Ethik / Philosophie, Andere Schulstufe, Andere Schulart
Blickpunkt Leben
Herausgegeben von | Luutz, Eveline und Ulrich Heublein |
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Erschienen | Leipzig: Militzke, 2009 |
Seitenanzahl | 256 |
ISBN | 978-3-8618-9523-7 |
Geeignet für | Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen |
Rezensiert von | Dietz, Lea und Marie Müller (Studierende), 1. October 2015 |
Rezension von Dietz, Lea und Marie Müller (Studierende)
Einleitung
Betrachtet man exemplarisch Thüringen, so werden im Berufsschulsystem acht verschiedene Schulformen angeboten. Es bildet somit eine der vielfältigsten Schulformen im Bildungssystem. Gleichzeitig findet das Fach Ethik immer mehr Einzug in die Beruflichen Schulen und wird hier vielfach unterrichtet. So machte es sich der Militzke Verlag zur Aufgabe, ein Schulbuch für acht Arten der Berufsschulbildung zu konzipieren, das sich an den Themenvorgaben der einzelnen Abschlüsse orientieren soll.
Kann ein einzelnes Buch den Vorgaben von acht verschiedenen Lehrplänen standhalten und schafft es der Verlag mit dem Lehrwerk ein so differenziertes Schulbuch zu gestalten, das zum einen die einzelnen Bildungswege bedient und zum anderen auf die damit verbundenen Leistungsunterschiede der Lernenden eingeht?
Der Versuch des Militzke Verlages bleibt auch bei einem Versuch und kann dem eigenen Vorwort der Verlagsseite nicht gerecht werden. Beschreibt der Verlag auf der eigenen Internetdarstellung in einer kurzen Einleitung den Grundriss des Lehrbuches, so wird dies im Lehrwerk selbst verpasst. Der „Schubs ins kalte Wasser“ wird auf den ersten Seiten immer deutlicher. Zwar finden die Lernenden ein farblich voneinander abgegrenztes Inhaltsverzeichnis, jedoch fehlen die Anweisungen zum selbstständigen Erarbeiten der Themen oder gar eine Erläuterung für die richtige Nutzung des Lehrwerkes in Gänze. Handhabbarkeit, kompakte Größe und Leichtigkeit des Buches stehen einer unübersichtlichen Gestaltung gegenüber, sodass die Schüler und Schülerinnen schon auf den ersten Seiten keine Orientierung finden können. Der Blick ins Inhaltsverzeichnis verspricht eine hohe Anzahl an Themenbereichen und wird auch der Beschreibung des Militzke Verlags gerecht, dass sich das Lehrbuch an den Themenkomplexen von drei Bundesländern „orientiert“. Die neun inhaltlichen Schwerpunkte selbst sind von verschiedenen Autoren verfasst und lassen durch die farbliche Unterscheidung eine klare Gliederung von Kapiteln und Unterkapiteln zu.
Aufbau und Struktur
Das Lehrbuch „Blickpunkt Leben“ bietet durch die neun facettenreich gestalteten Kapitel – im Inhaltsverzeichnis – einen guten Überblick über eine Vielzahl an philosophischen Themen und Fragestellungen. Die Vielfältigkeit erweckt allerdings den Anschein, als wäre das Buch recht allgemein gehalten und schneide die Themen nur an der Oberfläche an. Das breite Angebot für Lehrende, welches einen klaren Eindruck und Überblick vermittelt, wird nicht nur durch die Auswahl der Inhalte geschmälert. Die Fülle an Themen korrespondiert mit einer nicht stattfindenden Binnendifferenzierung. Die Autorinnen und Autoren verlieren in einigen Kapiteln den Fokus der ethischen/ philosophischen Fragestellung und lassen demnach bei der Auswahl der Texte die Frage nach der genauen wissenschaftlichen Arbeitsweise aufkommen. Die Lehrkraft erhält zwar eine grobe Darstellung aller Themen der acht Lehrpläne, jedoch wirkt es schwierig, für den konkreten Unterricht eine genaue Auswahl an Texten und Aufgaben zu treffen. Vor allem fällt der fehlende Bezug zur Alltagswelt der Schüler und Schülerinnen in Bild und Text auf. Durch die oftmals vorgegebenen Antworten auf die philosophischen Fragen entfällt auch hier ein selbstständiger reflektierter Umgang mit den Themen.
Das Lehrwerk erweckt den Eindruck, dass es für jede Schulform geeignet ist, jedoch trifft diese erste Beobachtung nur oberflächlich zu und deckt sich lediglich mit dem Lehrplanbezug. Würde man die Schulform bis ins Detail betrachten, so würde schnell auffallen, dass das Buch nur den Anschein erweckt, es würde den Lehrplan der jeweiligen Schulart bedienen. Nichtsdestotrotz bietet das Lehrbuch einen strukturierten Überblick über die Themen der Lehrpläne.
