Ethik / Philosophie, 9./10. Schuljahr, Oberstufe, Gymnasium
Weiterdenken Band C
Herausgegeben von | Backhaus, Stefanie et al. |
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Erschienen | Braunschweig: Schroedel, 2012 |
Seitenanzahl | 480 |
ISBN | 978-3-507-70207-3 |
Geeignet für | Hessen, Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt, Sachsen, Saarland, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Hamburg, Bremen, Brandenburg, Berlin, Thüringen |
Rezensiert von | Bockshorn, Anton und Tim Senftinger (Studierende), 26. März 2014 |
Projekt | Justus-Liebig-Universität Gießen, Wintersemester 2013/14 |
Rezension von Bockshorn, Anton und Tim Senftinger (Studierende)
Einleitung
Die Kunst, ein gutes Schulbuch zu konzipieren, besteht gerade für den Ethik- und Philosophieunterricht darin, das Interesse der Schülerinnen und Schüler für bestimmte Themengebiete zu wecken, Fragen aufzuwerfen und sie dazu zu motivieren, sich mit den gebotenen Inhalten auseinanderzusetzen. Dies versucht Weiterdenken: Band C (2012) – ein Schulbuch für die Oberstufe des Philosophie- bzw. Ethikunterrichts – über den Einsatz von Geschichten, literarischen Texten und Filmen umzusetzen.
Zunächst dienen diese Medien dazu, einen Einstieg in die jeweiligen thematisch-gegliederten Kapitel zu finden, in denen dann Grundfragen der Philosophie und Ethik behandelt werden. Insbesondere im ersten Teil – dem Einführungskurs in das philosophische Denken – bildet Homers Odyssee den Rahmen für die Auseinandersetzung mit Fragen nach dem Wesen des Menschen, seinem Verhalten anderen Menschen gegenüber, dem Einsatz von Vernunft und Wissen und der Sinnfrage aufgrund der Unabwendbarkeit des Todes.
Inhaltlicher Aufbau
Während das erste Kapitel zur Anthropologie mit dem Sechsten Gesang aus Homers Odyssee beginnt, kommen in anderen Kapiteln auch literarische Texte, Comics, Plakate, Zeichnungen, Karikaturen, Gemälde, Gedankenexperimente, Musiktitel und Filme zum Einsatz. Beispiele sind etwa die Filme Matrix (1999) als Einstieg in das Themengebiet der Erkenntnistheorie und Metaphysik und A.I. Künstliche Intelligenz (2001), der die Frage nach menschlichen Spezifika geradezu provoziert. Hierbei lässt sich festhalten, dass sorgfältig ausgewählte filmische Szenenfotos einen essentiellen Beitrag zu einer gezielten Fokussierung und Bearbeitung von Arbeitsaufträgen leisten.
Ein gelungenes Beispiel für den Einsatz eines literarischen Textes stellt der Roman Demian. Die Geschichte von Emil Sinclairs Jugend von Hermann Hesse. Dieser ist – eingebettet in das Themengebiet der Moralreflexion – hervorragend dafür geeignet, den Zwiespalt zwischen Gut und Böse zu verdeutlichen und gleichzeitig einen Lebensbezug zu den Schülerinnen und Schülern herzustellen, da es um das Erwachsenwerden und damit verbundene Herausforderungen geht. Die Auseinandersetzung mit moralischen Werten wird hierbei in den Vordergrund gestellt, die Rolle der Kindheit untersucht und durch die Verbindung mit alternativen bzw. unkonventionellen Ansichten werden schließlich kontroverse Diskussionen gefördert.
Weitere Hinführungen sind das Gedankenexperiment „Gehirne im Tank“, diverse Gemälde (genannt seien in diesem Kontext etwa die Künstler Salvador Dalí, Lorenz Withalm, Max Slevogt und Maurits C. Escher), ein aus der NS-Zeit stammendes Propagandaplakat, das die Hitlerjugend im Rahmen der Politischen Philosophie thematisiert sowie viele weitere Medien.
Die funktionale und didaktisch-methodische Bedeutung dieser Vielzahl unterschiedlicher Medien ist gerade im Hinblick auf die Anknüpfung an die Lebenswelt und Vorstellungen der Lernenden eine positiv zu bewertende Besonderheit.
Zu Beginn des Buches wenden sich Verlag und Autorenteam auf einer Doppelseite direkt an den Leser und stellen den Aufbau und das Konzept vor. Auf den bereits erwähnten Einführungskurs zum philosophischen Denken folgen fünf Hauptkapitel, die inhaltlich die Themen des Einführungskurses wiederaufnehmen und ausführlicher behandelt werden. So wird etwa neben den Themen Anthropologie, Ethik, Politische Philosophie, Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie die Metaphysik um die Religionsphilosophie erweitert.
