Geschichte, Erdkunde, 5./6. Schuljahr, 7./8. Schuljahr, 9./10. Schuljahr, Gesamtschule
Menschen Zeiten Räume 1
Herausgegeben von | Rudyk, Ellen et al. |
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Erschienen | Berlin: Cornelsen, 2008 |
Seitenanzahl | 272 |
ISBN | 978-3-06-064745-3 |
Geeignet für | Hessen |
Rezensiert von | Mosch, Mirka (Wissenschaftlerin), 15. February 2011 |
Rezension von Mosch, Mirka (Wissenschaftlerin)
Kurzvorstellung
Das Schulbuch „Menschen Zeiten Räume 1“ ist ein 2008 erschienenes Arbeitsbuch für die Gesellschaftslehre der 5. und 6. Klasse in Hessen, das von Ellen Rudyk herausgegeben wird und unter Mitarbeit von vierzehn Autorinnen und Autoren entwickelt wurde. Das Schulbuch orientiert sich bei der Darstellung und Bearbeitung der Themen weitestgehend an der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler. Auch auf der inhaltlichen Ebene bemühen sich die Autor/-innen um eine mehrperspektivische Darstellung bei der jedoch die politische Dimension nicht ausreichend Berücksichtigung findet.
Der Einstieg des Schulbuchs thematisiert die neue Situation der Lernenden während der Übergangsphase von der Grund- zur weiterführenden Schule und macht diese zum Ausgangspunkt der thematischen Bearbeitung („Schule gestalten“). Gleichzeitig werden geographische, projektorientierte Aspekte (Projekt: „Wir kartieren unsere neue Schule“) sowie Fragen und Möglichkeiten der Partizipation im Bereich des sozialen und demokratischen Lernens mit einbezogen.
Anlage und Inhalte des Lehrbuchs
Jedes der insgesamt elf Kapitel beginnt mit einem doppelseitigen Foto, das die Schülerinnen und Schüler auf die folgende Thematik einstimmen soll. Neben diesem bildorientierten Einstieg verfügt die erste Doppelseite über einen kurzen, einführenden Text und zwei weitere Fragen, die sich entweder auf das Foto und die damit verbundenen Schüler/innenassoziationen beziehen oder durch die Reflexion über einen Begriff die Erfahrungen und Einstellungen der Lernenden zu erheben versuchen. Beide Varianten erfüllen die Funktion eines diagnostischen Einstiegs. Diese Fragen versuchen, wenn auch in unterschiedlicher Form, das Vorwissen, die Erfahrungen und Emotionen der Lernenden zum folgenden Themengegenstand zu erheben. Nicht klar wird, inwiefern diese Vorstellungen der Lernenden lediglich zum Einstiegsritual erhoben werden sollen oder ob diese auch im weiteren Verlauf der Themenbearbeitung Berücksichtigung finden.
Die Themen orientieren sich an einer fächerübergreifenden Ausrichtung des Faches Gesellschaftslehre: Politik, Geschichte und Geographie. Die Themen reichen von „Die Alpen – Nutzung eines Hochgebirges“, „Menschen mit Behinderung“, „Warum fliehen Menschen?“ bis „Umwelt und Energie“ und sind deckungsgleich mit den Themen des Rahmenplans der Handreichung des hessischen Kultusministeriums für das Fach Gesellschaftslehre. Auch wenn sich die einzelnen Themenkapitel um eine fächerübergreifende Perspektive bemühen, ist eine erdkundliche und geschichtliche Schwerpunktsetzung der Bearbeitung festzustellen.
Neben dem doppelseitigen Einstieg in das jeweilige Thema gibt es in den einzelnen Kapiteln weitere wiederkehrende Elemente, die sich durch das komplette Schulbuch ziehen: „Methode“ und „Check-up“. Die jeweilige Methode erstreckt sich über eine Doppelseite und beschreibt meist in einer Schrittfolge, wie Schülerinnen und Schüler entweder ein Produkt (Wandzeitung/ Kartenskizze/ Zeitstrahl/ Fotoreportage) erstellen, eine Handlung (Rollenspiel) durchführen, Luftbilder, Tabellen und Diagramme auswerten oder ein Kunstwerk analysieren können. Auch diese methodischen Kompetenzen, welche gefördert werden sollen, lassen sich den einzelnen Fachdidaktiken zuordnen (Zeitstrahl herstellen: Geschichte; Kartenskizze herstellen: Geographie), fördern aber auch die fächerübergreifenden methodischen Kompetenzen (Rollenspiel/ Wandzeitung erstellen usw.).