Materialien und Aufgabenstellung
Die didaktische Umsetzung der Inhalte unter Einbezug der Kapitel erscheint mangelhaft. Die Materialien sind in sich vielfältig, aber scheinbar nicht durchdacht. Ein kritischer Blick ins Buch zeigt eine Materialienvielfalt ohne didaktische Aufbereitung. Die Überschwemmung mit Sekundärliteratur und die Einbettung der teilweise eigenen Autoreninterpretationen stellen den Sinn des selbstständigen sowie entdeckenden Lernens in Frage. Die Präsentation der Materialien geht einher mit den Aufgabenstellungen und den verwendeten Operatoren, die sich wechselseitig in ihrer Qualität bedingen. Erst bei der detaillierten Betrachtung beider Komponenten wird ersichtlich, inwieweit die Qualität des jeweiligen Kapitels determiniert wird. Lediglich in Kapitel drei regen die Aufgabenstellungen und die ausgewählten Materialien die Lernenden zu einem selbstorganisierten Erarbeiten an.
Die in sich mannigfaltige Auswahl an Textsorten (journalistische, frei zitierte und soziologische, politische sowie religiöse Texte etc.) ist durchaus lobenswert und erweckt den Anschein, den Lernenden ein Spektrum an Wissensangeboten zu offerieren. Darüber hinaus bedingt die abwechslungsreiche Auswahl der Textsorten ein breites Repertoire an Lesemodi und eine erweiterte Textkompetenz von Seiten der Lernenden. Die Materialsammlung der einzelnen Kapitel zeigt einen reduzierten und dürftig eingesetzten, informierenden Charakter der Texte. Trotz der Bemühungen, so viel wie möglich an Materialien bereitzustellen, erfolgt keine Einbettung in den jeweiligen Themenkomplex. Die Aussparungen weiterführender Hinweise zum vollständigen Text verwehren nicht nur dem Lernenden, sondern auch dem Lehrenden erneut ein selbständiges Erarbeiten weitergehender Lerninhalte. Außerdem sei hier genannt, dass die Autoren des Öfteren frei zitieren und somit die Wissenschaftlichkeit sowie die Qualität der Quellen in Frage gestellt werden muss.
Präsentation von funktional eingebundenen Abbildungen
Die Abbildungen wirken im Verhältnis zum Text isoliert sowie künstlich konstruiert. Beim genauen Beleuchten ergibt sich das negative Gefühl, dass die Abbildungen im Nachhinein und ohne Beziehung eingefügt wurden. Die Verfasser des Schulbuches verpassen es, die didaktische Wirkung eines Bildes funktional zu verwenden. Daraus ergibt sich der Anschein, dass der didaktischen Wirkung eines Bildes alle Chancen verwehrt bleiben. Zudem werden die lernpsychologischen Aspekte hierbei völlig ausgeblendet. Somit kann zum Beispiel ein Unterrichtseinstieg keine Problemstellung durch eine Abbildung eröffnen. Der Charakter einer solchen Vorgehensweise als Hinführung zu einem Thema verliert so an Wert.
Zwar sind in dem Lehrwerk derartige Einstiegsseiten enthalten, jedoch erscheinen diese ohne Zusammenhang und führen in die Irre. Darüber hinaus schaffen es die Autoren scheinbar nicht, die Brücke zwischen Bildern und Realitätsbezug zu schlagen. Da die Schüler und Schülerinnen in der heutigen Zeit einer starken visuellen Prägung unterzogen sind, können funktional eingebundene Abbildungen die Lernenden motivieren. Hier verpasst es der Militzke Verlag, durch eine eintönige realitätsferne Einbettung der Bilder, die Lernenden eher visuell anstatt sprachlich anzusprechen.
Viele Abbildungen sind zu alt und haben keinen Lebensweltbezug. So steht exemplarisch ein Bild vom Skater für den Themenkomplex Freiheit und beim Einstieg des Themas Pluralismus implizieren die Bilder vom Hip-Hopper, Punker bis hin zum Skin eine eingeschränkte, veraltete Sichtweise auf pluralistische Lebensformen. Die veralteten Lebensformen erschweren der Lehrperson einen zeitgemäßen Unterricht, der ohne jeglichen Lebensweltbezug keine gegenwärtigen pluralistischen Strömungen aufgreifen kann. Darüber hinaus kommen nicht nur bei den einführenden Inhalten Fragen auf, sondern auch die Bilder in den Kapiteln werden nicht sinngerecht sowie funktional eingebunden. Als Beispiel soll ein verschwommenes Bild einer jungen Frau dienen, die sich mit dem Kopf auf dem Knie abstützt. Der Text handelt jedoch von Behinderungen im Alltag und setzt sich gegen Diskriminierung von Behinderten ein.
