Ethik / Philosophie, 5./6. Schuljahr, Realschule, Gymnasium, Gesamtschule
Denkträume wagen 1
Herausgegeben von | Brüning, Barbara |
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Erschienen | Berlin: Cornelsen, 2018 |
Seitenanzahl | 192 |
ISBN | 978-3-06-065669-1 |
Geeignet für | Hessen |
Rezensiert von | Borchers, Lena und Jana Daemen (Studierende), 29. November 2018 |
Rezension von Borchers, Lena und Jana Daemen (Studierende)
Einleitung
„Denk(t)räume wagen“ – der viel versprechende Titel des Schulbuches ergänzt sich stimmig mit dem Coverfoto: Ein großer Heißluftballon fliegt über eine weite Landschaft. Einer der ältesten Menschheitsträume, das Fliegen, ist wahr geworden. Obwohl es lange unmöglich schien, konnte sich der Mensch schließlich durch die Gedanken, Berechnungen und kreativen Ideen von klugen Köpfen in die Lüfte erheben. Damals wie heute sind Wagnisse und Träume von Bedeutung, um sich manche ungeahnte Möglichkeit erschließen zu können.
Aufgabe der Schule und insbesondere des Ethik-/Philosophie-Unterrichts ist es, die Schülerinnen und Schüler zum Denken anzuregen und dies zu fördern. Die Heranwachsenden üben sich im Reflektieren und Philosophieren, wagen Gedankenexperimente, entdecken neue Perspektiven und erschließen sich so die philosophische Themenvielfalt. Auch das Abschweifen der Gedanken ist hier willkommen, was im Alltag oft zu kurz kommen mag. Denn dies führt in manchen Situationen erst dazu, dass sich neue, ausgefallene Ideen entwickeln, weshalb es wichtig ist, dem Denken Raum zu geben.
Die Covergestaltung motiviert dazu, dieses Schulbuch zu nutzen, um die hier genannten Aspekte gut in den Unterricht einbringen zu können. Die folgende Rezension soll aufzeigen, ob der Inhalt des Buches hält, was das ansprechende Cover verspricht.
Cover und Aufbau
Die motivierende Einladung wird in der Begrüßung der Schülerinnen und Schüler fortgeführt. Das Autorenteam stellt freundlich und dem Alter der Schülerinnen und Schüler entsprechend das Konzept des Buches vor und verweist auf wichtige illustrative Elemente: Ein Charakteristikum des Schulbuchs ist der sprichwörtliche „rote Faden“, der Schülerinnen und Schülern helfen soll, sich beim Entwickeln eigener Gedanken nicht zu verirren. Dieser „rote Faden“ lässt sich als graphisches Element nicht nur auf dem Cover und im Inhaltsverzeichnis wiederfinden, sondern führt auch durch die einzelnen Kapitel. Sein mythologischer Ursprung in der Antike sowie seine gegenwärtige Bedeutung werden in dieser Begrüßung dargestellt. Zudem wird hier auch Theseus vorgestellt. Stimmig ist in diesem Zusammenhang der Hinweis auf die Eule der römischen Minerva bzw. der griechischen Athene, der Göttin der Weisheit, die in diesem Schulbuch die etwas kniffligeren Aufgaben markiert. Aus didaktischer Sicht wird hiermit der Differenzierung in leichtere und anspruchsvollere Aufgaben für unterschiedliche Leistungsniveaus der Schülerinnen und Schüler Rechnung getragen.
Das Inhaltsverzeichnis weist optisch eine übersichtliche Struktur auf. Es gibt elf Kapitel, welche wiederkehrende Kategorien beinhalten, die jeweils mit einer spezifischen Farbe hervorgehoben sind. Diese Kategorien lauten:
- „Wir philosophieren“: eine Einführung in verschiedene Methoden der Ethik und Philosophie
- „Philosophisches Forum“: Gegenüberstellung verschiedener Standpunkte zur Anregung von Diskussionen
- „Der besondere Text“: optionale, über das eigentliche Unterrichtsthema hinausgehende Inhalte
- „Exklusiv“: von Schülerinnen und Schülern geführte Interviews mit Theologen, Sportlern etc.
