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Sozialkunde / Politik, Oberstufe, Gymnasium, Gesamtschule

Das politische System der Bundesrepublik Deutschland

Das politische System der Bundesrepublik Deutschland
Herausgegeben von Müller, Erik et al.
Erschienen Bamberg: C. C. Buchner, 2010
Seitenanzahl 200
ISBN 978-3-7661-6843-6
Geeignet für Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt, Sachsen, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Hessen, Bremen, Brandenburg, Thüringen
Rezensiert von Ennigkeit, Jeannette (Lehrer), 7. Januar 2013

Rezension von Ennigkeit, Jeannette (Lehrer)


Einleitung
Der Schülerband ist laut Buchners Verlag für den Einsatz in der Sek. I und II des Gymnasiums und der Gesamtschule konzipiert worden und wurde zugelassen bzw. wird empfohlen für Baden-Württemberg, Brandenburg, Bremen, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.

Der erste Eindruck
Endlich ist ein Schulbuch über das politische System der Bundesrepublik erschienen mit dem Anspruch, die Europäische Union in die Betrachtung einzubeziehen – ein neuer und sehr realpolitischer Anspruch. Zudem will es Schülern und Schülerinnen Anregungen zu selbstständigem Arbeiten geben und laut Einleitung vor allem handlungs- und methodenorientiert sein. Jedes Kapitel ist in sich identisch strukturiert und in mehrere Unterkapitel eingeteilt, ausgenommen hiervon wurde Kapitel 9 zur Zukunft der Demokratie.
Alle Kapitel beginnen mit einer Einleitung, in der die zentralen Probleme, Fragestellungen und Inhalte vorgestellt werden. So geht es beispielsweise im ersten Kapitel, „Demokratie lebt vom Mitmachen", um die Frage, wie ein Gemeinwesen die Vielzahl von Interessen, Wertvorstellungen und Ansichten berücksichtigen kann. Eine Fotomontage zeigt Momentaufnahmen verschiedener Demonstrationen und illustriert damit die Möglichkeiten der direkten Partizipation. Es folgt jeweils eine Seite mit „Tipps & Links", auf der Recherchemöglichkeiten im lokalen Umfeld der Schüler sowie Referatsthemen vorgeschlagen und Bücher und Internet-Links zum Weiterlesen vorgestellt werden. Daran schließen sich in übersichtlicher Weise eine Vielzahl unterschiedlicher Textauszüge, Grafiken, Tabellen und selten Karikaturen an. Autorentexte und von den Autoren selbst erstellte, grafisch aufbereitete Übersichten geben einen inhaltlichen Überblick. Die Rubrik „Kontrovers diskutiert" innerhalb des Materialteils betrachtet jeweils ein zentrales Problem – im ersten Kapitel geht es zum Beispiel um die Frage „Brauchen wir mehr direkte Demokratie?". Stets begleitet wird der Materialteil durch unterschiedliche Aufgabestellungen. Insgesamt betrachtet haben trotz der Vielzahl von gestellten Problemfragen aber alle Kapitel einen systematischen Ansatz.
Den Abschluss jedes Unterkapitels bildet „Wissen kompakt", hier werden die Begrifflichkeiten erklärt, die die Schüler und Schülerinnen am Ende kennen sollen. Auf verschiedene Kapitel verteilt werden vier Analysemethoden der politischen Bildung vorgestellt, leider nicht immer anhand von Beispielen.

