Ethik / Philosophie, 7./8. Schuljahr, Hauptschule, Realschule, Gesamtschule
Abenteuer Mensch sein 2
Herausgegeben von | Henke, Roland Wolfgang et al. |
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Erschienen | Berlin: Cornelsen, 2007 |
Seitenanzahl | 256 |
ISBN | 978-3-464-64704-2 |
Geeignet für | Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland |
Rezensiert von | Deines, Swetlana, Jenny Hanson und Moritz Paul Wachendörfer (Studierende), 7. November 2012 |
Projekt | Justus-Liebig-Universität Gießen, Sommersemester 2012, Schulbücher im Ethik- und Philosophieunterricht |
Rezension von Deines, Swetlana, Jenny Hanson und Moritz Paul Wachendörfer (Studierende)
Erster Eindruck
"Das Leben als spannende Abenteuerreise entdecken!" So lautet der Leitgedanke des Lehrwerks "Abenteuer Mensch sein" aus dem renommierten Verlagshaus Cornelsen, das sich konzeptionell an Haupt-, Real- und Gesamtschüler und -schülerinnen der siebten und achten Jahrgangsstufe richtet. Von einer spannenden Abenteuerreise durch die faszinierende Welt menschlichen Lebens kann bei diesem Schulbuch allerdings nicht zwingend die Rede sein. Zwar überzeugt das Buch mit einer breiten Palette an (fächerübergreifenden) Themen und einem gezielten Einsatz von verschiedenen Textsorten und Methoden, jedoch erweist sich vor allem die Anordnung der Bilder, Comics und Texte als äußerst unstrukturiert, unübersichtlich und wenig motivierend, um auf Abenteuersuche zu gehen.
Konzeption des Lehrwerkes
Im kurz und schlicht gehaltenen Begleitwort richten sich die Autoren direkt an die Schülerinnen und Schüler und geben eine kurze Einführung in das Werk. Das Lehrwerk ist in zehn Kapiteln unterteilt und operiert mit dem beliebten Doppelseitenprinzip. Es werden verschiedene ethische, moralische und philosophische Themen angesprochen: Das breitgefächerte inhaltliche Spektrum reicht dabei vom Problemfeld "Erwachsen werden" über "Werte und Normen" bis hin zum Themenkomplex "Globalisierung". Detaillierte Auskunft darüber gibt das graphisch ansprechende und übersichtlich gestaltete Inhaltsverzeichnis, das jedem Kapitel eine Farbe zuordnet. Diese wird dann auch für die in das Thema "einführende" Auftaktdoppelseite der jeweiligen Kapitel verwendet, die ganz im Gegensatz zum Inhaltsverzeichnis weitaus weniger gelungen ist, da hier die zu starke farbliche Kontrastierung die Lesbarkeit und das Erkennen der Bilder sichtlich erschweren. Zudem besteht die so genannte Themenvorstellung jedes Mal aus drei oder vier recht offen formulierten Fragen an die Schülerinnen und Schüler. Ob dieses Einstiegsprinzip bei jeder Themeneröffnung sinnvoll ist, darf bezweifelt werden. Ein weiteres konzeptionelles Grundelement des Lehrwerkes speist sich aus einem didaktisch-methodischen "Vierschritt".
Durch farbig unterlegte Kästen sollen die Lernenden:
- neue Lernmethoden kennenlernen (grün)
- fächerübergreifende Positionen erkennen (rot)
- weiterführende Projektideen erarbeiten (beige)
- abschließend zusammenfassend informiert werden (blau).
Die meisten Seiten enthalten einen Materialmix mit einem überproportional hohen Anteil an unterschiedlichen Textsorten, die Bezüge zu anderen Materialien herstellen. Die fast schon inflationär verwendeten Bilder dienen lediglich zur Illustration der Texte. Der Versuch der Layouter, die Seiten übersichtlicher zu gestalten, indem eine senkrechte bzw. waagerechte Line die verschiedenen Elemente und Materialien voneinander trennt, gelingt nur sehr selten. Unbekannte (Fremd-)Wörter, die mit einem Sternchen versehen sind, können in einem Minilexikon im hinteren Teil des Buches nachgeschlagen werden. In Anbetracht der recht überladenen Seiten ein durchaus sinnvolles Vorgehen. Alle Kapitel schließen mit einer hellbeige unterlegten Doppelseite ab, die es den Lernenden ermöglichen soll, das erworbene Wissen noch einmal zu überprüfen.
