Geschichte, 9./10. Schuljahr, Gymnasium
Horizonte 4
Herausgegeben von | Baumgärtner, Ulrich und Hans-Jürgen Döscher |
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Erschienen | Braunschweig: Westermann, 2004 |
Seitenanzahl | 320 |
ISBN | 978-3-14-111038-8 |
Geeignet für | Niedersachsen |
Rezensiert von | Fichert, Martin (Lehrer), 23. November 2009 |
Rezension von Fichert, Martin (Lehrer)
Einleitung
Der vorliegende vierte Band aus der Reihe „Horizonte“ ist für die Verwendung in Gymnasien des Landes Niedersachsen konzipiert. In fünf Kapiteln behandelt das Unterrichtswerk die Entwicklungen vom Ende des Ersten Weltkrieges bis in die jüngste Vergangenheit. Das Buch ist optisch sehr ansprechend gestaltet und enthält zahlreiche Abbildungen sowie teilweise weniger bekannte Materialien.
Didaktisches Konzept und Umsetzung
Im Unterschied zu vielen anderen Schulbüchern verzichten die Autorinnen und Autoren von Horizonte 4 auf eine Erläuterung zum didaktischen Konzept und es finden sich auch keine Hinweise, wie Schülerinnen und Schüler mit diesem Buch arbeiten sollen. Dies mag daran liegen, dass das Buch sehr „klassisch“ aufgebaut ist. Neben den üblichen, teilweise recht knapp gehaltenen Verfassertexten sowie Materialteilen finden sich insgesamt sieben Rubriken zur Methodenschulung, Zusammenfassungen sowie eine (!) vierseitige Vertiefung.
Die Kapitel sind klar gegliedert und beginnen jeweils mit einer Auftaktdoppelseite, die ausgewählte Abbildungen zum folgenden Kapitel enthält. Leider werden durch die starke Gliederung, die grundsätzlich zu begrüßen ist, teilweise Zäsuren gesetzt, die fachwissenschaftlich kritisch zu betrachten sind und das Verständnis der Zusammenhänge eher erschweren. Dies zeigt sich besonders deutlich in Kapitel 3, in dem vielfach zwischen unterschiedlichen Themenbereichen gewechselt wird. So taucht beispielsweise die Potsdamer Konferenz zunächst im Unterkapitel „Der politische Neubeginn“ (S. 164ff.) auf. Nach drei weiteren Unterkapiteln über die „Zusammenbruchgesellschaft“, die „Entnazifizierung“ und die Sowjetische Besatzungszone, die teilweise Ereignisse bis in die 1950er Jahre behandeln, springt die Darstellung wieder zurück zur Potsdamer Konferenz, diesmal unter der Überschrift „Der Zerfall der Anti-Hitler-Koalition“ (S. 184ff.). Gliederungssystematisch vermag zudem nicht zu überzeugen, dass die russische Geschichte von der Oktoberrevolution bis zum Ende der Herrschaft Stalins in das Kapitel „Die Weimarer Republik“ ‘gepackt‘ wurde.
Generell wird es den Anforderungen an ein modernes Lehrwerk nicht gerecht, wenn den Schülerinnen und Schülern teilweise gleich zu Beginn der Darstellungen Wertungen und Urteile schlichtweg vorgesetzt werden. Hierzu zählen beispielsweise die Aussagen „Ob die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus erfolgreich und ausreichend war, ist bis heute umstritten.“ (S. 174) sowie „Die DDR nahm für sich in Anspruch, ein besserer Staat als die Bundesrepublik zu sein […].“ (S. 278). Im Sinne eines wirklichen historischen Erkenntnisgewinns hätte man den Schülerinnen und Schülern zugestehen sollen, eigenständige Schlussfolgerungen zu ziehen.
Ebenso nur teilweise gelungen sind die so genannten Methodenseiten, obwohl hierfür wichtige Quellenarten wie Geschichtskarten, Statistiken oder schriftliche Quellen ausgewählt wurden. Die Rubriken bieten jedoch neben einer teilweise sehr knappen Einleitung nicht mehr als ein Konglomerat möglicher Fragestellungen an Quellen. Systematische Anleitungen zur Arbeit mit derartigen Materialien fehlen.