- „Wissen und Verstehen“: Zusammenfassung des Kapitels auf einer Doppelseite
Dabei ist nicht jede Kategorie in jedem Kapitel vertreten. Das Inhaltsverzeichnis wird untermalt von Comic-Abbildungen, die inhaltliche Elemente thematisch aufgreifen.
Die Kapitel sind inhaltlich an Lehrplan und Kerncurriculum angelehnt. Das Schulbuch präsentiert eine vergleichsweise große thematische Vielfalt. Diese reicht von Fragen nach Identität, Gemeinschaft, Freundschaft und Liebe, (Un-)Glück, Gerechtigkeit, Konflikten und deren Bewältigung über die Behandlung der Weltreligionen bis hin zum Umgang mit der Natur und mit digitalen Medien. Eine Besonderheit des Buches sind u.a. Zugänge zur Erklärung der Welt über die Reflexion der eigenen Wahrnehmung sowie die Thematisierung der weltweiten Ernährungsgerechtigkeit.
Die einzelnen Kapitel beginnen jeweils mit einer Doppelseite, die in das Thema einführt. Hier finden sich große Fotos, Comics, Fragebögen oder Zitate als motivierender Einstieg. Außerdem wird auf den angestrebten Lernzuwachs und damit zusammenhängende Kompetenzen verwiesen. Am Ende eines jeden Kapitels (Kategorie: „Wissen und Verstehen“) verdichtet sich der „rote Faden“ zu einem Fadenknäuel. In diesem Knäuel stehen zentrale Begriffe und auch Namen von Autorinnen und Autoren aus dem vorangegangenen Kapitel, die zur Wiederholung genutzt werden können.
Der Anhang bietet ein „Minilexikon“ über Personen und Begriffe sowie Erläuterungen zu Methoden und Arbeitstechniken. Außerdem ist auf der letzten Doppelseite – in stimmiger Anlehnung an den mythologischen Kontext des „roten Fadens“ – ein Wegweiser „durch das Labyrinth der Welt“ dargestellt, wobei die Philosophie und ihre verschiedenen Methoden dabei als „Kompass“ dienen. Verschiedene grundlegende Arbeitstechniken der Philosophie sind hier in Stichworten aufgefächert. Dieser Abschluss ist optisch sehr ansprechend gestaltet mit vielen Details und bildlichem Rückbezug auf die Einleitung mit Theseus und der Eule der Minerva.
Zusammenfassend erscheint das Konzept auf den ersten Blick stimmig, wird jedoch bei näherer Betrachtung selten sinnstiftend weitergeführt und angewendet. Diese Differenz soll nun näher beleuchtet werden.
Umsetzung der Konzeption
Unser positiver erster Eindruck des Schulbuchs blieb leider nicht bestehen. Bereits auf dem Coverfoto fällt bei genauerem Hinsehen auf, dass im Korb des Heißluftballons ausschließlich Erwachsene stehen, was bei einem Schulbuch für die 5. und 6. Klasse unangebracht scheint. Auch die Begrüßung enthält Unstimmigkeiten.
Die Eule als Symbol für Aufgaben mit erhöhtem Anforderungsniveau ist eine gute Idee zum didaktisch differenzierten Einsatz verschiedener Aufgaben des Buchs, jedoch sind die entsprechend markierten Aufgaben nicht unbedingt schwieriger als nicht markierte Aufgaben. Teilweise beziehen sie sich inhaltlich nicht auf das Thema.
Der ebenfalls in der Einleitung vorgestellte „rote Faden“ soll den Schülerinnen und Schülern dabei helfen, Lösungen für „schwierige (Denk-)Aufgaben“ zu finden, so wie er Theseus beim Finden des Weges aus dem Labyrinth des Minotaurus geholfen hat. Im Buch wird er anschließend jedoch lediglich zur Strukturierung der Kapitel verwendet, eine unterstützende Funktion beim Bearbeiten der Aufgaben ist nicht ersichtlich. Daher hat der „rote Faden“ im Buch keine inhaltliche oder didaktische, sondern lediglich illustrative Funktion. Auffallend ist zudem, dass er im „Labyrinth der Welt“ auf der letzten Doppelseite nicht auftaucht, obwohl dort bildlich auf den mythologischen Kontext zurückgegriffen wird.
