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Religion, 9./10. Schuljahr, Gymnasium, Gesamtschule, Realschule

Das Kursbuch Religion 3

Das Kursbuch Religion 3
Herausgegeben von Kraft, Georg et al.
Erschienen Braunschweig: Diesterweg, 2007
ISBN 978-3-425-07809-0
Geeignet für Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt, Sachsen, Saarland, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Hessen, Hamburg, Bremen, Brandenburg, Berlin, Thüringen
Rezensiert von Brucker, Christina (Studentin), 12. Dezember 2013
Projekt Philipps-Universität Marburg, Sommersemester 2013, Die Darstellung religiös-weltanschaulicher Diversität im Schulbuch

Rezension von Brucker, Christina (Studentin)


Einleitung
Hindureligionen sind in der deutschen Gesellschaft und in den Medien wenig präsent. Gerade deshalb ist es wichtig, diese vielfältige Gruppe von Religionsgemeinschaften im Schulbuch darzustellen und den Schüler/innen vorzustellen. Doch welche der zahlreichen Facetten der Hindureligionen werden im Schulbuch behandelt und auf welche Weise werden sie den Schüler/innen nahe gebracht? Welcher Zugang wird im evangelischen „Kursbuch Religion 3“ gewählt – Heilige Kühe, viele bunte Gottheiten, Gandhi? Diese Fragen sollen in der Rezension geklärt werden.
Mit Hilfe des „Kursbuch 3“ für den evangelischen Religionsunterricht in der Jahrgangsstufe 9/10 soll den Schülerinnen laut Aussage der Autor/innen vermittelt werden, wie sich allgemeine Sinnfragen mit religiösen Inhalten verknüpfen lassen. Dazu werden hauptsächlich christliche Fragestellungen behandelt. Auf nicht christliche Religionen wird vor allem in einem gesonderten Kapitel (S. 192 – 221) eingegangen, welches durch zahlreiche Verweise mit den anderen Themengebieten des Buches vernetzt ist. In den Aufgabenstellungen und Texten werden Bezüge zur Lebenswirklichkeit der Schüler/innen hergestellt. Das Buch ist mit vielen Grafiken und Fotos ansprechend gestaltet, das Layout bietet Schülerinnen und Lehrer/innen einen schnellen und klaren Überblick. Durch die Kennzeichnung der Arbeitsaufträge mit verschiedenen Ikons und die farbliche Abhebung der Methoden- und Wiederholungsseiten wird die Orientierung innerhalb des Buches vereinfacht. Wer die Autor/innen sind und in welchem Umfang sie die Texte des Schulbuches selbst verfasst haben, bleibt allerdings unklar – ebenso wie die Quellen der Texte.

Aufbau
Das Kursbuch 3 gliedert sich in acht Kapitel mit einzelnen Unterrichtseinheiten, die laut Aussage der Autor/innen an die Lehrpläne des evangelischen Religionsunterrichts angelehnt seien. Die Auftaktseiten der Kapitel enthalten jeweils vier zentrale Fragen und schülerinnengerecht formulierte Lernziele. Den Abschluss der Kapitel bildet die Einheit „Das Gelernte anwenden“, in dem die Schüler/innen selbstständig ihr Wissen überprüfen können. Zusätzlich bietet das Lehrer/innenbuch zu jeder Einheit Lernkarten, die das neu erlangte Wissen kompakt zusammenfassen. In jedem Kapitel befinden sich Methodenseiten, mit Hilfe derer sich die Schüler/innen verschiedene Kompetenzen (Filmanalyse, interreligiöser Dialog) aneignen sollen. Den Abschluss des Buches bildet ein Glossar mit Zusatzinformationen, auf das in den verschiedenen Einheiten hingewiesen wird. Die Kapitel umfassen hauptsächlich christlich geprägte Themen wie Gott, Jesus, Bibel und Kirche. Der Bezug zur Alltagswelt wird anhand von Themen wie z.B. Liebe und Sexualität, Arbeit und auch Glück hergestellt, die dem Alter der Schüler/innen angemessen sind. Die Thematisierung religiöser und weltanschaulicher Diversität geschieht hauptsächlich in den zwei Kapiteln „Weltreligionen“ (S. 192 – 220) und „Ethik“ (S. 222 – 250). Die einzelnen Themenblöcke bilden aber keine in sich abgeschlossenen Einheiten, sondern sind Anhand von zahlreichen Schlagwörtern und Bezügen innerhalb des Buches vernetzt.

