Das Projekt „Schulbuchrezensionen“ wurde zum 1. Januar 2019 nach fast 15 Jahren Laufzeit abgeschlossen.
Bisher verfasste Rezensionen bleiben weiterhin auf edu.reviews einsehbar. Ein Verfassen neuer Rezensionen ist leider nicht mehr möglich.

Zurück zur Übersicht

Geschichte, 5./6. Schuljahr, 7./8. Schuljahr, 9./10. Schuljahr, Hauptschule, Realschule, Gesamtschule

Durchblick Geschichte 1

Durchblick Geschichte 1
Herausgegeben von Giersberg, Sonja und Ralf Tieke
Erschienen Braunschweig: Westermann, 2010
Seitenanzahl 344
ISBN 978-3-14-110717-3
Geeignet für Rheinland-Pfalz
Rezensiert von Lahme, Marius (Student), 29. Dezember 2011
Projekt Leibniz Universität Hannover, Sommersemester 2011

Rezension von Lahme, Marius (Student)


Einleitung
„Liebe Schülerinnen und Schüler, vor euch liegt euer neues Geschichtbuch „Durchblick“, das euch zu einer Entdeckungsreise in die Vergangenheit einladen will. Hierbei könnt ihr jede Menge interessante und spannende Dinge erfahren. […]“ (S. 3)
Mit diesen Worten leiten die Autoren um Moderator Ralf Tieke ihr neues Geschichtsbuch für Haupt- und Realschulen in Rheinland-Pfalz ein. Es handelt sich um ein schulartenübergreifendes Unterrichtsbuch, das sowohl neue Kerncurricula als auch die Schulreformen des Bundeslandes Rheinland-Pfalz berücksichtigt. Hierbei werden in einem Umstrukturierungsprozess, der bis zum Schuljahr 2013/2014 abgeschlossen sein soll, Haupt-und Realschulen zur neuen Realschule plus zusammengefasst. Zunächst geben jedoch schon die Formulierungen der einleitenden Sätze Aufschluss über Art und Konzeption des Schulbuchs. Es handelt sich um ein Werk, das in die Geschichte als Unterrichtsdisziplin einführen, fachspezifische Arbeitsweisen erklären und einen historischen Überblick geben soll. Dies spiegelt sich auch im Aufbau wieder: im ersten Kapitel Einführung in die Geschichte werden beispielsweise Begriffe wie Vergangenheit erklärt oder Methoden der Zeitrechnung vorgestellt. Anschließend werden in einzelnen Kapiteln beginnend beim Leben in vorgeschichtlicher Zeit  und endend bei Europa zur Zeit Napoleons wichtige Themen der Weltgeschichte in chronologischer Reihenfolge vorgestellt.

Didaktisch-methodisches Konzept
Zu Beginn des Buches fällt positiv auf, dass die Autoren den Schülerinnen und Schülern schlüssig und verständlich ihr Konzept, die verwendeten grafischen Symbole und unterschiedlichen Arbeitsaufträge näher bringen. So werden in der Einleitung auf S. 3 die unterschiedlichen Farbunterlegungen bei Texten erläutert – selbst erdachte Beispiele sind hell unterlegt, Textquellen blau – oder Seitensymbole erklärt. Beispielsweise steht ein Schlüssel in der Kopfzeile für Seiten, auf denen gezielt Methoden und Arbeitsweisen erklärt werden, eine Lupe weist auf vertiefende Inhalte hin oder eine Waage markiert Bereiche, in denen unter anderem über Transfer-Aufgaben Bewertungen und eigene Meinung verlangt werden. Darüber hinaus werden Begriffe wie Material oder Quellen definiert oder Aufgaben mit Bezug auf Inhalte außerhalb des Buches als solche symbolisch gekennzeichnet. Im Sinne eines binnendifferenzierenden Unterrichts werden schwierigere Arbeitsaufträge und weiterführende Inhalte des Realschullehrplans zudem gesondert grafisch markiert. Die Vielzahl an Symbolen und Kategorisierungen wirkt jedoch zu keinem Zeitpunkt unübersichtlich oder überfordernd, sondern trägt viel eher zu einer besseren Strukturierung und Gliederung des umfangreichen Buches bei. Außerdem deutet es die Vielzahl didaktischer Konzepte an.
Im einleitenden Kapitel wird über direkte Arbeitsaufträge, in denen Schülerinnen und Schüler ihre eigene Vergangenheit erforschen sollen, ein Bewusstsein für Geschichte geschaffen. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft werden in Relation zueinander gesetzt und über grafische Mittel wie einen Zeitstrahl – der im Übrigen zu jedem neuen thematischen Kapitel verwendet und damit auch direkt wieder eingebunden wird – visualisiert. Mithilfe von Empathie und vielen Gegenwartsbezügen wird Geschichte praxisnah vermittelt (vgl. S. 18: „Du und deine eigene Geschichte“). Praxisnähe, regionale Beispielfälle und praktische Arbeitsaufträge ziehen sich durch das gesamte Buch und ergänzen theoretischere Aufgabenstellungen, sodass durchaus von einem Anforderungspluralismus gesprochen werden kann. Ein gutes Beispiel hierfür liefert die Doppelseite Die Aufklärung (S. 258f.), auf der sich Aufgaben aus den Anforderungsbereichen 1-3 und zudem noch interaktive Arbeitsvorschläge wie Klassendiskussionen oder Internetrecherchen finden. Den Schülerinnen und Schülern werden somit vielfältige Kompetenzen vermittelt, die durch den Einbau von Methodenseiten wie beispielsweise zum Umgang mit Karikaturen (S. 301) noch erweitert werden.