Auch die Figur des Theseus taucht, mit Ausnahme der letzten Doppelseite, nicht mehr im weiteren Verlauf des Buchs auf. Hier wäre ein wiederholtes Auftauchen dieser Figur in den Kapiteln schlüssig gewesen, wenn sie schon prominent in der Einleitung vorgestellt wird. Die Funktion der farbigen Kategorien aus dem Inhaltsverzeichnis ist zwar verständlich, jedoch hätte hier eine Legende zur genaueren Erläuterung und Strukturierung dem Buch gut gestanden.
Blick ins Buch
Exemplarisch wird nun Kapitel 2 des Buches näher beschrieben. Dabei sind uns einige Aspekte aufgefallen, die wir für weniger gelungen halten. Entsprechende Kritikpunkte lassen sich auch in den übrigen Kapiteln finden.
Das Kapitel trägt die Überschrift „Miteinander“ und umfasst mehr als 20 Seiten, womit es zu einem der längeren Kapitel gehört. Inhaltlich werden Formen des familiären Zusammenlebens, die Bedeutung von Werten, Normen und Regeln, Fremdsein und Vertrautheit, Nähe und Distanz sowie Anderssein thematisiert. Kritisch erscheint hier, dass diese Punkte zum einen leider nur oberflächlich behandelt werden. Zum anderen finden sich diese Themen, wenn auch in anderen Kontexten, häufig in den übrigen Kapiteln wieder, sodass sich dieses Kapitel nicht scharf von den anderen abgrenzen lässt. Dies hätte sicherlich zu mehr Struktur geführt. Hierzu gehören bspw. die Themen Anderssein, Identität und Behinderung. Passender wären hier eine reduzierte Themenauswahl und eine kritischere, tiefere Auseinandersetzung gewesen. In der dargebotenen Form fehlt dem Kapitel jedoch das Alleinstellungsmerkmal.
Zur Verwendung von Abbildungen kann gesagt werden, dass auf jeder Buchseite mindestens ein Bild oder ein Foto abgedruckt ist, was zur Auflockerung textlastiger Seiten beiträgt. Dabei ist die Foto- und Bild-Auswahl jedoch nicht immer gelungen. Bilder werden häufig lediglich illustrativ verwendet oder eignen sich nicht für eine thematische Auseinandersetzung. Hierzu zählt beispielsweise ein Such-Bild (auf Seite 30) unter der Überschrift „Meine Familie“. Das Bild ist verwirrend und wirft viele Fragen auf, bei denen auch die verknüpften Aufgaben keine Hilfestellung leisten. Die Schülerinnen und Schüler sollen die Beziehungen zwischen den abgebildeten Menschen, Tieren und Gegenständen beschreiben. Für die Bewältigung gibt es allerdings keine einheitlichen Symbole oder Anhaltspunkte im Bild, sodass die Intention hinter dem Bild nicht klar wird. Überzeugender ist die Verwendung der Comics: Sie sind überwiegend textunterstützend, jedoch fehlen auch hier konkrete Bezüge in den Texten. Bildunterschriften fehlen überwiegend.
Der Text-Aufgaben-Bezug ist überwiegend gelungen und auch denkfördernd gestaltet. Auf einigen Seiten stehen Text und Aufgaben jedoch in keiner Beziehung zu einander bzw. sind ungünstig aufeinander abgestimmt. So findet sich etwa ein Auszug aus Paul Maars Roman „Neben mit ist noch Platz“ (Seite 34f.). Hier wird die eigentliche Botschaft des Originaltextes durch die Aufgabenstellungen in ihr Gegenteil verkehrt: Die verknüpften Aufgaben fokussieren auf Gegensätze und Vorurteile, sodass eher ein Gegeneinander als ein Miteinander der Kulturen provoziert wird.
Fazit
Das Schulbuch „Denk(t)räume wagen“ weist gute konzeptionelle Ideen auf, welche dann jedoch nicht folgerichtig umgesetzt und angewendet werden. Teile des Buches können durchaus im Unterricht zum Einsatz kommen, jedoch erscheint uns kein einziges Kapitel als schlüssige, denkfördernde Einheit, welche ohne Abänderung im Ethikunterricht der 5. und 6. Klassen verwendet werden sollte.