Inhalt
Den Lesern steht eine Vielzahl an ethisch relevanten Themen zur Auswahl. Jedoch ist zwischen den einzelnen Kapiteln kein roter Faden zu erkennen, da nur einzelne Kapitelaufeinander aufbauen (z.B. Religion und Sekten). Auch der Kapitelübergang erfolgt zu abrupt. Die einzelnen Kapitel haben jeweils einen philosophischen, religionskundlichen oder sozialwissenschaftlichen Schwerpunkt, welcher teilweise kapitelübergreifend aufgegriffen wird. Der Zugang zu den verschiedenen Themen erfolgt altersangemessen und die Heterogenität der Schülerinnen und Schüler wird z.B. durch die Behandlung der Weltreligionen bzw. durch die gewählten Abbildungen berücksichtigt. Mit Hilfe von Texten werden die Themen inhaltlich erarbeitet und mit anschließenden Aufgaben zum Text vertieft. Die Fragen sind schülerorientiert gestaltet und beziehen sich auf den Alltag/die Umwelt der Jugendlichen. Hierbei fällt auf, dass die Aufgaben oft in Partner- bzw. Gruppenarbeit erledigt werden müssen, was zur Förderung der sozialen Kompetenzen beiträgt. Es wird versucht, eine gewisse Methodenvielfalt einzubringen, doch diese Methoden sind eher eine Hilfestellung für die Lehrkraft, um den Unterricht zu gestalten, als für die Schülerinnen und Schüler. Methoden wie die Textanalyse werden nur theoretisch erläutert, ohne Bezug auf ein passendes Beispiel zu nehmen, was zum besseren Verständnis beitragen würde. Die Methoden beziehen sich jeweils auf den vorherigen Text oder sind für das gesamte Kapitel anwendbar. Das Buch fördert durch seine vielfältigen Textsorten und Methoden vermehrt das Textverständnis und die Lesekompetenz der Schülerinnen und Schüler, da die Aufgabenstellungen meist direkt auf den vorangehenden Text Bezug nehmen.
Materialien
Das Buch "Abenteuer Mensch sein" enthält vielfältige Textsorten wie Sachtexte, philosophische Texte, Geschichten, Gedichte, Auszüge aus Gesetzestexten, Dialog etc., die zu einer abwechslungsreichen Bearbeitung der Themen beitragen. Für leseschwache Schülerinnen und Schüler kann diese Vielfalt jedoch überfordernd wirken. Die Texte sind schülerorientiert und schülerangemessen gestaltet und ermöglichen es, ethische Fragen zu erkennen, zu verstehen und zu lösen. Insgesamt erscheint das Buch sehr textlastig. Die teilweise willkürliche und unpassende Auswahl des Bildmaterials steuert diesem Eindruck nicht entgegen.
Die zahlreichen Begleitmaterialen des Ethikbuches bieten ausreichend Möglichkeit, sich über den Buchinhalt hinaus mit den Themen der einzelnen Kapitel zu beschäftigen. Angefangen bei zahlreichen Internetlinks bietet das Buch "Medientipps", "Lesetipps" und "Recherchetipps". Schaut man sich auf den angegebenen Internetseiten um, fällt auf, dass viele nicht altersgerecht gestaltet sind. Angefangen bei recht komplexen Texten bis zu einer monotonen Homepagegestaltung, wird schnell deutlich, dass die Seiten eher auf ein älteres Publikum abgestimmt sind. Andere Seiten wie www.girls-day.de oder www.drugcom.de lassen dagegen bereits auf den ersten Blick erkennen, dass sie speziell für Kinder und Jugendliche gestaltet und angelegt wurden. Insgesamt kann man nicht durchgehend von einem Mehrwert durch die Internetlinks sprechen.
Der Punkt „Medientipps“ enthält Verweise auf weiterführende Literatur wie z.B. den Verweis auf das „Ravensburger Schüler – Lexikon“ sowie auf zum Thema passende Spielfilme und CD-ROMs. Weitere Literaturempfehlungen sind unter dem Punkt „Lesetipps“ zu finden, der ausschließlich Angaben für weiterführende Literatur enthält. Der nur einmal zu findende Punkt „Recherchetipps“ beinhaltet einen weiteren Internetlink. Fragwürdig ist, warum diese Empfehlungen nicht unter einer Überschrift, beispielsweise „Medientipps“, zusammengefasst sind. Zusätzlich wird am Rand der Texte auf andere Seiten im Buch hingewiesen, die zur Erschließung des Themas beitragen können.
Die vielfältigen Begleitmaterialien sind verteilt im gesamten Buch zu finden, was jedoch am Anfang des Buches nicht erwähnt wird. Erst wenn man durch das Buch blättert, sind diese an verschiedenen Stellen vorzufinden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass einige Empfehlungen hilfreich sind, der strukturelle Aufbau der Begleitmaterialien jedoch verbesserungswürdig ist.
Durch die Struktur der Aufgabenstellungen, die sich zuerst auf die Aktivierung des Vorwissens und die Wiedergabe eigener Erfahrungen beschränkt, um weiter die kritische Urteilsbildung des Einzelnen anzuregen, wird der Problematisierungszusammenhang der Aufgaben recht deutlich. Die Einführung in die für Schülerinnen und Schüler neue Methoden erfolgt im Buch durch separate „Methodenkästen“, die auf die Vermittlung und Anwendung bestimmter Methoden abzielen und der Lehrperson zur Unterrichtsgestaltung dienen können.
