Ethik / Philosophie, Oberstufe, Gymnasium
Was soll ich tun? Orientierung für den Ethikunterricht
Herausgegeben von | Grätzel, Stephan und Josef Größchen |
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Erschienen | Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 2009 |
Seitenanzahl | 264 |
ISBN | 978-3-525-78001-5 |
Geeignet für | Hessen |
Rezensiert von | Kopp, Lara Marie, Sylvia Preußer und Melanie Rummel (Studierende), 7. November 2012 |
Projekt | Justus-Liebig-Universität Gießen, Sommersemester 2012, Schulbücher im Ethik- und Philosophieunterricht |
Rezension von Kopp, Lara Marie, Sylvia Preußer und Melanie Rummel (Studierende)
Einleitung
Das Schulbuch „Was soll ich tun? Orientierungen für den Ethikunterricht“ erhebt den Anspruch, ein Wegweiser durch die Ethik zu sein. Hierbei will es Anlässe zur Einübung Reflexionsmethoden, Fachmethoden und Methoden für die Arbeit mit Medien vermitteln. Obgleich es keine Vorkenntnisse erwartet, will es mit Hilfe von drei Hauptkapiteln einen kompletten Durchgang durch die Ethik absolvieren. Ob das Schulbuch seinem Anspruch gerecht werden kann, zeigt sich in der nachfolgenden Rezension.
Aufbau/Struktur
Der inhaltliche Aufbau des Schulbuches konzentriert sich auf die drei Teilbereiche der Ethik: Philosophie, Soziologie und Religionswissenschaften. Die Aspekte werden teilweise separat, aber auch untereinander verknüpft behandelt. In dem Kapitel „Der interreligiöse Dialog“ werden die großen Weltreligionen Buddhismus, Islam, Judentum und Christentum thematisiert. Die verschiedenen Religionen werden zum Beispiel anhand eines Primärtextes aus dem Koran, eines Vortrags von Joseph Ratzinger oder eines Sekundärtextes über den Buddhismus behandelt; der Hinduismus fehlt jedoch gänzlich. Darauf aufbauend werden Kontroversen aufgezeigt, so zum Beispiel im Text „Der Fundamentalismus als Antwort auf die Moderne“ sowie durch die Thematisierung der Rolle der Frau im Christentum und Islam. Insgesamt greift das Schulbuch mit der Auswahl seiner Bilder verstärkt auf die christliche Geschichte zurück. Die Texte und Aufgaben hingegen berücksichtigen die Heterogenität der Schülerinnen und Schüler.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das didaktische Konzept der Autoren innovativ ist. Die Text- und Bildquellen sind logisch verknüpft und das Schulbuch ist in sich schlüssig aufgebaut. Jedoch ist die Gestaltung eher unübersichtlich.
Autorentexte/Verfassertexte
Die Struktur des Schulbuches gliedert sich in vier Teile: Nach der Einleitung folgen die Kapitel „Orientierung in der Anthropologie: Wer bin ich – was ist der Mensch?“, „Orientierung in der Allgemeinen Ethik – Das Ich und die Anderen“ sowie „Orientierung in den Bereichsethiken – Das Ich in problemhaltigen Lebenslagen“.
Vor der Einleitung wenden die Autoren sich in ihrem Vorwort an die Schülerinnen und Schüler sowie an die Lehrkräfte. Sie erklären ihre Überlegungen, aus denen der Aufbau ihres Buches resultiert, und geben Beispiele, wie die Struktur in der Umsetzung genutzt werden könnte.
Die Einleitung gliedert sich in eine sachliche und eine didaktische Orientierung. Sie ist sehr ausführlich. Anhand von Beispielen mit einhergehenden Musterlösungen werden exemplarisch die Methoden und Arbeitsschritte des Buches vorgestellt. Ebenso werden die verwendeten Operatoren geklärt. Die nachfolgenden Kapitel beginnen alle mit einem einführenden Autorentext und enden mit einem Reflexionsteil.
