Geschichte, 9./10. Schuljahr, 7./8. Schuljahr, Realschule
Von ... bis 3
Herausgegeben von | Simianer, Norbert |
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Erschienen | Paderborn: Schöningh, 2006 |
Seitenanzahl | 420 |
ISBN | 978-3-14-024968-3 |
Geeignet für | Baden-Württemberg |
Rezensiert von | Däumer, Masao (Wissenschaftler), 1. October 2008 |
Rezension von Däumer, Masao (Wissenschaftler)
Was bedeutet der Titel „von…bis?“
Schon beim ersten Blick auf das Buchcover wird der Leser mit einem Bestandteil des didaktisch-methodischen Konzeptes dieses Lehrwerkes konfrontiert. Unterhalb des ungewöhnlichen Titels „Von…bis“ sind zwei Ikonographien zu erkennen: Erstens, ein Gemälde, das den Einmarsch Napoleons am Brandenburger Tor festhält. Zweitens, ein Foto der Berliner Mauer am selben historischen Ort, bloß vom 9. November 1989. In der linksoberen Ecke des letzteren Fotos ist zudem eine europäische Fahne abgebildet. Die beiden Ikonographien werden durch zwei Pfeile miteinander verbunden, was anscheinend den geschichtlichen Zusammenhang dieser beiden festgehaltenen Ereignisse suggerieren soll. Der Leser wird somit angeregt, über den Titel „Von…bis“ nachzudenken.
Das Schulbuch „Von…bis 3. Das neue Geschichtsbuch“ ist für die 10. Klasse der Realschule in Baden-Württemberg konzipiert und wurde vom Schöningh Schulbuchverlag 2005 herausgebracht. Auf dem ersten Blick fallen einem die Buntheit und Handlichkeit des Einbandes auf. Beim Durchblättern des Schulbuches sticht die abwechslungsreiche Verwendung von farbigen und großen Ikonographien hervor, die alle klar erkennbar sind. Eine Info-Leiste am unteren Rand jeder Seite hilft dem Leser den übergeordneten Themenbereich des Kapitels im Auge zu behalten. Der Leser muss jedoch erstaunt feststellen, dass die Autoren in einer an den Leser gerichteten Einführung(S.10-11) ihr Konzept nur teilweise vorstellen. Auf die sehr anregende Titelseite folgt zuerst das Inhaltsverzeichnis und danach in erster Linie eine kurze Erklärung des Buch- und Kapitelaufbaus und nicht etwa eine Anleitung des didaktisch-methodischen Konzeptes. Der Bildungsplan für Geschichte des Landes Baden-Württemberg aus dem Jahre 2004 sieht vor, dass im „Fach Geschichte (…) sowohl fachspezifische methodische (…) als auch fachübergreifen(Kompetenzen) weiterentwickelt“1 werden sollen. Um die charakteristischen Merkmale dieses Lehrwerks darzulegen, werden in dieser Rezension immer wieder stichprobenartig Beispiele aus dem Unterkapitel „1989/90: Friedliche Revolution und deutsche Einheit“(S.300-351) entnommen.
Aufbau
Jedes Kapitel beginnt mit der so genannten „Aufmacherseite“, die durch die Abbildung zahlreicher Ikonographien auf zwei gegenüberliegenden Seiten zur ersten Arbeit mit dem Kapitel anregt. Die Aufteilung der Kapitel in Doppelseiten wird fortgeführt. Diese enthalten Sachtexte, zahlreiche Textquellen, Bilder, Karten sowie Grafiken. Fragen, Arbeitsvorschläge und Anregungen ergänzen den Darstellungsteil. Unter der Rubrik „FRAGEN-FORSCHEN-BEGREIFEN-LERNEN“ enthält das Schulbuch Methodenabschnitte, durch welche die Schüler „allgemeine Fähigkeiten und Fertigkeiten“ erwerben sollen. Am Ende jedes Kapitels behandelt eine Exkursseite „Ausblicke, Einblicke…“ zu einem bestimmten Thema, welche mit dem im Kapitel behandelten Stoff im unmittelbaren Zusammenhang steht. Dies erleichtert den Übergang zur kritischen Analyse und Diskussion. Des Weiteren werden in dem Abschnitt „Überblick“ die wesentlichen Informationen eines Kapitels zusammengefasst und in dem Abschnitt „…darüber hinaus“ Hinweise auf nützliche Internetlinks gegeben. Die Kapitel werden durch einen Lernzirkel geschlossen, „die der Wiederholung dienen oder einfach auch mal Spaß machen“. Am Ende des Lehrbuches sind ein Anhang, Begriffe zum Nachschlagen und ein Register zu finden.
