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Geschichte, 7./8. Schuljahr, 9./10. Schuljahr, Gymnasium

Zeiten und Menschen 2

Zeiten und Menschen 2
Herausgegeben von Lendzian, Hans-Jürgen und Wolfgang Mattes
Erschienen Paderborn: Schöningh, 2005
Seitenanzahl 216
ISBN 978-3-14-034506-4
Geeignet für Baden-Württemberg
Rezensiert von Liepach, Martin (Wissenschaftler), 1. April 2008

Rezension von Liepach, Martin (Wissenschaftler)


Aufbau
Das vorliegende Werk ist entlang von drei Hauptkapiteln strukturiert: „Europäisches Mittelalter“, „Aufbruch in die Neuzeit“ und „Absolutismus: die letzte Blüte der alten Ordnung“. Damit folgt das Werk weitgehend der Struktur des G-8 Lehrplans für Baden-Württemberg der Klasse 7, der fünf Lehrplaneinheiten vorsieht: „Der Anfang des mittelalterlichen Europa“, „Herrschaftsordnungen und Lebensformen im mittelalterlichen Europa“, „Aufbrüche im mittelalterlichen Europa“, „Herausbildung einer neuen Zeit“, und „Absolutismus in Europa“. Die ersten zwei Lehrplaneinheiten flossen in das umfangsreichste der drei Kapitel „Europäisches Mittelalter“ (125 Seiten) ein.

Konzept
Doch während die Kapitelüberschrift eine europäische Perspektive nahe legt, ergibt sich bei näherer Betrachtung eine sehr konventionelle, alt hergebrachte Sichtweise: Karl der Große, Otto der Große, Heinrich IV. dominieren die Unterkapitelüberschriften. Sie werden flankiert von Friedrich II. oder Chlodwig. Auch die thematischen Felder: Adel, Klöster oder Stadt lösen nicht überzeugend die Perspektive eines „Europäischen Mittelalters“ ein. Eingestreute Abbildungen von englischer oder französischer Buchmalerei oder die Luftbildaufnahme eines irischen Klosters vermögen nicht wirklich eine europäische Perspektive herzustellen.

Autorentext – einige fachwissenschaftliche Aspekte
Der Lehrplan sieht vor, dass „Schülerinnen und Schüler erkennen, dass antike, germanische und christliche Elemente das Leben des einzelnen und die Ordnung der Gesellschaft im Frankenreich erkennen.“ Die Autoren des Buchs erklären flugs zu Eingang ihres Werkes, dass das Mittelalter drei Wurzeln habe: das Römische Reich, die Germanen und das Christentum. Bei eingehender Überlegung muss man sich fragen, gibt es dann überhaupt ein Mittelalter für Polen oder Byzanz? Gravierend sind vor allem einige Leerstellen im Buch. Komplett fehlt das brutalste und vielleicht europäischste Gewaltunternehmen des Mittelalters: die Kreuzzüge! Nicht nur im Darstellungsteil, sondern auch im Register und Glossar sucht man vergebens danach. Ebenso fehlt ein Kapitel über die Begegnung mit dem Islam. Auch hier: Fehlanzeige, sowohl im Darstellungsteil als auch im Register und im Glossar („Begriffe zum Nachschlagen“). Spanien und dortige Begegnung von Christen, Juden und Muslimen ist den Autoren keine Zeile wert. Gleichwohl sind die zuvor angeführten Themen im Lehrplan für Baden-Württemberg vorgesehen.
Zu den entscheidenden Schwächen gehört auch die fehlende oder mangelhafte interkulturelle oder interkonfessionelle Betrachtungsweise. Es mag vielleicht gerade noch angehen, dass man den Begriff der Reformation im Glossar findet, den der Gegenreformation hingegen nicht. Die Erläuterung unter dem Stichwort Juden lassen einem die Haare zu Berge stehen: „Da sie [die Juden, Anm. d. Rezensenten] an ihrer Eigenart festhielten, wurden sie in Krisenzeiten leicht zu verfolgten Minderheiten. Im 13. und 14. Jahrhundert wurden viele Gemeinden ausgelöscht, es begann die Übersiedlung vieler Juden nach Polen und Russland.“(S. 211). Hier wird gleich die antisemitisch konnotierte Begründung für die Verfolgung der Juden mitgeliefert: Das Festhalten an der „Eigenart“ führte zu den Pogromen. Die Opfer waren ja selbst Schuld. Hätten sie sich mal mehr angepasst. Wie es nach der Auslöschung von Gemeinden zur Übersiedlung kommen kann, bleibt auch das Geheimnis des Verfassers.
Keinesfalls besser geraten ist das Kapitel über die Juden im Mittelalter, das unter der Überschrift „Alltagswelt einer ausgegrenzten Minderheit“ firmiert (S. 116/117). Hier werden alte Klischees reproduziert und neue erfunden. Die Entstehung von Gettos wird fälschlicherweise in das Mittelalter verlegt. Dabei macht es einen großen Unterschied, ob Juden im 11. Jahrhundert freiwillig in Speyer ansiedeln und sich dort eine Mauer bauen lassen oder ob eine Vertreibung in einen fest gefügten Wohnbereich erfolgt, der nur zu bestimmten Tageszeiten verlassen werden darf, wie es ab 1462 in Frankfurt der Fall ist. Doch von dieser notwendigen Differenzierung fehlt in der Darstellung jede Spur. Auch die Erläuterungen zum Getto im Glossar ziehen die bedenkliche Verbindung vom Mittelalter zu den nationalsozialistischen Gettos. („Bei der Judenverfolgung im Mittelalter kam es in den Gettos zu schrecklichen Szenen. Im 2. Weltkrieg richteten die Nationalsozialisten insbesondere in Osteuropa erneut Gettos ein, in denen die jüdische Bevölkerung vor der Verschickung in die Vernichtungslager konzentriert war“ (S. 210).
Das Stereotyp des jüdischen Geldverleiher wird ebenfalls fleißig bedient: „Den Christen war es durch den Papst untersagt, Geld zu verleihen und dafür Zinsen zu nehmen. Juden nutzten diese Nische (sic!) und wurden Experten für Geldhandel. Bürger, die Schulden machten, mussten zusätzlich (sic!) zum geliehenen Geld auch Zinsen an die jüdischen Geldverleiher zurückzahlen.“ (S. 117) Wieso „zusätzlich“? Zinsen sind doch wohl übliche Praxis bei der Kreditvergabe? Zumindest meine Bank handhabt das so und auch damals war dies üblich, auch unter Christen.