Der Check up, der sich am Ende jedes Kapitels befindet, versucht auf einer Doppelseite die zentralen Inhalte des Themas zu bündeln und diese in Form von (Test-)Aufgaben an die Lernenden zu stellen. Dieser Check up orientiert sich stark am deklarativen Wissen und versucht weniger die reflektierte Urteilskompetenz der Lernenden im Bezug auf das Thema weiterzuentwickeln und zu sichern. Wenige Kapitel des Schulbuchs verfügen zusätzlich über die Rubrik „Werkstatt“. Auf dieser Doppelseite wird die Klasse zur Realisierung eines kleineren Projekts wie beispielsweise „Wir gestalten unseren Schulhof“ (S. 20/21) oder „Werkzeuge und Höhlenbilder“ (S. 186/187) angeregt.
Texte und Materialien
Die einzelnen Kapitel stehen für sich und lassen außer den strukturellen Gemeinsamkeiten (Methode/ Werkstatt/ Check up) keine inhaltlichen Vernetzungen erkennen. Jedes einzelne Kapitel bemüht sich darum, dass Thema sowohl in vielfältigen Facetten und aus unterschiedlichen Perspektiven sowie mit abwechslungsreichen Medien aufzuarbeiten. Fotos, schematische Darstellungen, Statistiken, Zeitungsartikel und Briefe ergänzen jeweils einen Autor/-innentext. Dieser ist in verständlicher Form und in kurzen Sätzen an die Rezeptionsweise der Zielgruppe angepasst. Zusätzlich werden wichtige Begriffe, die als zentral für die Erschließung des Themas bewertet werden, fett gedruckt. Ebenso findet eine kurze, stichpunktartige Erklärung statt, wenn im Autor/-innentext Fremdwörter oder Begrifflichkeiten verwendet werden, die vermutlich nicht jedem/-r Lernenden bekannt sind.
Zu jedem dieser Autor/-innentexte werden zwischen drei bis fünf Fragen bzw. Aufgaben formuliert, die von den Schülerinnen und Schülern bearbeitet werden sollen. Hierbei bemühen sich die Autor/-innen des Buches darum, den Lernenden unterschiedliche Zugangsweisen zur Thematik zu eröffnen. Verstärkt durch die unterschiedlichen Medien wird den Schülerinnen und Schülern ein meist handlungsorientierter Umgang mit den Themen eröffnet, der sich nicht ausschließlich in der reinen Textrezeption erschöpft. Hier sind jedoch zwischen den Aufgabentypen der einzelnen Kapitel deutliche Unterschiede festzustellen. So setzen die Aufgaben mancher Themenbereiche (z.B.: „Deutschland – mitten in Europa“, S. 124f.) rein auf die Wiedergabe deklarativen Wissens (z.B.: Aufgabe 2: „Ordne die Nachbarstaaten Deutschlands (M1) einerseits nach ihrer Flächengröße und andererseits nach der Einwohnerzahl“, S. 127) wohingegen die Aufgaben anderer Themenschwerpunkte („Warum fliehen Menschen?“, S. 104f.) stärker auf die (Weiter-)Entwicklung einer reflektierten Urteilskompetenz abzielen („Gib mit deinen Worten wieder, worum es sich bei der ‚Greencard‘ handelt. Würdest du dich darum bewerben? Begründe“, S. 119).
Am Layout des Buches fällt auf, dass die Bilder von unterschiedlicher Aktualität zu sein scheinen. Während die Karikaturen, Zeichnungen und schematischen Darstellungen zeitgemäß wirken, erwecken die verwendeten Fotografien den Eindruck als wären diese nicht für das 2008 erschienene Buch aufgenommen worden. Insgesamt dienen die Fotografien überwiegend der Illustration und weniger der eigenständigen thematischen Bearbeitung. Die Fotografien von Kindern (S. 20/21, 30/31, 100/101, 64, 6/7, 251) dürften die Schülerinnen und Schüler aufgrund ihrer Kleidung und ihres Aussehens kaum an ihre eigene Lebenswelt erinnern. Auch die Bildqualität wird den heutigen Standards nur bedingt gerecht (S. 30). Wohingegen andere Fotografien (S. 118, 114/115) diesen Standards entsprechen. Dies macht auf ein Gefälle zwischen der Authentizität, der Qualität und dem Lebensweltbezug der abgebildeten Fotografien und dem gesamten Bildmaterial aufmerksam.