Inhalt und Gestaltung
Das Buch gliedert sich wie erwähnt in thematisch voneinander abgegrenzte Kapitel, die untereinander wenige Bezüge aufweisen und als einzelne Einheiten betrachtet werden können. Hierfür spricht auch der geschlossene Aufbau mit einer Doppelseite zu Beginn, die eine exemplarisch ausgewählte Grafik für das Themenkapitel zeigt, nachfolgenden thematischen und methodischen Unterkapiteln und einer Seite am Ende, auf der Inhalte abgefragt und im Interesse der Ergebnissicherung und Wiederholung festgehalten werden. Dies ist insbesondere aus Schülersicht im Hinblick auf eine Klausurvorbereitung oder ähnlichem sehr zu begrüßen. Die thematische Auswahl ist bis auf wenige Ausnahmen stark eurozentrisch geprägt. Dennoch lassen sich durchaus einige transkulturelle Ansätze und multiperspektivische Sichtweisen feststellen. So werden im Kapitel Entdeckung und Europäisierung der Erde spanische und indianische Quellen einander gegenübergestellt (S. 206f.) oder an anderer Stelle am Beispiel der Reconquista und des Osmanischen Reiches interreligiöse Konflikte deutlich gemacht (S. 240-243). Bei der Gegenüberstellung von Quellen mit unterschiedlichen Sichtweisen auf historische Sachverhalte fehlen jedoch Hinweise darauf, dass es keine absolut wahre Version von Geschichte gibt, sondern verschiedenste Sichtweisen, die im Diskurs auf ihre relative Objektivität geprüft werden. Dieser fehlende Kontroversitätsbezug muss jedoch etwas revidiert werden, da es sich um ein Schulbuch für die Sekundarstufe I handelt, das folglich sprachlich und inhaltlich kaum in der Lage ist, sämtliche Kontroversen aufzuzeigen. Auch die räumliche Begrenzung spielt hierbei sicherlich eine Rolle. Dennoch wäre auch aus fachwissenschaftlicher und fachdidaktischer Sicht etwas mehr Kontroversität oder zumindest das Erwähnen einer solchen wünschenswert gewesen. Schließlich ist es auch Aufgabe eines Schulbuches, über eine differenzierte Vermittlung von Geschichte Kompetenzen wie Reflektion, eigene Meinungsbildung und die Fähigkeit zur Urteilsbildung zu vermitteln.
Die Sprache ist schüler- und altersgerecht relativ einfach gehalten. Fachwissenschaftliche Begriffe werden verwendet und erklärt. Hierzu wird entweder auf das vorhandene Minilexikon am Ende oder auf Infokästen auf der jeweiligen Seite verwiesen. Die AutorInnentexte zeigen einfache kausale Erklärungen nach dem Schema, Akteur und Motiv ergeben eine Handlung. Diese Monokausalität und Vereinfachung ist ebenfalls aus fachwissenschaftlicher Sicht problematisch, da sie einen einseitigen und im Extremfall sogar kausal-zwanghaften Verlauf von Geschichte impliziert. An dieser Stelle zeigt sich ähnlich wie bei der Multiperspektivität das Spannungsverhältnis zwischen Relativismus und Pragmatismus, welchem Schulbücher ausgesetzt sind. Ohne den wissenschaftlichen Bezug und aktuelle Forschungsergebnisse aus den Augen zu verlieren, müssen Schulbücher dennoch in stark verkürzter Form historische Darstellungen liefern, mit denen wissenschaftlich ungeschulte Schülerinnen und Schüler arbeiten können. Ein gutes Beispiel für einen Kompromiss liefert das Kapitel Die bürgerlichen Revolutionen: Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit, in dem die Uneinigkeit der französischen Bevölkerung in den Wirren der Revolution beschrieben und dadurch ein Akteurspluralismus und Interessenskonflikt deutlich gemacht wird (S. 294-299).