Die Darstellung des Themas „Hinduismus“
Im Folgenden beziehe ich mich auf die Einheit „Hinduismus“ (S. 200–207) im Kapitel „Weltreligionen“. In Bezug auf das gesamte Lehrwerk wird den hinduistischen Traditionen nur eine marginale Rolle zuteil, sie werden auf acht Seiten nach den „Abrahamitischen Religionen“ und vor dem „Buddhismus“ und den „Heiligen Schriften“ im Kapitel „Weltreligionen“ behandelt. Das Kapitel selbst steht nach sechs konfessionellen Kapiteln vor dem Kapitel „Ethik“ an vorletzter Stelle. In bestimmten thematischen Kontexten wird aber auf die hinduistischen Traditionen verwiesen, wie z.B. bei der Behandlung von Gewaltlosigkeit (S. 113). Die Einheit „Hinduismus“ setzt sich aus sechs Themen zusammen: „Mahatma Gandhi“, „Sanatana Dharma“, „Moksha“, „Kastenwesen“, „Lebensabschnitte“ und „Herrscher im Himmel“. Es werden hauptsächlich Sachtexte eingesetzt, die auf religiöse Lehren fokussieren, aber auch Bezüge zu Sozialwissenschaften, Philosophie und Religionswissenschaft erkennen lassen, indem zum Beispiel die Biografie Gandhis (S. 200f.) oder das philosophische System von Brahman und Atman (S. 202) erläutert werden. Quellenangaben fehlen, abgesehen von Belegen der Zusatzmaterialien im Lehrer/innenbuch, fast gänzlich. Den Schüler/innen soll durch die Biografie Gandhis der Zugang zu dem laut Lehrer/innenbuch „sehr fremden“ Thema „Hinduismus“ erleichtert werden. In den folgenden sehr knappen Einheiten werden die oben genannten Aspekte der hinduistischen Glaubensvorstellungen und der philosophischen Lehre in einfacher Sprache kurz umrissen. Zum Kastenwesen, insbesondere zu den Dalits, bietet das Lehrer/innenbuch umfangreiche Zusatzmaterialien.
Positiv anzumerken ist, dass die Autor/innen kurz den Begriff „Hinduismus“ als ein von den Europäern für eine Gruppe von Religionen eingeführten Begriff problematisieren (S. 200). Es wird für die Schülerinnen allerdings nicht weiter verdeutlicht, dass die im Folgenden als „Hinduismus“ dargestellte Religion nur eine von vielen verschiedenen religiösen Gruppierungen widerspiegelt. Dies wird der Vielfalt der hinduistischen Traditionen nicht gerecht, da sich die dargestellte Form fast ausschließlich auf den brahmanischen „Hinduismus“ bezieht und regional orientierte Gruppierungen nicht erwähnt werden. Als brahmanischer „Hinduismus“ werden die hauptsächlich von der Priesterkaste ausgeführten religiösen Praktiken und Glaubensvorstellungen bezeichnet. Regionale Traditionen unterscheiden sich in vielen Aspekten wie zum Beispiel Ritualen und Götterwelt stark davon. Formulierungen wie „Die Inder benennen ihren Glauben als […] ‚Sanatana Dharma‘.” (Lehrer/innenhandbuch S. 171) verstärken zusätzlich den Eindruck einer homogenen religiösen Gruppe. Im Lehrerinnenbuch wird auf diese nötige didaktische Reduktion hingewiesen, so solle die im Kursbuch gebotene Ausführung auf „das Wesentliche“ konzentriert sein. Generell werden die hinduistischen Traditionen durch den starken Bezug auf Gandhi als gewaltlos und von vielen religiösen Pflichten durchzogen charakterisiert. Ethische Fragen werden unter anderem durch den Vergleich mit der Bergpredigt Jesu und anderer Bibelstellen bezüglich Nächstenliebe und Klassengesellschaft interreligiös aufgearbeitet.
Der im Buch intendierte Umgang mit religiöser Diversität zeigt sich unter anderem bei dem Vorschlag, muslimische Schüler/innen in den Unterricht einzubeziehen. Muslimische Schüler/innen sollen über die Gottesvorstellungen des Islams berichten. Daraus kann, so die Anregung aus dem Lehrer/innenbuch, ein interreligiöser Dialog entstehen, wobei eine Gruppe die Position von Hindus einnimmt (Lehrer/innenbuch S. 176). Auf der entsprechenden Methodenseite zum Führen eines solchen Dialoges wird diese Kompetenz schüler/innengerecht vermittelt. Der Fokus liegt dabei beispielsweise auf dem Erkennen von Gemeinsamkeiten zwischen den Glaubensrichtungen, dem Ausarbeiten gemeinsamer Ziele der Religionen und dem Akzeptieren von Andersgläubigkeit.

