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Geschichte, Oberstufe, Gymnasium

Geschichte und Geschehen 11

Geschichte und Geschehen 11
Herausgegeben von Bender, Daniel et al.
Erschienen Stuttgart: Klett, 2009
Seitenanzahl 351
ISBN 978-312430017-1
Geeignet für Bayern
Rezensiert von Bayer, Christian und Martin Hammerl (Studierende), 24. Februar 2012
Projekt Universität Regensburg, Wintersemester 2011/12

Rezension von Bayer, Christian und Martin Hammerl (Studierende)


„4300017-0101“ – Folgt man diesem Online-Verweis auf  der einleitenden Auftaktdoppelseite, so wird verständlich, warum im ersten Kapitel des „Geschichte und Geschehen 11“ keine einzige Geschichtskarte enthalten ist. Auf der Homepage des Klett-Verlages sind sämtliche kapitelspezifischen  Zusatzmaterialien, vor allem geschichtliche Übersichtskarten, über eben jenen Link abrufbar. Durch diesen gezielten Einsatz des Internets wird nicht nur das Schulbuch als Materialienträger entlastet, sondern gleichzeitig werden die Schülerinnen und Schüler dazu motiviert, sich selbstständig über das im Unterricht Behandelte zusätzlich zu informieren und ihr Wissen zu vertiefen.
Geschichte und Geschehen 11 (2009) für die gymnasiale Oberstufe in Bayern beinhaltet sechs Kapitel, die jeweils sehr ausführlich gestaltet sind. Es umfasst die Zeit vom „Leben in der Ständegesellschaft des 15. bis 18. Jahrhunderts“ (Kapitel 1) bis zum Themenkomplex „Die DDR – eine deutsche Alternative?“ (Kapitel 6). Damit orientiert es sich sehr eng an den vom bayerischen Lehrplan geforderten  Richtlinien und bildet somit inhaltlich eine solide Basis für den Geschichtsunterricht.

Didaktische Philosophie
Ein „spannendes“ und „vielseitiges“ Geschichtsbuch wird uns bereits auf dem Einband versprochen. Das Lehrwerk soll vor allem dazu dienen, die Schülerinnen und Schüler sowohl methodisch als auch inhaltlich optimal auf das Abitur vorzubereiten und sie zu befähigen, eine erfolgreiche Facharbeit oder Projektarbeit zu erstellen. Ebenso setzt man sich zum Ziel, fächerübergreifende Verbindungen zu Themen der Sozialkunde herzustellen, was gerade im Hinblick auf die vom Kultusministerium beschlossene Anbindung des Faches Sozialkunde an das Fach Geschichte in der Oberstufe überaus sinnvoll erscheint. Nicht zuletzt weisen die Autoren auch  darauf hin, dass unterschiedliche Sichtweisen von Historikern zu bestimmten Themenbereichen in diesen Band miteinbezogen wurden, um bei den Schülerinnen und Schülern ein Bewusstsein für wissenschaftliches Arbeiten zu schaffen und auch selbst mit der Primär- und Sekundärliteratur stets kritisch umzugehen. Aus diesem Grunde wird explizit erwähnt, dass „[b]esonderes Augenmerk […] darauf gelegt [wurde]“ (S.7), dass sich die Schülerinnen und Schüler historisches Material eigenständig erschließen können und kritisch auswerten sollen.
Insgesamt kann man also sagen, dass sich die Autoren dieses Bandes insbesondere für den wissenschaftlichen und methodischen Aspekt ehrgeizige Ziele gesetzt haben. Doch können diese auch erfüllt werden?