Die einzelnen Themenseiten sind meist derart strukturiert, dass links ein Bild zu sehen ist, welches mit den darunter stehenden, sehr ausführlichen Fragen sowohl als Einstieg, begleitend als auch abschließend erarbeitet werden kann. Rechts findet sich ein Text zu dem Thema, mit Erschließungs- und weiterführenden Fragen. Hierzu wird in der Einleitung eine Farbcodierungstabelle erläutert, um den Grad der Aufgaben zu klassifizieren. Somit basiert der strukturelle Aufbau des Schulbuches prinzipiell auf einer logischen Verknüpfung von Text- und Bildquellen.
Leider fehlt dem Buch eine Kopfzeile, welche deutlich macht, in welchem Kapitel und welchem Unterthema sich der Lernende befindet. Da auch keine farbliche Unterscheidung in der Seitengestaltung oder bei den Überschriften getroffen wird, ist es schwierig, den roten Faden während der Bearbeitung eines Themas im Bewusstsein zu behalten. Ebenso lässt sich keine hierarchische Struktur durch die Größe der Überschriften erkennen.
Positiv zu vermerken sind die Überschriften selbst, da sie anstelle der Originalüberschriften aktuell und problemorientiert formuliert und somit motivierend sind. Als Beispiele lassen sich „Der Fundamentalismus als Antwort auf die Moderne“, „Die bürgerliche Gesellschaft als Garant der Rechtsstellung“ oder „Computer und Geist“ nennen. Hilfreich sind auch die Einführungs- und Reflexionsteile, da diese einen Überblick bieten und teilweise hilfreiche Grafiken und Tabellen enthalten.
Materialien
Hauptsächlich werden in diesem Schulbuch Thematiken in Form von Texten dargestellt, welche häufig durch ein nebenstehendes Bild ergänzt werden. Im Allgemeinen lässt sich eine innovative und ansprechende Anordnung von Bildern und Texten feststellen. Trotz der hohen Anzahl der Bilder ist die Auswahl und Qualität dieser oft nicht ansprechend für Schülerinnen und Schüler, weil sie nicht aussagekräftig und schülerrelevant sind. Bei den Textsorten handelt es sich überwiegend um informierende Sachtexte, die exemplarisch passend für die Thematik ausgewählt sind. Andere Textsorten, wie beispielsweise Zeitungsausschnitte, Reden o.ä. sind nur sehr vereinzelt zu finden. Des Weiteren fällt auf, dass die Texte fortwährend dieselbe Länge von einer Schulbuchseite aufweisen. Fragwürdig ist hierbei, ob die Länge des Textes nicht nach der Aussage bestimmt werden sollte, die man vermitteln möchte, und nicht nach der zu füllenden Seitenanzahl. Gerade weil das Schulbuch den Anspruch erhebt, in der Oberstufe eingesetzt zu werden, ist auch die Arbeit mit längeren Texten sehr gut vorstellbar. Das Sprachniveau, der Lehrplanbezug und auch die Verständlichkeit der Texte sind durchaus schülergerecht und sinnvoll gewählt. Dennoch wird das Abstraktionsniveau, im Verhältnis zu den reproduzierenden Aufgabenstellungen, häufig vernachlässigt, da die geforderte Reproduktion deutlich im Vordergrund steht. Allerdings bieten die Sachtexte an sich eine gute Arbeitsgrundlage. Im Allgemeinen sind die Sachtexte neutral-informativ gehalten und die Quellen werden angegeben. Dadurch sind die Schülerinnen und Schüler in der Lage, den Standpunkt des Autors nachzuvollziehen. Trotzdem ist es bedauerlich, dass es aufgrund der fehlenden Pluralität an Texten bzw. anderen Arbeitsmaterialien vorwiegend nicht zu einer multiperspektivischen Sichtweise kommen kann. Zudem gibt es, außer in den Reflexionsteilen, kaum eigene Denkanregungen, da die Sachtexte die ethischen Fragen bereits erkunden und teils eine Lösung ihrer Probleme aufzeigen.