Arbeitsaufträge
An vielen Stellen des Buches wird zu weiterführenden Recherchen im Internet angeregt. Auch Bücher, Zeitungen und Zeitschriften werden als mögliche Informationsquellen vorgeschlagen. Das Lehrer/innenbuch liefert stets zusätzliche Ergänzungen, vor allem hinsichtlich der Aufgabenstellungen. Vereinzelt bietet es hilfreiche Texte, Lernkarten und in Bezug auf das Kastenwesen vier ergänzende Arbeitsblätter.
Arbeitsanweisungen werden durch Operatoren präzise benannt, die Schülerinnen werden wiederholt zum Diskutieren, Recherchieren, Schreiben und Vergleichen aufgefordert. Teilweise wird ein aufbauender Lösungsweg angestrebt, so müssen die Schülerinnen z.B. zunächst ihr Vorwissen über Reinkarnation sammeln, in der Gruppe diskutieren und anschließend mit dem christlichen Auferstehungsglauben vergleichen (S. 202). Stets werden die Schülerinnen dazu angeregt, selbstständig Quellen, wie zum Beispiel die Lehre von Albert Schweizer und die Aussagen Gandhis, zu vergleichen und sich ihre eigene Meinung, teils in Gruppendiskussionen, zu bilden. Dabei wird eine Auseinandersetzung mit dem Material und auch mit der persönlichen Biografie und mit eigenen Standpunkten angestrebt. Zusätzlich können die auf den Methodenseiten vermittelten Kompetenzen anhand verschiedener Aufgabenstellungen geübt werden, wie z.B. im oben erwähnten „interreligiösen Dialog“. Viele Aufgaben fordern die Schüler/innen auf, das Material auf ihre eigene Lebenswirklichkeit hin zu reflektieren, und stellen so einen Alltagsbezug her.

 

Fazit Generell wird durch die weitestgehend wertfreie Charakterisierung der Hindureligionen neutral und schüler/innengerecht auf die religiös-weltanschauliche Vielfalt hingewiesen. Durch die Auseinandersetzung mit einzelnen Aspekten dieser religiösen Gruppierungen und den Vergleich mit Elementen aus dem Christentum haben die Schüler/innen die Möglichkeit, den konstruktiven Umgang mit religiöser Diversität zu lernen, wobei dieser stets durch die theologische Perspektive des Dialogkonzepts geprägt ist. Im Rahmen eines Schulbuches können aktuelle wissenschaftliche Forschungsfragen und Diskussionen rund um den „Hinduismus“ nur schwer abgebildet werden. Durch die Auseinandersetzung mit den auch in Deutschland in verschiedenen religiösen bzw. sogenannten spirituellen Gruppierungen vermehrt anzutreffenden Reinkarnationsvorstellungen werden gesellschaftliche Entwicklungen aber berücksichtigt. Im Gegensatz zum Islam wird der „Hinduismus“ allerdings klar in Indien verortet. Hindus in der Diaspora in Deutschland oder die mögliche Bedeutung von Hindureligionen für Schüler/innen, die dem „Hinduismus“ nahe stehen, werden nicht thematisiert. Interkulturalität und Interreligiosität sollen den Autor/innen zufolge durch den Austausch zwischen muslimischen und christlichen Schüler/innen im konfessionellen Unterricht praktiziert werden. Die dadurch implizierte Zugehörigkeit der Schüler/innen zu unterschiedlichen Kulturen ist an dieser Stelle zu problematisieren. Kritisch anzumerken ist, dass an einigen Stellen zu wenig differenziert argumentiert wird, auch wenn man die nötige didaktische Reduktion berücksichtigt. So stehen beispielsweise Aussagen wie „Reinkarnation ist für viele Hindus beängstigend“ (S. 203) ohne weitere explizite Erklärung. Weiterhin wird die sogenannte „Hare-Krishna“-Bewegung im Kursbuch als „Sekte“ der 1970er und 1980er Jahre bezeichnet. Die negative Konnotation des Begriffes „Sekte“ wird dabei nicht problematisiert und auch das Fortbestehen der Gruppierung in Deutschland nicht angesprochen. Zu hinterfragen sind außerdem Aufgabenstellungen, die die Einnahme einer belehrenden Position gegenüber Andersgläubigen – etwa beim Schreiben eines Briefes an Reinkarnationsgläubige – fordern.