Gestaltung
Das Layout ist im Großen und Ganzen ansprechend. An einigen Stellen wurde jedoch auf die Sorgfalt verzichtet. So laufen Überschriften in ein Bild hinein (S. 140) oder wichtige Personen, die zu einer Bildbeschreibung gehören, werden am Bildrand abgeschnitten (S. 117). Unbefriedigend bleibt sehr häufig der Umgang mit den Bildunterschriften. Die Herkunft bzw. die Quellenangabe der Bilder mag für Schüler zumeist weniger bedeutsam sein, doch sie ist es nicht für den Lehrer. Fehlende oder unzureichende Angaben sind daher ärgerlich: z.B. S. 54, 55 96, 116/117. Nicht immer gibt es Hinweise, dass es sich bei Bildern um idealisierte Darstellungen handelt, wie im Falle einer Patrizierfamilie (S. 113) oder einer Handwerkerfamilie (S. 114). So fehlt der Hinweis, dass es sich bei der Abbildung der merowingischen Könige wohl um eine bildliche Vorstellung aus der Neuzeit handelt (S. 62). Gerade im Hinblick auf einen angemessenen Umgang mit Bildern, die sehr prägend für Geschichtsvorstellungen nicht nur bei Schülern sind, sollte eine angemessene Bildzuschreibung erfolgen.
Die Erläuterungen im Glossar („Begriffe zum Nachschlagen“) enthalten neben zuvor erwähnten Verzerrungen so manche Erläuterung, die nicht schülergemäß erscheint oder tautologisch ist. Was soll ein Schüler damit anfangen? „Bauer/Bäuerin. Als Bauer wurde eine Person bezeichnet, die eine Hofstätte bewirtschaftete“(S. 209).

Arbeitsanweisungen und Methodik

Die Arbeitsaufträge sind weithin angemessen für das Jahrgangsniveau. Man findet so manch interessante Idee wie beispielsweise das Labyrinth-Spiel „Nicht alle Wege führen zum Gaugrafen“, das sehr anschaulich macht, dass der König zwar Anweisungen geben konnte, sicher aber seiner Umsetzung nie sicher sein konnte (S. 79).
Im Hinblick der Einübung von Operatoren ist das Werk nur bedingt tauglich. Die Benutzung von Operatoren in der Formulierung der Aufgabenstellungen wurde nicht konsequent eingehalten.
Einen Überblick über die methodischen Arbeitsformen findet man Ende des Buches (S. 214). Insgesamt enthält das Werk 14 „Methodenboxen“, die sowohl das fachspezifische Spektrum (z.B. Urkunde auswerten, Quellen vergleichen) als auch allgemein pädagogische Unterrichts- und Arbeitsformen („Arbeitsteilige Gruppenarbeit“, „Präsentieren mit Power-Point“) umfassen. Zeitgemäß besitzen auch etliche Kapitel Hinweise auf Interseiten („Internet-Tipp“). Ein Hinweis auf Wikipedia als Internet-Tipp ist hingegen nicht sonderlich originell und sachdienlich für eine Recherche (S. 153). 

Fazit
Insgesamt weist der Band zahlreiche gravierende Schwächen auf. Stünde dieses Werk in der Fachkonferenz zur Diskussion, ob es als Unterrichtswerk geführt werden sollte, würde es vielfältige gewichtige Gründe geben, die gegen eine Anschaffung bzw. Einführung als Unterrichtswerk sprechen.