Erdkunde, 9./10. Schuljahr, Gymnasium
Geografie 9/10
Herausgegeben von | Ernst, Christian |
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Erschienen | Berlin: Cornelsen, 2009 |
Seitenanzahl | 144 |
ISBN | 978-3-06-064070-6 |
Geeignet für | Brandenburg |
Rezensiert von | Bagoly-Simó, Péter (Wissenschaftler), 10. März 2011 |
Rezension von Bagoly-Simó, Péter (Wissenschaftler)
Wie lassen sich Kulturerdteile, thematische Kapitel und deutsche Landeskunde im selben Schulbuch behandeln? Das Lehrbuch Geografie Klassen 9/10, Ausgabe Brandenburg bietet eine mögliche Antwort auf diese Frage. Der feste Einband mit attraktivem Layout und Format lädt zu einer Entdeckungsreise durch Kulturräume zwischen Amerika und Ozeanien sowie durch Formen des Umgangs mit Ressourcen und deren Folgen auf Natur und Mensch ein.
Autorenkonzept
Das Schulbuch gliedert sich in fünf thematische Kapitel, denen eine Zusammenfassung der wichtigsten Begriffe, ein Register und ein Bildquellenverzeichnis folgen. Angloamerika, Lateinamerika und der australisch-pazifische Kulturraum schließen sich an die Behandlung der anderen Kulturerdteile in der vorigen Jahrgangsstufe an und ergänzen dadurch im Sinne einer Problemländerkunde die Vorstellung der Schülerinnen und Schüler von der Erde. „Globale Zukunftsszenarien und Wege zur Nachhaltigkeit“ lautet der Titel des dritten Kapitels, der die Frage der nachhaltigen Entwicklung auf globaler, regionaler und lokaler Ebene in den Mittelpunkt stellt. An die Nachhaltigkeitsdebatte schließt sich im vierten Kapitel die gegenwärtige geopolitische und wirtschaftliche Positionierung Deutschlands in Europa und der Welt an. Geographische Arbeitsweisen begleiten in diesem Fall nicht einzelne Themen, sondern lassen sich in einem getrennten, das Buch abschließenden, Kapitel nachschlagen.
Selbst wenn die AutorInnen ihr Grundkonzept nicht vorstellen, lassen sich im Schulbuch zwei Ansätze – die Problemländerkunde und der global/regional-thematische Ansatz – identifizieren. Der Aufbau des Werkes entspricht sehr genau den Lehrplanvorgaben, was den Hauptgrund für die Entscheidung für diese Ansätze darstellen könnte.
Die Bausteine des Schulbuchs sind Doppelseiten, die jeweils ein Thema als eine Kombination aus Text, Metatext und Aufgaben behandeln. Selbst wenn keine vorherrschenden Muster in der Anordnung der drei Elemente durchgesetzt werden, befindet sich der Text meistens in der Mitte der Doppelseite. Metatextelemente können den Textfluss unterbrechen oder auch seitlich ergänzen. Eine Vielzahl von verschiedenen Metatextelementen fällt angenehm auf. Selbst wenn die Fotos manchmal recht klein sind, stellt die Größe der Karten, Grafiken und Modelle in der Regel kein Hindernis für den Lernprozess dar. Zur Erschließung der Doppelseiten dienen die jeweils bis zu sieben Aufgaben und Fragen. Zusammenfassungen und Auftaktseiten strukturieren sich auf einer einzigen Seite, bestehen aus knapp verfassten Texten und bis zu drei Fotos.
Autorentext und Materialien
Das Lehrbuch zeichnet sich durch einen sehr anspruchsvollen und kompakt formulierten Text aus. Er nimmt die SchülerInnen als kritisch denkende Individuen wahr, fordert sie aber gleichzeitig durch eine relative Dichte an Fachtermini und eine sparsame didaktische Reduktion. Thematische Doppelseiten reihen sich manchmal hintereinander auf, ohne bewusst und konsequent hergestellte Verbindungen zwischen den einzelnen Themen aufzuweisen. Etwas entschärfend wirken die meist sehr gut gelungenen einleitenden Sätze, die einen Einstieg in die Thematik bieten.