Der konzeptionelle Aufbau
Laut Begleittext auf der Internetseite des Verlags ist dieses Schülerbuch für die Sek. I und II der Gesamtschule und des Gymnasiums konzipiert worden. Doch vom Aufbau, dem Layout, den Materialien und den Arbeitsaufträgen aus betrachtet, ist es meines Erachtens ausschließlich in der Oberstufe als unterrichtsbegleitendes Medium einzusetzen. Die Texte sind viel zu lang und die Sprache ist zu komplex, um von normal begabten Mittelstufenschülern verstanden zu werden. Die Autoren selbst schreiben im Begleitwort zur Reihe Kolleg Politik und Wirtschaft, in dessen Rahmen dieses Lehrwerk erschienen ist, das es von ihnen für die gymnasiale Oberstufe konzipiert wurde, wegen der ausführlichen Betrachtung einzelner Themenbereiche vermutlich sogar eher für Leistungs- als für Grundkurse. Dieses Begleitwort richtet sich vor allem an Lehrerinnen und Lehrer und soll ihnen eine Orientierung für den Einsatz im Unterricht geben. Den inhaltlichen Schwerpunkt legten die Autoren auf die einzelnen Akteure des politischen Prozesses. Ausgegangen wird zunächst von den partizipativen Möglichkeiten der Bürger und Bürgerinnen, weiterhin werden die Medien, die Interessenverbände und Parteien sowie die Abgeordneten und die einzelnen politischen Institutionen des politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozesses ins Visier genommen. Im Kapitel „Der Gesetzgebungsprozess" wird dann das Zusammenwirken der politischen Akteure deutlich. Den politischen Handlungsrahmen betrachtet das Kapitel „Grundwerte und Grundgesetz". Im letzten Kapitel „Demokratie der Zukunft – Zukunft der Demokratie" wird in sehr knapper Weise versucht, Probleme wie die Parteienverdrossenheit, die Wahlabstinenz oder durch die Globalisierung entstandene Handlungszwänge zu umreißen und Reformvorschläge vorzustellen. Die Darstellung der Wirkung der politischen Entscheidungen der EU auf die bundesdeutsche Politik gelingt leider nicht durchgängig, jedoch in fast allen Kapiteln.
Kann nun durch diese inhaltliche Schwerpunktsetzung ein gesamtes Kurshalbjahr der gymnasialen Oberstufe abgedeckt werden? Betrachtet man den zurzeit gültigen Rahmenlehrplan für das 1. Kurshalbjahr, Themenfeld Demokratie, der Qualifizierungsstufe in Brandenburg und die zentralen Hinweise zur Vorbereitung für die Abiturprüfung 2014, muss dies verneint werden – dasselbe gilt übrigens auch für andere empfohlene Bundesländer. Es fehlen sowohl die Analyse zentraler Demokratietheorien und die Betrachtung anderer politische Systeme als auch der Prozess der europäischen Integration und der europäischen Entscheidungsfindung. Damit decken die inhaltlichen Schwerpunkte nur mehr oder weniger die curricularen Vorgaben eines Halbjahres ab, wodurch dieses Lehrbuch nicht als Kursbuch, sondern eher als Themenheft zu verwenden ist. Dafür ist es recht kostspielig.
Die vier unterschiedlichen Methodenseiten sind gelungen, allerdings werden hier nicht Unterrichtsmethoden im klassischen Sinn vorgestellt, sondern verschiedene Analyseinstrumente wie der Politikzyklus oder das schrittweise Vorgehen einer Analyse von politischen Karten, Bildern und ideologischen Texten. Im Inhaltsverzeichnis sind die einzelnen Rubriken innerhalb der Kapitel leider nicht wiederzufinden und ein Glossar am Ende fehlt.

Der fachliche Schwerpunkt
Es geht in allen Kapiteln vor allem um die Verdeutlichung der wichtigsten Prinzipien, die die Struktur und die Funktion des politischen Systems der Bundesrepublik bestimmen, und zwar aus dem Blickwinkel verschiedener Akteure. Der hier dominierende Demokratiebegriff bezieht sich damit nicht auf gesellschaftliche oder lebensweltliche Systeme. Die dargestellten Funktionsprinzipien werden mit Hilfe der Materialien, überwiegend Texte, mit der politischen Realität verglichen und sich daraus ergebende Probleme werden zur Diskussion gestellt. Zwar gelingt es dadurch, die unterschiedlichen Interessen einiger Akteure im politischen Prozess zu verdeutlichen, allerdings haben die Autoren in der Regel nur zwei sich unterscheidende Positionen ausgewählt, die sie einander gegenüber stellen. Provokante Positionen fehlen ganz und auch Materialien zu aktuell diskutierten, manchmal provozierenden Reformansätzen finden sich nicht.
Die Textauszüge, die für mich unzureichend als Auszüge gekennzeichnet und leider in keinem Literaturverzeichnis aufgelistet wurden, stammen aus Handbüchern, Wörterbüchern, Reihenpublikationen, Monografien, Informationsmaterialien von gesellschaftlichen Gruppen und Tages- und Wochenzeitungen. Auszüge aus wissenschaftstheoretischen Artikeln sind ebenso zu finden. Auswahl und Umfang der Materialien entsprechen weitgehend dem Niveau eines Grundkurses, zudem sind die Texte so aktuell, wie es in einem eben erschienenen Schulbuch nur sein kann. Doch aktuell geführte Kontroversen, die den Schülern und Schülerinnen den Begriff der Multiperspektivität verständlich machen könnten, indem die unterschiedlichen Positionen von Wissenschaftlern und betroffenen Gruppierungen gegenüber gestellt werden, fehlen leider weitgehend. So wären beispielsweise die vielfältigen Äußerungen auch gegen die Einführung von Plebisziten auf der Bundesebene oder die zahlreichen Vorschläge und Diskussionen über eine Wahlrechtsreform wie zum Beispiel einem Wahlrecht für Migranten oder für Jugendliche ab 16 Jahren interessant. Leider nicht dezidiert eingeführt werden wichtige politische Kategorien wie Effizienz und Legitimität, Macht und Interessen beziehungsweise die drei Dimensionen polity, policy und politics, die für eine wissenschaftlich fundierte Analyse von politischen Prozessen unerlässlich sind.