Das didaktisch-methodische Konzept und dessen Umsetzung
Die Kapitel behandeln die Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts bis hin zur Gegenwart in vier großen Abschnitten. Darüber hinaus werden diese Abschnitte anhand vier thematischer Längsschnitte erschlossen:
- Europa – Von der nationalstaatlichen Ordnung zur Einheit
- Wesensmerkmale von Revolutionen
- Aufbau von Staaten und ihrer Herrschaftsstruktur
- Kriege – Gewaltsame Austragung von Konflikten zwischen Staaten
Diese chronologisch-thematische Vernetzung wird im Inhaltsverzeichnis in leicht verständlicher Art und Weise wiedergegeben. Während auf der rechten Hälfte der Seite die einzelnen Titel der Kapitel bzw. Unterkapitel enthalten sind, werden diesen Angaben auf der gegenüberliegenden Hälfte der Seite blockartig eine der vier Längsschnitt-Themenbereiche gegenübergestellt. Die einzelnen Themenbereich-Blöcke sind zudem farbig voneinander getrennt. Diese klare Struktur stellt die Interdependenz und Kontinuität zwischen den geschichtlichen Ereignissen her und ermöglicht Schülern Funktionen sowie Formen bestimmter Ereignisse zuerst einzeln zu analysieren, dann miteinander zu vergleichen und am Ende in einen größeren Kontext einzuordnen. In dieser Hinsicht wird auch die Bedeutung des Titels „von…bis“ in Verbindung mit den beiden Abbildungen auf dem Buchcover klar: Es soll nicht nur einfach additiv die Geschichte von 1805 bis 1989 vermittelt werden, sondern ebenfalls über strukturelle Veränderungen reflektiert werden. Schüler sollen Problemzusammenhänge beleuchten, die Ausdruck der Tatsache sind, dass innerhalb von weniger als 200 Jahren das Brandenburger Tor ein Schauplatz sowohl der Dominanz Napoleons in Europa als auch der Wegbereitung zur Zusammenführung von West und Osteuropa war. Infolgedessen werden die Kapitel „Das Aufkommen der Nationalstaaten in Europa“(S. 12-39), „1989/90: Friedliche Revolution und deutsche Einheit“(S.300-327) sowie die „Entwicklung zur Europäischen Union (EU)“(S. 328-351) alle unter dem übergeordneten Themenbereich „Europa – Von der nationalstaatlichen Ordnung zur Einheit“ bearbeitet. Leider wird dabei nicht angemessen genug auf die epochenübergreifenden Zusammenhänge eingegangen. Zum Beispiel ist einzig allein zum Themenblock „Wesensmerkmale von Revolutionen“ ein Abschnitt zu finden, der die Schüler dazu anregt, Entwicklungen und Gesetzmäßigkeiten zwischen den deutschen Revolutionen von 1848/49, 1918 und 1989/90 auszuwerten. Dieser Abschnitt „Revolutionen, Veränderungen“ ist darüber hinaus dem falschen Themenblock zugeordnet, nämlich „Europa – Von der nationalstaatlichen Ordnung zur Einheit“. Der Leser sucht vergebens nach einem Abschnitt, der Europas Weg von der nationalstaatlichen Ordnung zur Einheit in einen größeren Kontext einordnet. Die Berücksichtigung des Anhangs „Orientieren und Verknüpfen“, der als Ersatz dienen sollte, erscheint dabei problematisch. Dieser Teil übernimmt nicht die gleiche chronologisch-thematische Einteilung, wie sie im Hauptteil des Lehrwerks vorzufinden ist. Zum Beispiel werden die Problemzusammenhänge in der Geschichte Europas seit dem 19. Jahrhundert kaum deutlich gemacht, da das Aufkommen der Nationalstaaten in Europa ohne Verbindung zur Entwicklung der Europäischen Union behandelt wird. Darüber hinaus wird das Herausarbeiten von geschichtlichen Problemzusammenhängen erschwert, da den Schülern kaum Frage- oder Aufgabenstellungen gestellt werden.
