Sozialkunde / Politik, 7./8. Schuljahr, Realschule
Demokratie heute – Politik 7/8
Herausgegeben von | Brockhausen, Alfons et al. |
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Erschienen | Braunschweig: Schroedel, 2006 |
Seitenanzahl | 240 |
ISBN | 978-3-507-10385-6 |
Geeignet für | Nordrhein-Westfalen |
Rezensiert von | Breit, Gotthard (Wissenschaftler), 1. Mai 2008 |
Reihe | Demokratie heute |
Rezension von Breit, Gotthard (Wissenschaftler)
Einleitung
Das Schulbuch hat viel Lob, aber auch grundsätzliche Kritik verdient. Schon beim ersten Durchblättern ist man als Leser erfreut. Die vielen Fotos, Zeichnungen, Karikaturen und Schaubilder machen auf den Inhalt neugierig. Über Politik, Wirtschaft und Recht werden keine überhöhten Vorstellungen vermittelt, die der Alltagswirklichkeit nicht standhalten. Das Buch ist altersgemäß konzipiert und wird bei Schülerinnen und Schülern Interesse wecken.
Konzeption des Schulbuches
Bei näherer Beschäftigung stellt man fest, dass jede Seite des Buches mit großer Sorgfalt ausgestaltet ist. An keiner Stelle sind die Schülerinnen und Schüler der Klassen 9 und 10 als die Adressaten aus dem Blickfeld geraten; ihnen wird der Zugang zu Politik, wie sie die Autoren verstehen, leicht gemacht. Arbeitsaufgaben machen es für den Lehrer einfach, die einzelnen Kapitel im Unterricht durchzuarbeiten. Am Schluss jedes Teilkapitels befindet sich eine Zusammenfassung, die den Jugendlichen das Wiederholen erleichtert. Zur Überprüfung des erlernten Wissens befindet sich am Schluss jedes Kapitels der Abschnitt „Weißt du Bescheid?“. Hier kann der Benutzer seine Wissensdefizite rasch feststellen und die Lücken durch Eigenarbeit schließen. Ein Stichwortverzeichnis mit Begriffserklärungen stellt eine weitere Erleichterung für den Benutzer dar.
Aufgabenstellungen
Lehrerinnen und Lehrern wird es mit Hilfe dieses Schulbuches leicht fallen, die Jugendlichen zum Arbeiten zu bringen. Manchmal beschleichen einen allerdings Zweifel, ob die vorgeschlagenen Aufgaben mit den Zielen des Unterrichts in Einklang stehen. Die Aufgabe, einen Lückentext mit den Begriffen aus einem vorbereiteten Kasten zu ergänzen (S. 92 f.), fordert die Findigkeit der Jugendlichen heraus. Die Schüler lernen dabei Begriffe kennen; ob sie sie auch verstehen und zum eigenständigen Denken nutzen, sei dahin gestellt. Die Freude und der Eifer, mit denen viele Jugendliche an der Lösung derartiger Aufgaben arbeiten, sprechen allerdings für die Beibehaltung von Lückentexten.
Didaktisch-methodische Aspekte
Positiv hervorzuheben ist das Methodenrepertoire. Immer wieder werden in dem Schulbuch Fälle angeboten, wobei die Aufgaben zu einer Untersuchung von außen und nicht zur Übernahme einer Innenperspektive bzw. zu einer Sozialen Perspektivenübernahme anregen. Eine Erläuterung der Fall-Methode erscheint angebracht. In jedem Kapitel werden mindestens zwei Methoden den Schülerinnen und Schülern zur Erarbeitung des Inhalts angeboten. Als Beispiele sind zu nennen: Die Befragung eines Zeitzeugens, eine Pro-Kontra-Diskussion, eine Umfrage, Karikaturen-Rallye, Erkundung, Wandzeitung, Internet-Recherche und Expertenbefragung. Die Erklärungen sind so überzeugend in die Kapitel integriert, dass Lehrerinnen und Lehrer als die Benutzer des Schulbuches zur Erprobung geradezu eingeladen werden. Erfahrungsgemäß sind die Jugendlichen leicht für die Anwendung neuer Methoden zu gewinnen.
Fazit zur Konzeption des Schulbuches
Insgesamt lässt sich sagen: Die sorgfältige `Komposition´ jeder Seite (Ausnahme die Eingangsseite 2), der kluge Aufbau der einzelnen Kapitel und die vielen Methoden, die in die einzelnen Kapitel eingearbeitet sind, stellt den Autoren und der Verlagsredaktion ein gutes Zeugnis aus. Hier waren „Profis“ am Werk, die mit Fleiß und Können gewissenhaft gearbeitet haben. Dabei ist hervorzuheben, dass sie von der ersten bis zur letzten Seite ständig an die Schülerinnen und Schülern gedacht haben. Die Arbeit mit „Demokratieheute“ wird den Jugendlichen Spaß machen. Das ist vielleicht das höchste Kompliment, das einem Schulbuch gemacht werden kann.