Gestaltung und Aufbau
Das Inhaltsverzeichnis ist übersichtlich und gut strukturiert. Optisch beziehungsweise graphisch hätte man die Gestaltung aber sicher noch optimieren können. Ein Inhaltsverzeichnis in reiner Schriftform ohne nützliche und sinnvolle Illustrationen wirkt stets etwas ideenlos und für Schülerinnen und Schüler wenig motivierend.
Während die ersten beiden Kapitel die didaktisch gesehen eher schlichten Formulierungen wie „Leben in der Ständegesellschaft des 15. bis 18. Jahrhunderts“ beziehungsweise „Leben in der entstehenden Industriegesellschaft des 19. Jahrhunderts“ tragen, zeigen die folgenden Kapitel für die Schülerinnen und Schüler durchaus ansprechende und zum Nachdenken anregende Formulierungen, wie zum Beispiel Kapitel fünf „Die frühe Bundesrepublik – Erfolg der Demokratie durch ‘Wohlstand für alle‘?“ sowie Kapitel sechs „Die DDR – eine deutsche Alternative?“.
Leider sucht man vergeblich nach einer direkten Ansprache der Autoren an die Schülerinnen und Schüler. Der motivierende Effekt eines Geleitwortes, das sich direkt an die Lernenden richtet, wird oft unterschätzt. Als Einleitung dient somit die zweiseitige Übersicht „Das neue Buch auf einen Blick“. Die Zielsetzungen und der Aufbau des Buches werden knapp, aber sehr verständlich dargestellt. An diesen kurzen Überblick schließt sich dann auch unmittelbar das erste Kapitel an.
Grundsätzlich ähneln sich die Auftaktdoppelseiten (ADS). Anfangs trifft der oder die Lernende auf bildhafte Darstellungen mit einem kurzen Kommentar, die als Einführung und Denkanstoß zum behandelnden Themenkomplex gedacht sind. Den Schülerinnen und Schülern wird also nicht primär ein reiner Autorentext „vorgekaut“, sondern sie werden aufgefordert, sich auch ohne Vorwissen beispielsweise ein Bild über die soziale Frage und die sich wandelnden Lebensbedingungen der Menschen im Zuge der Industrialisierung zu machen. Ergänzt werden die einführenden Kapitelseiten jeweils durch einen Zeitstrahl mit den (freilich subjektiv) wichtigsten Ereignissen der Epoche. Ebenso steht jeweils ein Online-Link zur Verfügung, mit dem sich die Schülerinnen und Schüler bei Bedarf noch weitere Informationen beschaffen können. Die ADS zu jedem Kapitel sind außerdem durch sorgfältig ausgewählte und brauchbare Bildmaterialien sowie Leitfragen sehr gelungen.
Die Unterpunkte der jeweiligen Kapitel beginnen mit durchaus übersichtlich gestalteten Autorentexten. Die Absätze sind klar strukturiert und werden durch die vorhandenen Marginalien gelungen ergänzt. Wichtige Begriffe wie zum Beispiel „Oktoberedikt“, „Reichsritter“ oder „Hambacher Fest“ werden graphisch durch das Symbol einer Lupe hervorgehoben und können im Glossar nachgeschlagen werden. Die Idee hierzu ist nicht neu, dennoch unverzichtbar und optisch gut gelöst. Allerdings ist es sehr verwunderlich, dass bei über 300 Seiten das Glossar mit lediglich drei Seiten und 25 Definitionen etwas dürftig ausfällt. Einige Begriffe bleiben ohne Nachfragen beziehungsweise ohne Nachschlagen in einem Fachlexikon unklar. Es fällt auf, dass hier nicht sorgfältig gearbeitet wurde. In der alphabetischen Anordnung sind den Autoren Fehler unterlaufen. „Freikorps“ und „Fugger/Welser“ erscheint plötzlich vor „Dawes-Plan“. Anschließend taucht „Fugger“ noch einmal, dieses Mal korrekterweise, nach „DDP“ auf. Die aufgeführten Begriffe sind recht knapp, aber verständlich erklärt. Leider werden hier nur bei den Begriffen „Fugger/Welser“ sowie „Soziale Marktwirtschaft“ Online-Links angeboten, um sich noch ausführlicher mit dem Thema zu beschäftigen. Hier wäre es wünschenswert und sinnvoll gewesen, auf den Onlineseiten zusätzliches Material und ausführlichere Informationen (z.B. für „Konfessionskriege“ oder „Zwangsarisierungen“) zur Verfügung zu stellen.
In Bezug auf die formale Gestaltung muss allerdings kritisiert werden, dass zwischen Quellen und Darstellungen im Materialienteil in keiner Weise unterschieden wird. Die einzelnen Materialien werden lediglich mit fortlaufenden Nummern in einem blauen Kasten markiert. Vermutlich soll dies der Vereinfachung dienen und die Schülerinnen und Schüler nicht unnötig verwirren. Leider wird dieser Fehler unverständlicherweise in den meisten Geschichtsschulbüchern immer wieder begangen. Eine eindeutige Unterscheidung zwischen Quellen und anderen Materialien ist absolut notwendig, um bei den Schülerinnen und Schülern das Bewusstsein für einen soliden Umgang mit historischen Materialien zu fördern.