Metatextelemente, wie Karten, Modelle oder Grafiken, zeichnen sich dagegen durch eine konsequente Gestaltung aus. Oft fassen sie nicht nur die Kernaussage zusammen, sondern regen zur kritischen Auseinandersetzung mit einer Thematik an. Besonders angenehm fällt neben der farblichen Gestaltung auch die Vielfältigkeit der Geovisualisierung auf. Die SchülerInnen werden dadurch nicht nur mit dem stark integrativen und synthetischen Charakter ihres Faches, sondern auch mit den mannigfaltigen Wegen der Darstellung geographischer Strukturen und Prozesse in verschiedensten Maßstäben vertraut gemacht.
Die Themen bewegen sich um zwei wichtige Pole: die Dynamik der naturräumlichen Faktoren sowie die Entstehung der Rohstoffe auf der einen Seite und die wirtschaftliche Nutzung auf der anderen Seite. Die verschiedenen thematischen Doppelseiten erarbeiten zahlreiche Facetten des Naturraums und der Nutzung im unmittelbaren Lebensraum der SchülerInnen, in der Bundesrepublik, in Europa und in fernen Kulturen Australiens und Ozeaniens. Die Darstellung entspricht in den meisten Fällen der Dichotomie des Faches Geographie, da die naturräumlichen Faktoren und Rohstoffe oft durch einen physiogeographischen Zugriff eingeführt werden. Der Umgang mit den Ressourcen wird getrennt im Rahmen der Wirtschaftsgeographie behandelt. Allgemeine kulturgeographische Aspekte beleuchten die regional oder prozessual ausgerichteten Themen lediglich aus dem Hintergrund (z. B. kulturgenetische Stadttypen, religionsgeographische Sachverhalte). Eine Integration der verschiedenen geographischen Aspekte erfolgt leider selten. Die Vielfalt der Metatextelemente fordert keine ständige Ergänzung durch Begleitmaterialien. Die Hinweise auf externe Internetseiten deuten auf zuverlässige Quellen hin.
Autorentext und Materialien dieses Schulbuchs fordern durch ihren fachwissenschaftlichen Anspruch zur Reflexion auf. Es ist die Kognition, die fast immer bewusst im Mittelpunkt steht. Trotz klarer Aussagen im Text, wie etwa die Erkenntnis, dass „Wissen allein [...] nicht automatisch zu einem bewussten Verhalten [führt]“ (S. 84), gelingt es dem Schulbuch nicht, das Emotionale und das Affektive aufzugreifen und zu fördern. Wahrscheinlich leistet das Arbeitsheft einen ergänzenden Beitrag zu dem auf Kognition ausgerichteten Lehrbuch.
Fachwissenschaftliche und fachdidaktische Aspekte
In den vorgestellten Kulturerdteilen haben sich verschiedene Wirtschaftsformen und Wege des Umgangs mit Ressourcen etabliert. Die AutorInnen haben sowohl die Ergebnisse der physiogeographischen Forschung über Naturraum, Rohstoffe und Ressourcen, als auch die Erkenntnisse der wirtschaftsgeographischen Forschung berücksichtigt. Selbst wenn keine impliziten Werturteile ausgesprochen werden, können zwei wesentliche Konfliktpunkte identifiziert werden.