Die didaktisch-methodische Gestaltung
„Demokratie lebt vom Mitmachen", das könnte das Motto des gesamten Schulbuches sein. Denn zu Beginn jedes Kapitels werden die Schüler zum politischen Handeln angeregt. Handlungsorientierung in ihrem Außenaspekt spielt also eine große Rolle, handlungsorientierte Makromethoden, die innerhalb des Unterrichts zum Einsatz kommen könnten, fehlen dagegen. Allein durch Arbeitsaufträge, die zu Debatten und Diskussionen zwischen den Schülern anregen, wird der Innenaspekt der Handlungsorientierung berührt.
Eine Methodenorientierung erkenne ich kaum, da weder Mikro- noch Makromethoden vorgestellt werden, es sei denn, man fasst unter Methodenorientierung die Analyseleitfäden für unterschiedliche Quellenarten, die zahlreichen Vorschläge für Recherchevorhaben oder die Kontroversen, die die Lerngruppe interaktiv ausdiskutieren kann.
Die Arbeitsaufträge beziehen sich auf die vorangestellten Materialien mit Hinweisen auf die zu betrachtenden Quelle und beginnen stets mit den gängigen Operatoren der Politikdidaktik. Sie decken zudem mit der üblichen Progression alle drei Anforderungsbereiche ab, so dass die Rubrik „Aufgaben" für eine Lehrkraft sehr hilfreich und entlastend ist. Eine politikwissenschaftlich fundierte Analysekompetenz der Schüler wird durch die Aufgaben jedoch nur eingeschränkt gefördert, da die dafür nötigen Kategorien nicht expliziert eingeführt werden.
Die Aktualität der Beispiele und die Kontroversität des politischen Diskurses sowie eine Problemorientierung hinsichtlich der Formulierung streitbarer Fragestellungen sind durchgängig zentrale didaktische Leitmotive dieses Lehrwerks. Die innere Struktur der Kapitel ist mit einer Ausnahme eher systematisch – zuerst die theoretischen Grundlagen, dann ein kontroverses Fallbeispiel. Nur das Kapitel 8 zum Gesetzgebungsprozess ist grundsätzlich problemorientiert und exemplarisch aufgebaut, indem es mit Hilfe des Politikzyklus vom Problem des demografischen Wandels in Deutschland ausgehend die Komplexität des Gesetzgebungsprozesses darstellt.
Im Lehrerband finden sich einzelne interessante Zusatzmaterialien sowie Lösungs-vorschläge für die Aufgaben im Schülerband. Für das Erstellen von Stundenentwürfen und selbstverständlich zur regelmäßigen Unterrichtsvorbereitung sind sowohl die Formulierungshilfen für die Sach-, Methoden- und Urteilskompetenzen, die mit jedem Kapitel vermittelt werden könnten, als auch die Vorschläge für die didaktische Perspektive zu jedem einzelnen Thema sehr hilfreich.

Fazit
Worin liegt der Innovationswert dieses neu erschienen Schulbuchs? Es ist aktueller als andere und es bezieht die politische Entscheidungsebene der EU mit ein, ansonsten ist es wie andere Lehrbücher zum politischen System auch eher konventionell und hat keine Überraschungen oder Außergewöhnliches zu bieten. Leider passt es thematisch nicht so richtig in ein gesamtes Schulhalbjahr, so dass sich die Fachbereiche in den Schulen angesichts der knappen Budgets fragen werden, ob es sich lohnt, einen gesamten Kurssatz anzuschaffen. Als Fundgrube für Materialien und Aufgabenstellungen oder um Vorschläge zur Strukturierung des Unterrichts zu erhalten, lohnen sich Schülerbuch und Lehrerband zweifellos für jede Lehrkraft in der schulischen politischen Bildung.


Lizenz: CC BY-ND 4.0 Lizenz „Namensnennung – Keine Bearbeitungen 4.0 International“ (CC BY-ND 4.0)


Info Zitation Ennigkeit, Jeannette. Rezension zu: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland von Müller, Erik et al. (Hg.). Bamberg: C. C. Buchner 2010, ISBN 978-3-7661-6843-6, Edumeres 2013, https://edu-reviews.edumeres.net/rezensionen/rezension/ennigkeit-jeannette/, zuletzt geprüft am 26.03.2024.