Kohärentes Konzept unter Berücksichtigung der Fachdidaktik und Methodik
Insgesamt ist der Einfluss von verschiedenen Autoren für die Kapitel sehr prägend. Dieser Umstand steht sinnbildlich für ein inkohärentes Konzept. Die Heterogenität könnte durch fehlende Absprache zu Stande gekommen sein. Als Paradebeispiel können die Kapitel zwei und drei dienen. Im zweiten Kapitel wird die Frage aufgeworfen, inwieweit Verantwortung mit Freiheit einhergeht. Der Begriff der Verantwortung wird schwammig eingeführt und undifferenziert beleuchtet. Im Vergleich dazu widmet sich das dritte Kapitel ausführlich dem Themenkomplex der Verantwortung und versucht stufenweise eine präzise Begriffsbestimmung der Verantwortung zu realisieren.
Die Themenkomplexe erscheinen auf den ersten Blick geschlossen, reißen aber die einzelnen Kapitel und deren Subkategorien nur an. Dies geschieht weitestgehend undifferenziert und mit fehlender Intention auf Seiten des Kompetenzerwerbs. Die scheinbar fehlende Absprache schafft im Gesamteindruck Unstimmigkeit und lässt das realisierte Konzept disharmonisch erscheinen. Bei genauerem kritischem Hinterfragen des Schulbuches wird dieser Punkt auch den Lernenden auffallen. Es ist nicht ersichtlich, ob die Heterogenität der einzelnen Kapitel sowie der Methodenseiten gewollt ist, sodass die Inhalte für Lehrende in ihrer Reihenfolge frei wählbar sind. Der dazugehörige Lehrerband wurde in diesem Zusammenhang nicht explizit betrachtet. Jedoch wird vermutet, dass dort weitere didaktische Grundlagen oder Hintergrundideen erläutert werden.
Ein weiterer Blick in das Inhaltsverzeichnis verspricht dem Leser/ der Leserin durch eingebettete Methodenseiten am Ende eines Kapitels einen Zuwachs an Methodenkompetenz. Lediglich bei sechs Kapiteln des Buches findet der Schüler/ die Schülerin eine Methodenseite. Aus methodischer, konzeptioneller Sicht erwecken die Methodenseiten ebenfalls den Eindruck eines inkohärenten Konzepts bzw. scheinbar fehlender Absprachen. Oftmals stehen die Methodenseiten für sich selbst und verstehen sich als isolierte Einheiten. Sinnbildlich hierfür steht ihre Platzierung. Darüber hinaus werden Methoden aufgegriffen, die noch nicht eingeführt wurden. Die schon oft monierte scheinbar fehlende Absprache zeigt sich hier in der Aufgabenstellung eines Streitgespräches, welches erst rund 110 Seiten später explizit als Methode eingeführt wird.
Im dritten Kapitel findet nur eine künstlich konstruierte Anbindung an den Themenkomplex statt. Darüber hinaus vermag der Autor des Kapitels keine Erklärung zu der angestrebten Methodik abzugeben. Der Schüler wird sich dementsprechend selbst überlassen und soll aus seinem Erfahrungshorizont die Methodik verinnerlichen. Zusammenfassend ist zu sagen, dass die Methodenseiten durch ihre Ambivalenz völlig an Nutzen verlieren und jegliches Wissen an Methodik nicht erworben sowie vertieft werden kann. Dieser Umstand unterstreicht die Schwäche im Bereich der Kompetenzen.
Der Versuch, die Methodenkompetenz zu vertiefen bzw. zu festigen, scheitert. Die für die Philosophie angestrebten, primären Kompetenzen werden in keiner Weise explizit gefördert. In manchen Aufgabenstellungen lässt sich eine spezifische Kompetenz erahnen, ist jedoch nicht ausformuliert.
Fazit
Der Militzke Verlag hat mit dem Lehrwerk „Blickpunkt Leben“ ein Buch auf den Markt gebracht, das ein zu breit gefächertes Schulgebiet abdecken muss. Die Betrachtung der fachwissenschaftlichen und didaktisch-methodischen Kriterien zeigt, dass das Buch für den Ethikunterricht an berufsbildenden Schulen als ungeeignet einzustufen ist. Vor allem die fehlende Intention des Kompetenzerwerbes auf Seiten der Schüler und Schülerinnen ist problematisch (bedenkt man, dass es sich bei den Autoren um Experten und FachdidaktikerInnen handelt). Die Themenkomplexe sind in sich geschlossen, jedoch durch die Erarbeitung von scheinbar mehreren Autoren, ohne Kapitelzusammenhang untereinander erstellt wurden. Für den Anspruch, dass es scheinbar alle acht Schulformen (es sei hier nochmals erwähnt, dass exemplarisch Thüringen einbezogen wurde) bedienen soll, erscheint dieses Lehrwerk unstrukturiert, voller Themenspeicher und fernab von jeglichem Realitätsbezug.