Analyse des Inhalts
Basierend auf dem sogenannten „Bonbon-Modell“ (s. S. 9) des Lernprozesses besteht das Ziel der Autoren darin, unterschiedliche methodische Kompetenzen in den einzelnen Lernphasen zu fördern. Im Folgenden wird dieses Modell anhand eines ausgewählten Kapitels exemplarisch vorgestellt. Es handelt sich hierbei um das im Themenblock der Anthropologie angesiedelte Unterthema ‚Die Freiheit des Menschen‘ (S. 157ff.), an das die Schülerinnen und Schüler auf eine äußerst motivierende Weise herangeführt werden – über den Film Into the Wild (2008).
Ein einleitender Text stattet die Leser zunächst einmal mit dem notwendigen Hintergrundwissen aus. Dieses enthält u.a. Informationen über Christopher McCandless, dessen Geschichte der Journalist John Krakauer anhand von Tagebucheinträgen, Postkarten und Interviews in Form einer Reportage rekonstruiert hat. Die erste Aufgabe bezieht sich auf eine zentrale Stelle des auf Krakauers Buch basierenden Films von 2008 und fordert dazu auf, die Reaktion des Protagonisten über die Erörterung seiner Handlungsmotive zu verdeutlichen.
Darauf folgt die zweite Aufgabe, die – mit der ersten Aufgabe zusammenhängend – zwei Lebensentwürfe thematisiert und nach der persönlichen Meinung der Leserin bzw. des Lesers fragt. Ein Austausch über die jeweiligen individuellen Gründe, welchem Entwurf man sich eher anschließen könnte, rundet den ersten Teil des „Bonbon-Modells“ – die Hinführung – ab.
Anschließend wird der Fokus auf die Problemstellung gerichtet. Hervorzuheben sei an dieser Stelle ein gestalterisches Merkmal des Lehrwerks Weiterdenken: Band C (2012): der Leserhinweis, der Informationen darüber beinhaltet, worum es im Folgenden geht. Im hier gewählten Beispiel ist es die Frage, ob es erstrebenswert ist, sich von allem unabhängig zu machen. Diese Hinweise befinden sich – in farbig unterlegten Kästen eingebettet – durchgehend in allen Kapiteln und erfüllen erfolgreich die Funktion, eine Orientierung und Vorbereitung für die folgenden Inhalte zu liefern.
Den Hauptteil des „Bonbon-Modells“ bilden die selbstgesteuert-intuitive und die angeleitet-kontrollierte Problemlösung. Während erstere beispielsweise mit Assoziationen zu Bildern oder Thesen arbeitet, ist letztere insofern zielgerichteter, als dass sie sich auf Textarbeit unter expliziten Fragestellungen bzw. Foki stützt und den Lernprozess in diesem Sinne direkt steuert. Beide Aufgabentypen treten innerhalb der Blöcke gemischt auf und sind nicht scharf voneinander getrennt. Eine erfolgreiche Problemlösung ist gerade deshalb möglich, weil sich beide Prozesse stets gegenseitig ergänzen. Es sollte in diesem Kontext angemerkt werden, dass die Schülerinnen und Schüler dabei nicht in den Hintergrund geraten, sondern mit ihren (unterschiedlichen) Intuitionen berücksichtigt und einbezogen werden.
Die Phase der Sicherung hat das Ziel, bisher gelernte Begriffe oder Werte zu festigen. Umgesetzt wird sie etwa durch Diskussionen, die auf Thesen oder zentralen Kernbegriffen basieren und bereits zuvor gemeinsam erarbeitet wurden. Durch das Verwenden von fachsprachlichen Ausdrücken verinnerlichen die Schülerinnen und Schüler diese nicht nur, sondern lernen auch, sich fachsprachlich angemessen auszudrücken.
Schließlich ist auch der Transfer Bestandteil des „Bonbon-Modells“. Dieser dient dazu, bisher Gelerntes auf andere bzw. neue Sachverhalte und Bereiche anzuwenden und zu diesen Stellung zu nehmen. So sollen die Schülerinnen und Schüler beispielsweise einen Text von Arnold Gehlen über Institutionen lesen und anschließend den Institutionsbegriff auf ihr Leben anwenden oder die Freiheitsvorstellung des Protagonisten Christopher (aus Into the Wild (2008)) im Hinblick auf die Frage, ob eine Liebesbeziehung dazu passt, diskutieren. Auf diese Weise wird Theorie geschickt mit der Lebenswelt und den Vorstellungen der Lernenden verbunden und eine Auseinandersetzung mit den Inhalten gefördert.
Aufgaben
Grundsätzlich ist die Auswahl der Aufgabentypen ausgewogen, durchdacht und präzise formuliert. Innerhalb der zusammenhängenden Aufgabenblöcke bauen die Aufgaben additiv aufeinander auf und führen den Lernenden von der Aktivierung des Vorwissens zur abschließenden kritischen Urteilsbildung. Hierbei sind sowohl innere als auch äußere Schülerhandlungen gefordert, die durch Operatoren wie das Betrachten, Analysieren, Entnehmen, Interpretieren, Notieren, Übertragen, Bewerten, Diskutieren, Erläutern, Beschreiben oder Entwerfen ein abwechslungsreiches Programm bieten. Allerdings verzichtet das Lehrwerk auf ein Differenzierungsangebot. Eine mögliche Leistungs- und Interessendifferenzierung ist mit dem umfangreichen Material dennoch möglich und kann von der Lehrperson individuell vorgenommen werden.