Die Vorstellung des Doppelkontinents Amerika unterstreicht wesentliche Unterschiede des Naturraumes, aber auch der etablierten Wirtschaftsformen. Die AutorInnen greifen Amazonien und den amerikanischen Midwest als Fallbeispiele auf, erklären dabei wesentliche klima- und biogeographische Merkmale und verdeutlichen die Grundzüge der Landwirtschaft in den beiden Regionen. In einem weiteren Fallbeispiel wird verdeutlicht, dass die innovationsorientierte US-amerikanische Wirtschaftspolitik einen neuen Wirtschaftsraum (Sunbelt) geprägt hat, während Chile, Bolivien oder Peru ihre Monowirtschaften hauptsächlich auf die Ausfuhr von Rohstoffen stützen. Nach einer ersten Lektüre des Schulbuchs stellt sich die Frage, warum keine Erfolgsgeschichten aus Lateinamerika und auch keine misslungenen Projekte aus den USA vorgestellt werden? Warum findet der „American Way of Life“ als Symbol des oft maßlosen Konsums einen unkritischen Eingang in ein Schulbuch? Tragen die vorgestellten Bilder zum Abbau oder eher zur Bestätigung des Nord-Süd-Konflikts bei?
Verschiedene Formen der Wirtschaft prägen aber nicht nur den Doppelkontinent Amerika und den australisch-pazifischen Kulturraum, sondern auch den unmittelbaren Lebensraum der SchülerInnen. Fallbeispiele aus Brandenburg, Sachsen, Schlesien und dem Baltikum beschreiben die Entwicklungen nach 1990 als eine Umwandlung oder einen Übergang von der sozialistischen Planwirtschaft zur freien Marktwirtschaft. Die AutorInnen verdeutlichen sowohl durch Text als auch durch Metatext, dass der Zeitpunkt identisch und die Grundzüge des Prozesses in allen Fällen ähnlich sind, jedoch wird auf eine gemeinsame Bezeichnung verzichtet. Die geographische Forschung über pfadabhängige Entwicklung im Postsozialismus bleibt in diesem Schulbuch unberücksichtigt. Es ist natürlich der Entscheidung der AutorInnen überlassen, welche Inhalte für eine didaktische Reduktion berücksichtigt werden. Trotzdem stellt sich die Frage, warum ausgerechnet diese spannenden und aktuellen Prozesse aus der Lebenswelt der SchülerInnen, die außerdem implizit die Möglichkeit zur kritischen Auseinandersetzung mit verschiedenen Formen eines hybriden Wirtschaftssystems ermöglichen, außer Acht gelassen werden.
Die Problemorientierung des Schulbuchs spiegelt sich vor allem im dritten, den globalen Zukunftsszenarien und Wegen der Nachhaltigkeit gewidmeten, Kapitel wider. Selbst wenn der Kognition ein wesentlich größerer Raum eingeräumt wird wie den affektiven und emotionalen Aspekten, greifen die thematischen Doppelseiten zentrale Probleme auf verschiedenen Maßstabsebenen auf. Es sind oft die eindrucksvollen und synthetischen Metatextelemente, die Anreize zur kritischen Auseinandersetzung geben. Es bleibt der Lehrkraft überlassen, die vielfältigen Materialien zur Entwicklung der Dialog-, Toleranz- und Empathiefähigkeit im Unterricht gezielt einzusetzen. Wahrscheinlich bietet dabei das begleitende Arbeitsheft durch seine Aufgabenstellung zusätzliche Unterstützung.
Fazit
Das Schulbuch Geografie Klassen 9/10, Ausgabe Brandenburg, verbindet zwei unterschiedliche didaktische Ansätze durch eine ähnlich starke thematische Ausrichtung seiner Bausteine (Doppelseiten). Die AutorInnen zeigen Alternativen, parallele Entwicklungen auf, gewähren Einblicke in unbekannte und bereits bekannte Strukturen und Prozesse fremder Kulturerdteile, versäumen aber wichtige Parallelen und Verflechtungen auf globaler und kontinentaler Ebene zu verdeutlichen. Das mit einem anspruchsvollem Text und wertvollem Metatext ausgestattete Lehrbuch bietet eine gute Arbeitsgrundlage für SchülerInnen und LehrerInnen, die jedoch noch einer besonderen unterrichtlichen Aufbereitung bedarf.