Die fünf Hauptkapitel sind in bis zu 15 Unterkapitel unterteilt. Hierdurch entstehen kurze, leicht lesbare Abschnitte. Bedauerlicherweise führt diese Aufteilung jedoch auch dazu, dass mitunter Informationen zu einem bestimmten Thema über das komplette Werk verstreut sind. Außerdem bringt es die „Stückelung“ der Inhalte mit sich, dass zahlreiche Aspekte wiederholt werden, um jeweils den historischen Zusammenhang herzustellen. Am Ende der Unterkapitel findet sich ein eigener Quellenteil, der Textquellen, Abbildungen, Statistiken und andere Materialien zur thematischen Vertiefung bietet.
Bereits auf den ersten Blick fällt auf, dass die mit Operatoren und W-Fragen formulierten Aufgabenstellungen mitunter sowohl inhaltlich vage als auch sprachlich nur bedingt gelungen sind. Hierzu gehören beispielsweise die Aufgabe „Erkläre den Titel von Hitlers Buch“ (S. 31) sowie die Aufforderung „Deute deine Beobachtungen“ (S. 25), die im Zusammenhang mit den politischen Straftaten in der Weimarer Republik ausgesprochen wird. Auch die Arbeitsanweisung „Stelle eine Tagesration zusammen und esse sie auf. Vergleiche sie mit deinen Ernährungsgewohnheiten.“ (S. 163), die am Ende eines Berichts über die Ernährungslage nach dem Zweiten Weltkrieg gegeben wird, dürfte wohl nur hartgesottene Verfechter eines handlungsorientierten Unterrichts begeistern.
Positiv sind die zahlreichen Fotografien und Abbildungen, wobei – wie bei anderen Lehrbüchern auch – zu bemängeln ist, dass manche Abbildungen deutlich zu klein geraten sind. Ein Beispiel ist das SPD-Plakat zum Kapp-Putsch auf Seite 23, von dem nur einige Sätze ohne Lupe lesbar sind.
Am Ende jedes Hauptkapitels steht eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten Ereignisse, die allerdings äußerst knapp geraten ist und nicht einmal das elementare Basiswissen beinhaltet. Etwas irritierend ist, dass die Texte der Rubriken „Grundwissen: Zeit“, „Grundwissen: Begriffe“ sowie „Grundwissen: Methoden“ am Ende aller Kapitel identisch sind und lediglich die im vorangegangenen Kapitel behandelten Themen durch Fettdruck hervorgehoben wurden. Das Buch endet, neben dem obligatorischen Register und den Bildnachweisen, mit einem so genannten Minilexikon, das 85 Begriffe von „Abrüstung“ über „Judenverfolgung“ bis „Weltwirtschaftkrise“ kurz erläutert.
Inhalt und Methodik
Das erste Kapitel behandelt schwerpunktmäßig die Weimarer Republik. Bereits die Auftaktseite mit Abbildungen zur Novemberrevolution, zur Dolchstoßlegende, zur Hyperinflation und zur Ernennung Hitlers zum Reichskanzler macht deutlich, dass das Scheitern der ersten deutschen Demokratie in den Vordergrund gerückt wird. Lediglich ein Plakat zum Film „Der blaue Engel“ verweist auf andere Seiten der Weimarer Republik.
Die Entstehung der Weimarer Republik wird insgesamt nachvollziehbar geschildert. Allerdings bleibt beispielsweise unerwähnt, warum sich die SPD während des Ersten Weltkriegs spaltete, und auch die bürgerkriegsähnlichen Zustände zum Kriegsende sind sehr oberflächlich behandelt. Die Kürze der Darstellungen stellt teilweise recht hohe Ansprüche an die Leserinnen und Leser, beispielsweise wenn vorausgesetzt wird, dass Schülerinnen und Schüler mit der Bezeichnung von Parteien als weltanschaulich gebunden (S. 13) sinnvoll arbeiten können. Zu bemängeln ist auch, dass die bedeutsamen Bestimmungen des Versailler Vertrages zu knapp und obendrein unvollständig dargestellt werden. So hätte auf den Verlust der Kolonien, deren Erlangung im Zeitalter des Imperialismus eine große Rolle spielte, zumindest hingewiesen werden müssen. Auch die Frage der Reparationen kommt generell zu kurz. Die Formulierung, dass der Young-Plan „in Deutschland höchst umstritten“ (Seite 33) war, wird wohl kaum der innenpolitischen Bedeutung dieses Themas gerecht.