Politikdidaktische Perspektive
Außer dem Thema Migration („Warum fliehen Menschen?“) legt keines der Themen einen explizit politischen Schwerpunkt. Die Themen „Schule gestalten“ und „Menschen mit Behinderungen“ können, einem weiten Politikbegriff entsprechend, noch als politische Themen gewertet werden, jedoch steht bei der Bearbeitung stärker das soziale Lernen (Aufstellen von Klassenregeln/ Schulhaus-Rallye/ Konflikte erkennen und Konflikte lösen) und weniger das politische Lernen im Vordergrund. Auch bei Kapiteln, bei denen die politische Perspektive verstärkt einbezogen werden könnte („Umwelt und Energie“, „Europa-Reise“, „Deutschland – mitten in Europa“), findet diese politische Dimension der Themen wenig bis kaum Berücksichtigung. Dies ist zu bemängeln, bedenkt man, dass bereits für den Sachunterricht der Grundschule eine Stärkung der politischen Dimension der gesellschaftswissenschaftlichen Themen gefordert wird. Da die Lehrenden dieser Forderung aufgrund von Unsicherheit und Überforderung jedoch nicht nachgehen können, erscheint es umso wichtiger, dass diese Perspektive besonders in der 5. und 6. Klasse verstärkt Berücksichtigung findet.
Die Themenaufbereitung sowie die Aufgabenstellungen entsprechen nicht den Standards einer kompetenzorientierten politischen Bildung (vgl. Nationale Bildungsstandards für den Fachunterricht der Politischen Bildung an Schulen, hrsg. v. GPJE 2004). Das Wissen, das den Lernenden durch das Schulbuch vermittelt wird, wird meist als Fakt präsentiert, den Schülerinnen und Schülern wird nur selten die Möglichkeit geboten, es selbstständig und auf ihre individuelle Weise zu entdecken und zu erschließen.
Das konzeptuelle Deutungswissen (vgl. Nationale Bildungsstandards für den Fachunterricht der Politischen Bildung an Schulen, hrsg. v. GPJE 2004), jenes Wissen, was für die Lernenden, für ihr Verstehen von Politik und Gesellschaft bedeutsam ist, wird in diese Formen der Auseinandersetzung/Aufgabenstellungen kaum einbezogen oder weiterentwickelt. Dafür hätten die individuellen Vorstellungen der Schüler/-innen, die Aneignungsperspektive der Lernenden in den Mittelpunkt der Aufgabenstellungen gerückt werden müssen, dies gelingt jedoch nur an wenigen Stellen des Arbeitsbuches.
Fazit
„Menschen Zeiten Räume 1“ ist ein Arbeitsbuch, das sich darum bemüht, gesellschafts-wissenschaftliche Themen aus unterschiedlichen Perspektiven und unter Bezugnahme auf zahlreiche Methoden und verschiedene Medien aufzubereiten. Insgesamt wäre eine Stärkung der politischen Dimension der zu bearbeitenden Themen wünschenswert. Die Aufgabentypen der unterschiedlichen (Themen-)Kapitel unterscheiden sich in ihrer Ausrichtung von zu reproduzierendem „Faktenwissen“ bis zur Anbahnung eigener Urteilsbildung. Insgesamt wird durch die Themenaufbereitung und Bearbeitung das Prinzip der Handlungsorientierung gestärkt. Wünschenswert wäre, wenn die Erfahrungen, Assoziationen und Vorstellungen der Schülerinnen und Schüler nicht nur zu Beginn eines neuen Themas erhoben, sondern auch bei der weiteren Bearbeitung und den Aufgabenstellungen Berücksichtigung finden würden. Insgesamt ist „Menschen Zeiten Räume 1“ ein Arbeitsbuch, das sowohl bei der Auswahl der thematischen Perspektiven als auch bei den verwendeten Methoden und Medien für Abwechslung und Pluralität sorgt.