Medien- und Methodenvielfalt
In Zeiten von Medien- und Methodenvielfalt im Unterrichtsgeschehen binden viele Schulbücher diverse Begleitmaterialien und neue Medien in ihrem Aufbau mit ein. Auch dieses Schulbuch bietet Zusatzmaterial an, jedoch nicht im erhofften Umfang. Bei dem angebotenen Zusatzmaterial handelt es sich nur um einige wenige Internetverweise, andere Medien werden gänzlich außer Acht gelassen und es bestehen auch keine Anreize zu Projekten im Internet. Häufig werden die Internetverweise im Zusammenhang mit der Informationsbeschaffung bei der Aufgabenstellung verwendet, wobei diese eher trivial erscheinen. Bei den angebotenen Internetverweisen handelt es sich um Internetseiten, die nicht speziell für den Unterricht bzw. für Schülerinnen und Schüler errichtet wurden. Des Weiteren sind einige Internetadressen bereits veraltet und nicht mehr abrufbar. Gelangt man schließlich doch zu einer Internetadresse, erweist es sich als sehr schwierig, die gestellte Aufgabe zu erfüllen, da die Seiten sehr unübersichtlich sind und es häufig unmöglich erscheint, einen Bezug zur Aufgabe zu finden. Dies ist sehr mühselig, zumal die Erarbeitungsfragen des Schulbuches schon sehr ausführlich sind. Schlussfolgernd weist das Begleitmaterial keinen Mehrwert für die Schülerinnen und Schüler auf.
Aufgabenstellung
Positiv fällt auf, dass den Schülerinnen und Schülern in der Einleitung des Buches die Aufgabenstellungen und Texte exemplarisch vorgestellt werden. Folglich erhalten sie somit eine erste Orientierung und Anleitung. Des Weiteren werden auch vorab die verwendeten Operatoren aufgelistet und ihre Tätigkeit genau erläutert. Im gesamten Schulbuch sind die Aufgabenstellungen durch Farbcodierungen markiert und geben dadurch ihre Zugehörigkeit zum Aufgabentyp an: „ergebnisoffen“, „grundlegend“, „weiterführend“ und „vertiefend“. Somit wissen die Schülerinnen und Schüler, zu welchem Aufgabentyp ihre Aufgaben gehören und können sich darauf einstellen.
Im Allgemeinen sind die Aufgabenstellungen klar definiert und verwenden die vorgestellten Operatoren. Die Aufgabenstellungen beinhalten einen aufbauenden Lösungsweg. Beginnend mit den schüler- und problemorientierten Überschriften laden die Texte dazu ein, sich mit einer Thematik auseinanderzusetzen. So aktivieren sie immer zuerst das Vorwissen der Schülerinnen und Schüler und widmen sich anschließend mit gründlichen Erarbeitungs- und Erschließungsfragen den Texten. Die Aktivierung des Vorwissens anhand der Bildbearbeitung ist aber meist derart arbeits- und zeitintensiv, dass sie in keiner angemessenen Relation zur Unterrichtszeit steht. Abschließend sollen die Schülerinnen und Schüler zum selbstständigen Denken angeregt werden, um so zu einer kritischen Urteilsbildung zu gelangen. Dennoch findet dies überwiegend nur im Reflexionsteil statt. Dort werden Reflexionsmethoden, wie beispielsweise das „Sokratische Gespräch“ und die „Dilemmadiskussion“ aufgezeigt. Da der Reflexionsteil aber nicht deutlich gekennzeichnet ist, beispielsweise durch eine farbliche Unterlegung, wird er schnell überblättert. Somit liegt es an der Lehrkraft, ihn zur Geltung zu bringen. Dies ist schade, da es dem Buch hier an Gestaltung fehlt. Das Schulbuch selbst bietet keine Differenzierungsangebote, weder nach verschiedenen Lernniveaus, noch nach Interessen der Schülerinnen und Schüler. Lediglich die Anzahl der zu bearbeitenden Fragen kann von der Lehrkraft variiert werden.