Die Seiten 36-39 stellen einige Erfolge der Weimarer Republik dar, insbesondere aus den Bereichen Politik und Kultur. Etwas verwunderlich ist, dass die Ausführungen über die neue Rolle und das veränderte Selbstbewusstsein der Frau mit einem Verweis auf die Arbeitserleichterungen durch die Erfindung des Staubsaugers enden. Zum Verständnis des neuen Frauenbildes trägt wohl auch die Abbildung einer elegant gekleideten kurzhaarigen Frau beim staubsaugen nicht wirklich bei.
Zur Entstehung der Sowjetunion werden die wesentlichen Basisfakten genannt. Allerdings stört, dass zahlreiche Propagandaplakate aus der Stalin-Ära abgebildet sind, die bei Schülerinnen und Schülern ein recht „freundliches“ Bild hinterlassen könnten. Die kritische Auseinandersetzung mit der Terrorherrschaft Stalins bleibt weitgehend auf den Textteil beschränkt.
Die Ausführungen zum Nationalsozialismus und zum Zweiten Weltkrieg beginnen mit der Kanzlerschaft Hitlers. Den 30. Januar 1933 jedoch als Tag des Beginns der nationalsozialistischen Diktatur zu bezeichnen (S. 80), entspricht nicht der gängigen historischen Auffassung, die immer wieder betont, dass erst nach der Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes oder dem Tode Hindenburgs der Weg in die Diktatur unumkehrbar war.
Auf den folgenden Seiten zeigen sich bedauerliche Mängel. Ein wegweisendes Ereignis wie der spanische Bürgerkrieg bleibt beispielsweise gänzlich unerwähnt. Auch dass als einzige alliierte Kriegskonferenz die Konferenz von Jalta benannt wird (S. 128), fällt negativ auf. Als letzter Beleg für die Lückenhaftigkeit der Ausführungen sei darauf verwiesen, dass den Leserinnen und Lesern zwar das Attentat vom 20. Juli 1944 näher gebracht wird, die sich anschließenden Unrechtsprozesse vor dem Volksgerichtshof jedoch nicht behandelt werden. Hier hätten die Autorinnen und Autoren, dem Gesamtkonzept des Buches folgend, mit wenigen Sätzen zumindest ansatzweise Abhilfe schaffen können.
Das dritte Kapitel stellt den Ost-West-Konflikt und die doppelte Staatsgründung dar. Hier werden, wie bereits erwähnt, auch die Ereignisse um die Potsdamer Konferenz thematisiert. Warum die gemeinsamen Ziele der Alliierten jedoch nicht mit den üblichen und gut zu merkenden „4Ds“ umschrieben wurden ist unverständlich. Formulierungen wie „Entflechtung der Wirtschaft und Konzerne“ (S. 164) sind sicherlich für die Zielgruppe des Buches weniger eingängig. Am Rande sei vermerkt, dass auf Seite 184 auf eine „bekannte“ Fotografie verwiesen wird, auf der sich Churchill, Truman und Stalin die Hände reichen. Im Buch findet sich diese Abbildung jedoch nicht.