Inhalt
Die einzelnen Kapitel sind sehr umfangreich und bieten insgesamt ausreichend Informationen an. Die Autorentexte sind im Ganzen verständlich formuliert und bieten einen guten Überblick. Abgerundet werden die Texte durch meist vier bis fünf schriftliche Quellen zum jeweiligen Themenkomplex. Auch die Quellentexte sind nicht selten umfangreich, für die Oberstufe aber durchaus angemessen und dienen zur Vertiefung. Die angegebenen Bildquellen sind meist sehr hilfreich. Nur einige Male wird nicht ganz deutlich, warum man beispielsweise zum Kapitel „Die Juden in Bayern – eine nicht immer geduldete Minderheit“ (Seite 58) den Kommentar eines Krakauer Rabbis zur Tora abbildet. Ebenso erscheint zum Gebiet Seuchen und Epidemien (Seite 31) plötzlich Bildmaterial zum „Kampf der Landesknechte in der Schlacht bei Pavia“, welches in diesem Zusammenhang dem Autorentext nicht zugeordnet werden kann und daher unbrauchbar ist. Deplatziertes Bildmaterial ist auf den etwa 320 Seiten allerdings die Ausnahme.
Abgerundet werden die einzelnen Unterkapitel mit Arbeitsvorschlägen. Diese sind, wie bereits im Vorwort (Das neue Buch auf einen Blick) betont, ausdrücklich als Vorschläge gedacht und „sie zu modifizieren ist Sache aller im Lernprozess Beteiligten“ (S. 7). In der Tat geben die Arbeitsvorschläge anregende Denkanstöße. Oft regen die Aufgaben auch dazu an, Gegenwartsbezüge herzustellen, um durch die Verknüpfung mit dem „Hier und Heute“ für ein besseres Geschichtsverständnis zu sorgen (z.B. Verhältnis der Geschlechter in der Weimarer Republik und der BRD oder auch Phänomene der Wirtschafts- und Sozialpolitik in der Industrialisierung und heute). Allerdings hat man es manchmal auch etwas zu gut gemeint und nur schwer zu realisierende Arbeitsaufträge vorgeschlagen. So sollen sich die Schülerinnen und Schüler beispielsweise über Hexenprozesse in ihrer Region/Heimat informieren (S. 37). Diese Thematik mag zwar für die Schülerinnen und Schüler sehr interessant sein, allerdings dürfte es für manche Regionen eher schwierig sein, an brauchbare Informationen bezüglich Hexenverfolgung zu kommen.
Darüber hinaus wird man dem Anspruch nach Multiperspektivität insgesamt gerecht. Die angebotenen Quellen bieten in einzelnen Kapiteln meist sehr brauchbare Gegenüberstellungen unterschiedlicher Perspektiven. Beispielweise werden die Schülerinnen und Schüler dazu motiviert, unterschiedliche Aussagen zum Nutzen und  Schaden der Eisenbahn zu analysieren. Ferner werden die Ansichten von Ludwig Erhard und dem Deutschen Gewerkschaftsbund (beide Aussagen aus dem Jahr 1949) zum Aufgabenbereich „Für und wider die Marktwirtschaft“ gegenübergestellt. Das Bewusstsein für Multiperspektivität wird weiter dadurch gestärkt, dass man im Quellenteil nicht selten unterschiedliche und kontroverse Meinungen einzelner Historiker gegenüberstellt, durch welche die Schülerinnen und Schüler wiederum für das Problem von Selektion und Perspektivität in der Geschichtswissenschaft sensibilisiert werden. Freilich wird dem Anspruch nach Multiperspektivität nicht in jedem Kapitel mit dem gleichen Erfolg Rechnung getragen. Allerdings bieten die Autoren mit dem angebotenen Quellenmaterial insgesamt eine respektable Basis, die bei Lehrkräften und der Lerngruppe zur Stärkung des historischen Denkens und des Bewusstseins für unterschiedliche Perspektiven und Aussagen beiträgt.