Fachdidaktische Positionen und Fragestellungen
Der Aufbau sowie die Themen und Aufgabenstellungen des Schulbuches sind handlungs- und problemorientiert formuliert. Bereits der Titel „Was soll ich tun“ verdeutlicht dies. Das Schulbuch bietet mit dem gegebenen Material Potential für unterschiedliche Unterrichtskonzepte, jedoch nicht ohne zusätzliche Bemühungen der Lehrkraft, da es seinem Strukturaufbau durchgehend treu bleibt und keine alternativen bzw. variierenden Einstiege ermöglicht. Das Schulbuch erhebt den Anspruch, Einübungen in die Reflexion, Reflexionsmethoden, Fachmethoden sowie Methoden für die Arbeit mit Medien zu bieten. Viele dieser Methoden setzen implizit Kompetenzen voraus oder fördern diese. So beginnt beispielsweise fast jede Thematik mit der Aufforderung „Informieren sie sich...“ Hierbei werden aber meist keine Medien oder Informationen angefügt, sondern eine hohe Selbstständigkeit der Schülerinnen und Schüler vorausgesetzt, sich diese Informationen mit Hilfe externer Medien eigenständig zu erarbeiten. Da das Material sehr textlastig ist, steht die Lese- und Textkompetenz stark im Zentrum. Zudem sprechen Kapitel wie „Der interreligiöse Dialog“ aber auch weitere Kompetenzen wie beispielsweise die Interkulturelle Kompetenz an. Explizit werden jedoch nur Methoden und keine Kompetenzen behandelt und aufgeführt. Die Methoden werden in drei Kategorien eingeteilt:
1. Fachmethoden (Phänomenologie, Hermeneutik und Dialektik)
2. Methoden für die Arbeit mit Medien (Texterschließungsverfahren, Arbeit mit Bildern),
3. Reflexionsmethoden (sokratisches Gespräch, ethische Analyse, schreiben eines Essays, etc.)
Diese werden auch über das gesamte Schulbuch sinnvoll und transparent eingesetzt und verwendet. Ein ähnlicher Umgang mit Kompetenzen fehlt. Dennoch setzt dieses Buch, im Vergleich zu vielen anderen, seinen Schwerpunkt nicht in der reinen Wissensvermittlung, sondern ist an der persönlichen Auseinandersetzung der Schülerinnen und Schülern mit den Themen interessiert.
Fachwissenschaftliche Aktualität
Das Schulbuch ist in erster Auflage 2009 erschienen und gehört somit zu den aktuellen Schulbüchern für den Ethikunterricht. Es zeichnet sich durch seine relativ neue Herangehensweise aus, welche die persönliche Auseinandersetzung und Meinungsbildung der Schülerinnen und Schüler sowie deren Selbstständigkeit in den Mittelpunkt setzt. Auch die Struktur des Schulbuches weicht von der klassischen Lehrplanorientierung anderer Schulbücher ab. So bearbeitet es nicht Stück für Stück den Lehrplan, sondern beginnt thematisch nah beim „Ich“. Dann beschäftigt es sich mit der Beziehung des „Ichs“ zu Anderen, um abschließend das „Ich“ in problemhaltigen Lebenslagen zu betrachten. Hierbei wird auch auf aktuelle, ethische Diskussionen Bezug genommen. Ferner ist die Seitengestaltung mit der Bild- und Textaufteilung ansprechend und schülerorientiert. Somit stimmt das Schulbuch mit den neusten, fachdidaktischen Erkenntnissen überein. Des Weiteren wird auch die fachwissenschaftliche Aktualität geleistet, indem zentrale Dimensionen der Ethik angemessen berücksichtigt werden und die gegebenen Inhalte mit dem aktuellen Forschungsstand übereinstimmen.
Fazit
Das Schulbuch erhebt zu Recht den Anspruch, ein Wegweiser durch die Ethik zu sein sowie Reflexionsmethoden und Fachmethoden einzuüben. Ob es jedoch die Methoden für die Arbeit mit Medien vermittelt ist fraglich, da es außer Text- und Bildarbeit sowie dem Recherchieren im Internet keine weiteren Medien wie beispielsweise Filme oder Karikaturen mit einbezieht. Die Auswahl der Texte lässt sich als eine gute Mischung von Original- und didaktisch-reduzierten Texten beschreiben. Die fehlende Struktur in der Gestaltung des Buches bringt jedoch den deutlichen und gut überlegten Aufbau nicht ausreichend zur Geltung. Obwohl leider sowohl Autoren- als auch Sachwortverzeichnis als Nachschlagwerk fehlen, handelt es sich um ein Interessantes Buch, welches Alternative Ansätze und Herangehensweisen aufzeigt.