Die Darstellung der Entwicklungen nach 1945 (Kapitel 4) beginnt mit der Gründung der UNO. Das Schaubild zur Organisation der Vereinten Nationen ist hilfreich, um die ansonsten sehr knappen Ausführungen nachvollziehen zu können. Das Fallbeispiel zur Entwicklung des Kongos, das Probleme im Zusammenhang mit Einsätzen der UNO verdeutlichen soll, kann sicherlich auch heutzutage noch als anschaulich gelten. Die folgenden Seiten machen jedoch wieder das Kernproblem dieses Buches deutlich. Die weltpolitischen Entwicklungen von 1945 bis 1962 sind in drei Seiten Verfassertext und drei Seiten Materialteil nur sehr schwer nachvollziehbar zu beschreiben. Die weiteren Themen sind dennoch insgesamt für Schülerinnen und Schüler verständlich dargestellt, auch wenn die Erlangung aller Informationen – wie oben bereits angedeutet – Geduld erfordert. So erfahren die Leserinnen und Leser beispielsweise auf Seite 228, dass die Gründung der EVG im Rahmen des europäischen Einigungsprozesses scheiterte. Welche Gründe letztlich hierfür Ausschlag gebend waren, wird erst 35 Seiten später bei den Ausführungen über die Gründung der Bundeswehr „verraten“. Wiederum sind manche Formulierungen nicht besonders glücklich gewählt. Als Beispiel sei die lapidare Feststellung genannt, dass der Kalte Krieg nach der Kuba-Krise abklang (S. 234), die für Jugendliche wohl kaum verständlich macht, warum dieser Konflikt noch mehrere Jahrzehnte die Weltpolitik bestimmte.
Das letzte Kapitel trägt den Titel: „Deutschland - Von der Teilung zur Wiedervereinigung“. Auch hier sind manche Ausführungen leider nur unter Vorbehalt zu verwenden. So ist die Gleichsetzung der „Ära Adenauer“ mit den Fünfzigerjahren (Seite 256) zumindest ungewöhnlich, da der erste Bundeskanzler bekanntlich erst 1963 sein Amt aufgeben musste. Zentralen Ereignissen wie der Rückkehr der letzten Kriegsgefangenen oder der Stalin-Note hätte man zudem mehr als einen bzw. zwei Sätze zugestehen sollen. Gleiches gilt für die „Ära Kohl“, deren Erläuterung ebenfalls sehr eindimensional und knapp ausfällt. Bedauerlich ist auch, dass die DDR den Schülerinnen und Schülern nach der Lektüre des Buches weiterhin fremd bleiben wird und sich zudem Datierungsfehler eingeschlichen haben. Zwar werden viele Aspekte thematisiert, eine eingängige Darstellung ist jedoch nicht gelungen. Dies gilt umso mehr, da auch in diesem Kapitel manche Aussagen eher für Verwirrung als für Klarheit sorgen. Hierzu zählt u. a. die Formulierung „In der DDR herrscht Vollbeschäftigung, sodass niemand Entlassungen fürchten musste“ (S. 297). Um dieses vermeintlich positive Bild zu relativieren und weitere Informationen über die Ökonomie und den Arbeitsalltag in der DDR zu erhalten, müssen sich die Schülerinnen und Schüler – wie dies in diesem Buch leider häufig der Fall ist – in anderen Kapiteln auf die Suche begeben. Die Gefahr ist folglich groß, dass bei selektivem Lesen einseitige und falsche Eindrücke haften bleiben.
Fazit
Insgesamt wird Horizonte 4 den Ansprüchen an ein modernes Unterrichtswerk nur teilweise gerecht. Immer wieder finden sich Ungenauigkeiten und manche historisch relevanten Bereiche fehlen komplett. Besonders ärgerlich ist die Tatsache, dass Informationen selten in Gänze dargestellt werden und man zur umfassenden Recherche zahlreiche Kapitel heranziehen muss. Allerdings bietet Horizont 4 auch über weite Teile eine ansprechende und zugleich abwechslungsreiche Beschreibung historischer Abläufe. Insofern wird dieses Buch wohl in diesen Bereichen den Vorgaben der Lehrpläne bzw. der Kerncurricula gerecht, die eine Kenntnis von „Hauptlinien“ oder „wesentlichen Etappen“ verlangen. Dass manche Aussagen den Schülerinnen und Schülern ein falsches Bild vermitteln können oder einige Phasen nur sehr unvollständig dargestellt werden, bleibt trotz allem als wesentlicher Kritikpunkt bestehen.