Begleitet werden die erzählenden AutorInnentexte von einer Vielzahl bildlicher und textlicher Quellen. In der Summe hat das Buch einen großen Anteil grafischer Darstellungen, die von (zeitgenössischen) Gemälden, Karikaturen, Landkarten, Tabellen, Schemata bis zu Fotographien reichen. Die Textquellen sind ebenfalls vielfältiger Natur. Am Ende des Buches finden sich sowohl ein Textquellenverzeichnis als auch ein Bildnachweis-Verzeichnis. Die Bildnachweise sind insofern problematisch, weil sie alphabetisch nach ihrem Herkunftsort geordnet sind und eine Suche nach einem bestimmten Bild deswegen äußerst aufwendig ist. Auch fehlen bei Bildern häufig Angaben über zum Beispiel Originalmaße oder generell biographische Angaben zu Verfassern, die interessant wären, um die verwendeten Quellen sinnvoll historisch zu kontextualisieren und bewerten zu können.  Auf nahezu jeder Buchseite finden sich jeweils mehrere Quellen und Materialien, ohne dass jedoch die Übersichtlichkeit verloren geht. Vielmehr überzeugen die Seiten durch eine gute Aufmachung und übersichtliche Gliederung, die es den Schülerinnen und Schülern leicht macht, sich zu orientieren. Beispielsweise sorgen die einheitliche Farbgebung und das Aufgreifen des Kapiteltitelblattes als Miniaturbild in der Seitenkopfzeile für einen hohen Wiedererkennungswert. Eine Abwechslung an Arbeitsmaterialien ist vorhanden und die Arbeitsaufträge nehmen stets auf Text-und Bildquellen Bezug, sodass sich vielfältige Aufgabenvariationen für die Schülerinnen und Schüler ergeben.

Fazit
Das Buch „Geschichte 1 – Rheinland-Pfalz“ überzeugt durch sein ausgeprägtes didaktisch-methodisches Konzept, das den Schülerinnen und Schülern sowohl grundlegende Sozial- und Arbeitskompetenzen als auch fachspezifische Arbeitsweisen näher bringt. Hier sind Aspekte wie Gruppenarbeit, Eigenrecherche aber auch zum Beispiel das fachspezifische Arbeiten mit Geschichtskarten zu nennen. Für die Unterrichtsplanung offeriert es Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern vielfältige Aufgabenvorschläge, wobei es auch auf Arbeitsmöglichkeiten außerhalb des eigentlichen Unterrichtes verweist. Das Schulbuch bietet durch seine hohe Quellen- und Materialdichte wertvolle Unterrichtsmaterialien.
Aus fachdidaktischer und wissenschaftlicher Sicht müssen Abstriche in puncto Multikausalität und Multiperspektivität gemacht werden. Insbesondere die erzählenden Überblickstexte der AutorInnentexte weisen einen zu geringen Kontroversitätsbezug auf. Diese Kritikpunkte liegen jedoch auch teilweise in der gegebenen Struktur des Mediums Schulbuch begründet. Insgesamt ist das Schulbuch also ein empfehlenswerter Begleiter bei der Planung und Durchführung des Geschichtsunterrichtes an Haupt-und Realschulen in Rheinland-Pfalz.