„Erfolgreich präsentieren“ anhand von allgemeinen sowie fachspezifischen Methoden
„Erfolgreich präsentieren“ steht im Mittelpunkt des Methodenkonzeptes, das Lehrer und Schüler anhand der Rubrik „FRAGEN-FORSCHEN-BEGREIFEN-LERNEN“ gezielt einsetzen können. Dabei werden anfangs die Lernmethoden in Form einer Übersichtstabelle (S.11) vorgestellt und angegeben, auf welcher Seite sich welche Art von Methodentraining befindet. Der Schwerpunkt der Kompetenzen verteilt sich dabei auf die folgenden Bereiche:
- „allgemeine Vorbereitung“
- „Hilfsmittel und Technik“
- „Körpersprache, Stimme, Sprache“
- „Präsentationsmöglichkeiten“
- „Erweiterte Präsentation / Längsschnitte“
Das methodische Konzept dieses Lehrwerks möchte Schüler also mit produktorientierten Arbeitsweisen vertraut machen. Das Lehrwerk legt dabei den Wert unter anderem auf den Erwerb von praktischen Kompetenzen wie „Informationen strukturieren“, „Vortrag und Visualisierung verknüpfen“ oder „Mimik, Gestik und Aussehen“. Es fällt aber auf, dass unter den 21 Kompetenzen, die in der Tabelle präsentiert werden, nur der Abschnitt „Historische Längsschnitte begreifen“ eine historische Methode abdeckt. Aus diesem Grunde könnte der Leser den Eindruck bekommen, dass dieses Lehrwerk hauptsächlich allgemeine Lernmethoden und weniger Fachkompetenzen vermittelt. Erst bei einer Analyse der so genannten „Lernzirkel“ wird deutlich, dass dieses Lehrbuch nicht nur den Umgang mit allgemeinen Lernmethoden beibringen möchte, sondern diese Kompetenzen mit dem Erwerb von geschichtlichen Methoden in sehr gelungener Art und Weise kombiniert. Zum Beispiel werden Schüler durch den Lernzirkel am Ende des Unterkapitels „1989/90: Friedliche Revolution und deutsche Einheit“ dazu gebracht, Karteikarten mit Erklärungen zu Begriffen wie „Wir sind das Volk“, „2+4-Verhandlungen“ oder „Meinungen des Auslandes zur Wiedervereinigung“ anzufertigen. Anhand dieser Aufgaben wird das didaktisch-methodische Konzept dieses Lehrwerkes deutlicher: Einerseits sollen Schüler dazu befähigt werden, Ereignisse und Entwicklungen in der Geschichte auszuwerten, andererseits soll der Umgang mit allgemeinen Lernmethoden verinnerlicht werden. Dabei kommen in diesem Lehrbuch immer wieder ähnliche Abschnitte vor, die das Erschließen von Geschichtsverständnis und allgemeinen Lehrmethoden in einer Aufgabe vereinen. Auf S. 299 soll zum Beispiel eine vorgefertigte Mindmap zur Geschichte Deutschlands nach 1945 vervollständigt werden. Entweder lernt man anhand der Geschichte Deutschlands, mit Mindmaps umzugehen, oder man wird umgekehrt dazu befähigt die Geschichte Deutschlands anhand von Mindmaps besser zu überblicken. Zudem enthalten die Lernzirkel auch Stationen zur Erklärung von Bildcollagen und Karikaturen. Nichtsdestotrotz muss bemängelt werden, dass diese Rubriken zum Methodentraining des Faches Geschichte (anders als die Rubriken zum Erwerb allgemeiner Lernmethoden) weder im Inhaltsverzeichnis noch in der Einleitung angegeben werden. Dies erschwert die Arbeit mit Quellen gerade für Schüler.
Untersuchung des Autorentextes und der Arbeit mit Bild- und Textquellen
Der Autorentext im Kapitel „1989/90: Friedliche Revolution und deutsche Einheit“ ist altersangemessen, informativ und verständlich geschrieben. Ursachen und Wirkungen sowie Argumente und Begründung werden klar wiedergegeben. Im Hinblick auf den Abschnitt zur deutschen Einheit könnten kritische Standpunkte jedoch offener dargelegt werden. Zum Beispiel wird im Abschnitt „Hoffnungen, Wünsche und Enttäuschungen“ auf Formen der Ernüchterung seitens deutscher Bürger aus den neuen Bundesländern nach der Vereinigung Deutschlands eingegangen. Weniger berücksichtigt wird jedoch, wie die deutschen Bürger der alten Bundesländer die Vereinigung, Finanzhilfen oder die DDR aufgenommen haben, die „natürlich immer noch in den Köpfen der Menschen“ (S. 314) steckte.