Neben „Methodenkästen“ wird im Inhaltsverzeichnis auf „Projekte“ hingewiesen, die sich aber ebenfalls als weiterführende bzw. vertiefende Aufgaben erwiesen. An dieser Stelle wären Seiten zur Überprüfung des Gelernten oder zur Festigung der wichtigsten Erkenntnisse aus dem vorangegangenen Kapitel hilfreicher für die Schüler und Schülerinnen, da bereits die Arbeitsaufgaben quantitativ kaum zu bewältigen sind. Ob bei der begrenzten Stundenzahl für den Ethikunterricht noch ausreichend Zeit zur Bearbeitung eines Projektes bleibt, ist fragwürdig.
Des Weiteren werden die Lernenden zwar immer wieder dazu angeregt, sich in die Situation eines Anderen hineinzuversetzen (Empathiefähigkeit als Kompetenzbereich) und eigene Erfahrungen zu schildern, die zu einer Lernaufgabe gehörende Definition des Lernzugewinns sowie die Sicherung und Übung des Wissens wird durch die im Buch vorhandenen Aufgaben jedoch nicht abgedeckt.
Einen weiteren kritischen Punkt stellt das Differenzierungsangebot des Ethikbuches dar. Differenzierungsangebote in Form von Leistungsdifferenzierung sind im Buch gar nicht erkennbar, was von einem Ethikbuch aber auch nicht zwingend erwartet wird. Auch eine Differenzierung durch die hohe Anzahl der zu lösenden Aufgaben ist nicht sinnvoll, da diese aufeinander aufbauen und sich ein Lernzugewinn meist erst durch die Bearbeitung aller Aufgaben ergibt. Einzig die Interessendifferenzierung ist durch die oft persönliche und subjektive Ebene der Aufgabenstellungen und die zahlreichen Diskussionsaufgaben gegeben.
Fachdidaktische Positionen und Fragestellungen
Das Buch richtet sich am Fachkonzept der Fächergruppe Ethik/Philosophie aus. Die meisten der verwendeten Texte orientieren sich stark am Alltag der Schülerinnen und Schüler und handeln von Situationen, die sie so oder so ähnlich selbst schon mal miterlebt haben könnten. Die teilweise privaten Fragen zur eigenen Person könnten jedoch gerade bei Schülerinnen und Schüler der 7. und 8. Klasse auf Ablehnung stoßen. Die zu bearbeitenden Aufgaben sind gut mit den Texten verknüpft und leiten die Jugendlichen dazu an, die Geschehnisse in ihrer Umgebung wahrzunehmen und sich näher mit ihnen auseinanderzusetzen. Sie (sollen) lernen bestimmte Situationen (z.B. Konfliktsituationen) zu reflektieren und zu analysieren (Was ist eigentlich passiert und wie ist es dazu gekommen?). Die lebensnahen Texte fordern die Schülerinnenund Schüler dazu auf, sich in diese Situationen sowie in andere Personen hineinzuversetzen, wodurch ihre Perspektivübernahme und Empathie geschult wird. Eine weitere der behandelten Kompetenzen ist die interkulturelle Kompetenz. Die Auseinandersetzung mit verschiedenen Kulturen ist eines der Themen, die in dieser Hinsicht aufgeführt werden. Auch der philosophische Aspekt bleibt nicht auf der Strecke, da auch einige kürzere Texte bekannter Philosophen (z.B. Sokrates, Nietzsche)ihren Weg in dieses Buch gefunden haben. Weiterhin sollen die Schülerinnen und Schüler sich mit Themen wie Gewissen, Moral und Tugend auseinandersetzen, die bei wertbezogenen Fächern wie Ethik und Philosophie nicht fehlen dürfen. Auch fachspezifische Methoden wie Dilemmadiskussion und Gedankenexperiment werden berücksichtigt. Alles in Allem lässt sich hinsichtlich der fachdidaktischen Positionen und Fragestellungen keine Kritik üben.
Aktualität
Das Buch berücksichtigt alle zentralen Dimensionen des Faches Ethik und legt einen seiner Schwerpunkte auf das interdisziplinäre Lernen. In jedem Kapitel finden sich Ideen für einen fächerübergreifenden Ansatz mit den Unterrichtsfächern Deutsch, Geschichte, Politik, Biologie, Mathematik und Religion. So können komplexe und multikausale Probleme (z.B. Globalisierung) aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet werden. Ferner sind alle Themen aktuell und orientieren sich an gesellschaftlichen und persönlichen Problemen der Jugendlichen. Allerdings fehlt das hochbrisante Thema „Internet und soziale Netzwerke“, das gerade bei Schülerinnenund Schülern der 7. und 8. Klasse einen enorm hohen Stellenwert besitzt und einen wichtigen Beitrag zur Medienkompetenz leisten kann.
Fazit
Trotz einiger gelungener Aspekte verkommt die Abenteuersuche nach den spannenden Fragen menschlichen Lebens schnell zu einer trockenen und zähen Kaffeefahrt, die zwar die richtigen Etappen ansteuert (Themenauswahl), aber die Mitreisenden durch eine unübersichtliche Flut an ungeeigneten Materialien und Bildern behindert, eigenständig und mit voller Motivation das „Abenteuer Mensch sein“ zu entdecken.