Fachdidaktische und fachwissenschaftliche Aspekte
Nach so viel Lob muss auch grundsätzliche Kritik vorgetragen werden. In der einleitenden Seite 2, in der sich das Autorenteam direkt an die Schülerinnen und Schüler wendet und die als einzige des ganzen Buches recht lieblos gestaltet ist, werden den Jugendlichen sechs Hauptkapitel angekündigt, „in denen ihr wichtige Sachverhalte zu Politik, Wirtschaft und Recht erfahren und erarbeiten könnt“. Diese Ankündigung wird nur bedingt eingehalten. Der inhaltliche Schwerpunkt des Buches liegt auf der Vermittlung von Kenntnissen. Den Jugendlichen wird viel Wissen vor allem über `Politik´ angeboten. Nicht viele Referendare, die soeben auf der Universität ihr Studium der Politikwissenschaft beendet haben, werden all die Informationen abrufbar parat haben, die in dem Buch aufbereitet werden. Benötigen die Schülerinnen und Schüler diese Menge? Werden sie nicht geradezu dazu angehalten, rasch umfangreiches Wissen in ihr Kurzzeitgedächtnis aufzunehmen, um es danach wieder zu vergessen? Wenn man weiß, dass in Sachsen-Anhalt ein großer Teil der Bevölkerung die Unterstützung der Regierung als die Hauptaufgabe der Opposition ansieht, ist man über die Anhäufung von Detailwissen nicht glücklich. Didaktik heißt Auswahl. Eine Reduzierung zugunsten einer klaren Schwerpunktsetzung erscheint angesichts der nicht nur im Osten weit verbreiteten nebulösen Vorstellungen von Politik angebracht.
Vor allem über Verfassung und Verfassungsorgane, über Institutionen und Organisationen und damit über den Handlungsrahmen von Politik, Wirtschaft und Recht werden die Schülerinnen und Schüler informiert. Sie erfahren viel über die Grundlagen der Demokratie, die Rechtsordnung, die politische und wirtschaftliche Ordnung, über die Europäische Union und über die Vereinten Nationen und die NATO. Mindestens so wichtig wie der Handlungsrahmen, in dem Politik und Wirtschaft stattfinden, sind die Herausforderungen und Probleme als die wichtigen Inhalte und die Auseinandersetzungen um die Lösung dieser Probleme. In „Demokratie heute“ werden sie nachgeordnet behandelt. In den Kapiteln „Demokratie bei uns“, „Recht“ und „Sozial- und Wirtschaftsordnung“ werden Probleme so gut wie gar nicht angesprochen. Erst in den Kapiteln „Europäische Union“, „Globale Zusammenhänge“ und „Internationale Zusammenarbeit“ nehmen sie einen verhältnismäßig breiten Raum ein. Und Auseinandersetzungen werden in dem Schulbuch so gut wie gar nicht thematisiert.
Die Ausrichtung auf den Handlungsrahmen führt zu einer Ausrichtung auf Wissensvermittlung und zu einer Vernachlässigung von Analyse und Urteilsbildung. Eine wirtschaftliche, gesellschaftliche oder politische Struktur zu untersuchen und zu beurteilen sind Schülerinnen und Schüler überfordert. Zur Analyse und Urteilsbildung eignen sich als Inhalte vor allem Probleme und Prozesse. Die Fähigkeit, Sachverhalte zu untersuchen und zu beurteilen, ist für die Vorbereitung auf die Beteiligung als Staatsbürger in einer Demokratie mindestens so wichtig wie der Erwerb von Wissen. Mit Wissen allein gewinnt man keine Erfahrung; dies kann allein durch eigene Aktivität geschehen. Wird Wissen über den Handlungsrahmen erworben, ohne zum Denken und Handeln genutzt zu werden, so wird es zum Selbstzweck und geht rasch verloren. Diese Gefahr besteht bei dem Schulbuch trotz all der oben genannten Vorzüge. Im Grunde kommen die Schülerinnen und Schüler nur dank der Methoden wie Pro-Kontra-Debatte oder Expertenbefragung zum selbstständigen „Sehen, Beurteilen, Handeln“.
Fazit
Das Schulbuch macht dem Lehrer das Unterrichten in den gewohnten Bahnen leicht; die Schülerinnen und Schüler werde gerne mit und in ihm arbeiten. Aber: „Demokratieheute“ ist einseitig auf den Handlungsrahmen ausgerichtet und vermittelt zu viel Wissen. Die Befähigung zum selbstständigen Denken und Handeln kommt zu kurz. Für eine Überarbeitung wird empfohlen, die inhaltliche Dominanz des Handlungsrahmens und die zwangsläufig damit verbundene Ausrichtung auf Wissensvermittlung zu überdenken, auch wenn dadurch der Unterricht für Lehrer und Schüler anspruchsvoller wird. Soll das Schulbuch die jugendlichen Benutzer auf Mündigkeit und Beteiligung als Ziele des Unterrichts vorbereiten, dann müssen Analyse und Urteilsbildung und damit auch Probleme und Prozesse als Inhalte des Unterrichts mehr in den Vordergrund gerückt werden. Die Streichung liebgewordener Wissensbestände fällt dann leicht, wenn man konsequent ihren Nutzen für das gesellschaftliche und politische Handeln überprüft.