Methoden
Eingangs wird Lehrkräften und Lernenden versprochen, dass die Autoren „[b]esonderes Augenmerk“ (S. 7) auf das Methodentraining gelegt hätten. Leider wird man diesem Anspruch nicht gerecht. Die jeweiligen Themen wie zum Beispiel Filminterpretation, Internetrecherche, Erstellen einer Facharbeit usw. sind zwar sehr sinnvoll ausgewählt, fallen mit jeweils nur zwei Seiten aber insgesamt zu knapp aus. Der Methodenteil schließt sich jeweils dem Gesamtkapitel an. Unverständlicherweise wird dieser nach Kapitel drei durch eine zweiseitige Übersicht „Grundwissen“ ersetzt, in der lediglich Forschungsmeinungen zu den Ursachen des Scheiterns der Weimarer Republik vorgestellt werden. Einen Anreiz für die Schülerinnen und Schüler, an dieser Diskussion selbst aktiv teilzunehmen, sucht man vergeblich. Nach Kapitel vier („Hitlers willige Volksgenossen? Die Deutschen und der Holocaust“) fehlt ein Methoden- oder Grundwissensteil sogar komplett. Der Grund hierfür wird nicht genannt und ist nicht nachvollziehbar. Der Methodenteil nach Kapitel sechs hingegen (Die DDR – eine deutsche Alternative?) bietet eine sehr gelungene Anleitung und Einführung für das Erstellen einer Facharbeit, die übersichtlich gestaltet und klar formuliert ist.
Insgesamt wird das Buch seinem Anspruch, besondere Aufmerksamkeit auf das Methodentraining zu legen, leider nicht gerecht. Vielleicht wäre es sinnvoller gewesen, die einzelnen Autorentexte etwas zu kürzen und im Gegenzug den Methodenteil ausführlicher zu gestalten.

Fazit
Trotz der Mängel im Methodenteil und einiger weiterer Kritikpunkte hat der Klett-Verlag mit „Geschichte und Geschehen 11“ ein für den Oberstufenunterricht sehr brauchbares und hilfreiches Geschichtsschulbuch vorgelegt. Die Autorentexte sind der Oberstufe angemessen und fachwissenschaftlich fundiert. Die optische Gestaltung der einzelnen Kapitel ist insgesamt sehr gelungen. Ebenso sind die Quellen behutsam ausgewählt und die Arbeitsvorschläge liefern nützliche Anreize zur Festigung und Vertiefung des erworbenen Wissens. Somit ist dieses Lehrbuch für den Geschichtsunterricht in der Oberstufe durchaus empfehlenswert.


Lizenz: CC BY-ND 4.0 Lizenz „Namensnennung – Keine Bearbeitungen 4.0 International“ (CC BY-ND 4.0)


Info Zitation Bayer, Christian und Martin Hammerl. Rezension zu: Geschichte und Geschehen 11 von Bender, Daniel et al. (Hg.). Stuttgart: Klett 2009, ISBN 978-312430017-1, Edumeres 2012, https://edu-reviews.edumeres.net/rezensionen/rezension/bayer-christian-und-martin-hammerl/, zuletzt geprüft am 26.03.2024.

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