Das Schulbuch versucht stets, die bereits erwähnten unterschiedlichen Medien mit Quellenmaterial zu verbinden. Im Falle der bereits erwähnten Verfilmung Into the Wild (2008) erfolgt etwa thematisch eine Verbindung zu Sartre, Schopenhauer und Kant, die alternative und zum Denken anregende Blickwinkel ermöglicht. Das Resultat sind unterschiedliche Positionen – und insofern Polyperspektivität –, wodurch der Aufbau der eigenen Meinungs- und Urteilsbildung der Schülerinnen und Schüler gefördert und ein zusammenhängendes Denkgebäude errichtet wird.
Es sei darauf hingewiesen, dass das textdominierte Lehrwerk ein hohes sprachliches Niveau aufweist, ohne die Schülerinnen und Schüler der Oberstufe zu unter- oder überfordern. Ganz im Gegenteil: Die Jugendlichen werden gefördert und auf die Zukunft vorbereitet, indem sie Kompetenzen erwerben, die für ihren Lebensweg relevant sind bzw. sein können.
Methoden und Kompetenzen
Im Anhang befindet sich eine Methodensammlung mit leicht verständlichen Erläuterungen der einzelnen Methoden. Das Kennenlernen, Einüben und Anwenden zentraler (fach-)wissenschaftlicher Methoden erfolgt durch die subtile Verbindung mit Aufgabenstellungen. So gibt es etwa die Aufgaben, den Gedankengang eines Autors anhand der PLATO-Methode zu rekonstruieren oder einen Text mithilfe der Struktur-Lege-Technik zu veranschaulichen. Die Verweise auf die Methoden werden dabei innerhalb der Aufgabenstellungen mit Seitenzahlen gegeben, sodass die Lernenden nachlesen können, worum es sich bei der jeweiligen Methode handelt, wie sie funktioniert und wie sie die Aufgabe erfolgreich lösen können.
Ein weiterer Bestandteil des Anhangs ist eine Sammlung der zentralen Begriffe der einzelnen Unterkapitel. Diese dienen einerseits als nützliches und übersichtliches, nach Kapiteln gegliedertes Nachschlagewerk, andererseits der Selbstkontrolle der Sachkompetenz.
Am Ende eines jeden Kapitels wird auf Wiederholungen oder Zusammenfassungen verzichtet. Stattdessen enden die Lerneinheiten mit Übungen zu einer (möglichen) Klausur und tragen damit nicht nur zur Wiederholung und Festigung des Gelernten bei, sondern zeigen den Schülerinnen und Schülern auf, wie eine Klausur aussehen könnte. Besonders gelungen ist hierbei der beigefügte Erwartungshorizont, der die Anforderungen transparent macht und somit auch für diejenigen Lernerinnen und Lerner gut geeignet ist, die unter Unsicherheit oder gar Prüfungsangst leiden.
Das Schulbuch weist sowohl eine altersangemessene als auch kompetenz- und problemorientierte Ausrichtung auf. Hierbei wird neben den methodischen auch auf die (Weiter-)Entwicklung von personalen und sozialen Kompetenzen Wert gelegt. Zentrale Begriffe sind in diesem Kontext etwa Reflexion, Urteilsfähigkeit, Anerkennung und Achtung, Empathie, Respekt und Toleranz oder auch Kennenlernen und Erörtern der Grundprobleme moralischen Handelns. Erwähnens- und lobenswert ist auch, dass das Schulbuch auf Stereotypen verzichtet: So werden beispielsweise beim Fußballspielen sowohl Jungen als auch Mädchen abgebildet oder etwa im Rahmen der wissenschaftlichen Erkenntnis eine junge Frau mit Migrationshintergrund.
Fazit
Insgesamt besticht das Werk durch ein für den Oberstufenunterricht angemessenes Verhältnis von Text- und Bildanteilen, ein qualitativ überzeugendes Layout, einen stabilen Einband und hochwertiges Papier. Zusätzlich bietet der Verlag Schroedel ein dazugehöriges Lehrerhandbuch, welches neben Erläuterungen und Kommentaren zu den einzelnen Kapiteln auch Zusatzmaterial enthält.
Weiterdenken: Band C (2012) – bereits der Titel impliziert einen hohen Anspruch seitens der Autoren, der durch die Materialauswahl und Aufgabenstellungen erfolgreich umgesetzt wird. Es handelt sich um ein insgesamt überzeugendes Lehrwerk für den gymnasialen Unterricht der Fächer Ethik, Praktische Philosophie und Werte und Normen.