diesem Lehrwerk sprichwörtlich viele Köche den Brei verdorben haben.