Die sehr abwechslungsreiche und überzeugende Einbindung von Textquellen und Bildmaterialien im Darstellungsteil wird auch in dem „deutsche Einheit“-Kapitel deutlich. Neben Gründungsaufrufen, privaten Briefen, Zeitungsartikeln erhalten zahlreiche Fotos, Karikaturen und grafische Darstellungen wie zum Beispiel Diagramme, Tabellen und Umfragestatistiken Einzug. Andere Kapitel enthalten unter anderem Lieder, Autobiographien, Chroniken, Propagandapostkarten und sogar Abbildungen von Gegenständen, die aus Fundstätten gefallener Soldaten in Russland (S. 217) stammen. Bei der Betrachtung der Positionierung oder auch Länge bzw. Größe der Bild- und Textquellen ist kein einheitliches Muster zu erkennen. Trotz der flexiblen Darstellung des Layouts wirkt die Zusammensetzung der Seiten geordnet und angenehm. Dies trägt dazu bei, dass jede Doppelseite einen individuellen Charakter hat und somit die Neugier von Lehrern und Schülern aufrecht erhalten wird. Die Arbeit mit den vielfältigen Bild- und Textquellen kommt noch stärker zum Tragen, indem diese in logischer Art und Weise mit dem Autorentext verknüpft sind. Auf manchen Doppelseiten folgen die Textquellen in üblicher Weise auf den Autorentext. In anderen Teilen des Lehrwerks wird der Autorentext zur Illustrierung durch Zeitzeugenberichte oder Auszüge aus primären oder sekundären Quellen unterbrochen. Zum Beispiel folgt auf den ersten Teil des Autorentextes im Abschnitt „„Deutschland, einig Vaterland“…“ unmittelbar ein Auszug aus der Rede des Bundespräsidenten Weizsäckers vom 3.10. 1990. Der Autorentext wird danach fortgesetzt. Im Abschnitt „Die friedliche Revolution in der DDR“(S.303) erhalten Schüler durch verschiedene Aufgaben die Möglichkeit, Abbildungen von Transparenten von Demonstrationen, Briefen von DDR-Bürgern oder einer Karikatur mit dem Inhalt des Autorentextes in einen problemorientierten Zusammenhang zu setzen. Ein aufbauender Lösungsweg innerhalb der Aufgabenstellungen ist hier insbesondere daran zu erkennen, dass Schüler die Zukunft der DDR zuerst aus dem Blickwinkel der SED, dann aus der Sicht gewöhnlicher Bürger und eines Karikaturisten auswerten sollen. Leider gibt es zu den Bildmaterialien oft nur unzureichend informative Bildlegenden über Künstler, Datierung und Bildgattung, was die Einordnung der Bildquellen in ihren historischen Kontext erschwert. Zum Beispiel wäre es interessant zu wissen, ob Karikaturen, die nach der Vereinigung erschienen sind (z.B. auf S.319), aus Zeitungen alter oder neuer Bundesländer stammen.
Die abwechslungsreiche Vielfalt an Unterrichtskonzepten kommt anhand der Aufgaben- und Fragestellungen zum Ausdruck. Wie in den meisten Kapiteln dieses Lehrwerks werden auch hier reproduktive W-Fragen gestellt, die die Schüler zum Erläutern von Begriffen und Wiedergeben der Hauptaussagen anregt. Nichtsdestotrotz gibt es ebenfalls Fragestellungen, die die Schüler zu einem geschichtsreflektierenden Umgang mit dem Inhalt des Buches ermutigt, indem man zum Beispiel Aufgaben in Partner- oder Gruppenarbeit lösen soll. Im Teil „…Das gesamte Deutsche Volk bleibt aufgefordert…“ wird die schlagartige Abfolge der Ereignisse geschildert, die am 9.November 1989 zur Öffnung der Berliner Mauer führten. Nach der Lektüre des Autorentextes und einer Textquelle sollen die Schüler das folgende Rollenspiel üben: „Du wirst angerufen von einem Freund, der keine Möglichkeit hatte, die Ereignisse zu verfolgen, und berichtest ihm und beantwortest seine Fragen.“.
Fazit
Durch ein spannendes Layout, motivierenden Aufgaben oder die abwechslungsreiche Verwendung von Bild- und Textquellen bietet dieses Lehrwerk Schülern eine gute Grundlage dafür, Verständnisse im Fach Geschichte weiterzuentwickeln. Nichtsdestotrotz gibt es Bedenken im Hinblick auf die Umsetzung des didaktisch-methodischen Konzeptes. Der Bildungsplan für Geschichte legt dar, dass „Schülerinnen und Schüler (…) einfache und komplexe Quellen bearbeiten, interpretieren und in angemessener sprachlicher Form beschreiben sowie mit verschiedenen Techniken präsentieren (können)2. Leider stehen exemplarische Methodenteile zum „Erfolgreich präsentieren“ zu sehr im Mittelpunkt, wodurch Schüler auf Probleme beim selbstständigen Erwerb von historischen Methoden stoßen könnten.
1 Bildungsstandards für Geschichte Realschule - Klassen 6, 8, 10. Baden-Württemberg, hg. vom Ministerium für Kultus, Jugend und Sport in Zusammenarbeit mit dem Landesinstitut für Erziehung und Unterricht Stuttgart, Ditzingen 2004, S. 104.
2 Bildungsstandards für Geschichte Realschule - Klassen 6, 8, 10, S. 104.