Geschichte, 9./10. Schuljahr, Gymnasium
Anno 3
Herausgegeben von | Baumgärtner, Ulrich und Klaus Fieberg |
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Erschienen | Braunschweig: Westermann, 2009 |
Seitenanzahl | 288 |
ISBN | 978-3-14-111062-3 |
Geeignet für | Sachsen-Anhalt |
Rezensiert von | Kühn, Henning und Patrick Hagge (Studierende), 13. Dezember 2010 |
Projekt | Christian-Albrechts-Universität Kiel, Sommersemester 2010 |
Rezension von Kühn, Henning und Patrick Hagge (Studierende)
Einleitung
Das im Westermann Verlag erschienene Schulbuch „Anno 3“ soll die Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen 9 und 10 zu einem kritischen Umgang mit Geschichte befähigen. Ein besonderer Fokus liegt hierbei auf dem 20. Jahrhundert, teilweise greifen die Autoren aber auch über diese Zeit hinaus. Das Buch besticht durch die Qualität des Drucks und gute Grafiken. „Anno 3“ ist an den neuen Entwicklungen im Bereich der Didaktik ausgerichtet; es ist klar strukturiert und gegliedert, gleichzeitig hinsichtlich der Auswahl der Themen und Abbildungen sehr facettenreich.
Aufbau und Inhalt
Das Schulbuch umfasst 352 Seiten, die neben den thematischen Kapiteln auch ein Minilexikon und ein Register enthalten. Die farbliche Gestaltung der Seiten trägt erheblich zur Stringenz der Gliederung bei. So sind die Zusammenfassungen am Ende eines Kapitels stets grün, die Methodenteile blau gefärbt, während Vertiefungs- und Längsschnitt-Seiten gelb markiert wurden. Diese farbliche Codierung wird auch im Inhaltsverzeichnis verwendet, so dass es den Schülerinnen und Schülern stets gut möglich ist, dem Aufbau des Schulbuches zu folgen. Der besseren Orientierung dient auch der Zeitstrahl, der sich am oberen Seitenrand finden lässt, ausgenommen sind besondere Seiten wie Methoden- oder Längsschnitt-Teile.
Jedes Kapitel beginnt mit einer Auftaktdoppelseite, die verschiedene Symbole, Fotografien, Plakate und andere Materialien miteinander kombiniert und kontrastiert. So zeigt beispielsweise die Doppelseite des ersten Kapitels auf der einen Seite ein bekanntes sowjetisches Standbild, auf der anderen Seite die Freiheitsstatue. Auf diese Weise wird der Ost-West-Konflikt symbolisiert, einen wirklichen Erkenntnisgewinn vermögen wir hieraus jedoch nicht abzuleiten. Positiv hervorzuheben ist, dass alle Bilder mit einer kurzen Beschreibung versehen sind, ohne den Schülerinnen und Schülern den subjektiven Blick zu verstellen. Das Ende eines jeden Kapitels, ausgenommen der beiden Längsschnitt-Teile, bildet eine Zusammenfassung. An dieser Stelle führen die Autoren die wichtigsten Aspekte auf, was nur bedingt der Forderung nach einem offenen Geschichtsbild entspricht, dem Orientierungsbedürfnis der Schülerinnen und Schüler und den Überprüfunsgerfordernissen durch die Institution Schule aber entgegenkommt. Daneben werden die wichtigsten Daten, Begriffe und Personen genannt, außerdem Filmtipps und Lesevorschläge gegeben und Museen empfohlen. Die Zusammenfassungen leiden teilweise stark durch ihre Reduktion auf das Wesentliche, was für das Verständnis des Textes nicht immer hilfreich ist. Die Verweise der Autoren sind hingegen äußerst wertvoll, insbesondere, da sich neben Filmtipps wie „Schindlers Liste“ auch Buchvorschläge wie „Damals war es Friedrich“ finden lassen. Gerade diese weit gefächerte Auswahl kann den Schülerinnen und Schülern einen affektiven Zugang zu Geschichte ermöglichen und verweist auf das weite Feld der außerschulischen Geschichtskultur.
Die Kapitel sind thematisch gegliedert, dennoch wird die Chronologie nur selten unterbrochen. Das erste Kapitel mit der Überschrift „Neue weltpolitische Koordinaten“ umfasst 18 Seiten und thematisiert den Aufstieg der USA zur Weltmacht sowie die Entwicklungen in der Sowjetunion von der Oktoberrevolution bis zur Herrschaft Stalins. Es folgt das 50 Seiten umfassende Kapitel „Die Weimarer Republik“, welches zwei doppelseitige Methodentrainings beinhaltet. Auf diesen Seiten wird der „Umgang mit Geschichtskarten“ und der „Umgang mit Statistiken“ thematisiert, die zwar kleinschrittig, aber dennoch sehr gut aufgebaut sind. Als störend muss man anmerken, dass diese Trainings im gesamten Buch nur wenig in den Text eingebunden sind, vielmehr erscheinen sie als – gut gelungene – Fremdkörper innerhalb der Abschnitte. An anderen Stellen sollen weitere Methoden erlernt werden, so ist zum Beispiel im dritten Kapitel ein Flugblatt der Weißen Rose abgedruckt, welches mit „Widerstand – Ein Flugblatt analysieren“ überschrieben ist. Hier wird zwar auf eine bestimmte Methode verwiesen, in welche jedoch nicht eingeführt wird, einzig zwei Fragen zielen auf die Analyse ab.
Das dritte Kapitel ist überschrieben mit „Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg“ und bildet mit 76 Seiten den umfangreichsten Teil des Buches. Neben dem Methodentraining „Umgang mit Fotografien“ sind zwei Doppelseiten eingebunden, welche der Vertiefung des Erlernten dienen sollen. Hierbei handelt es sich um landesgeschichtliche Aspekte; einmal wird der „Kriegsalltag im heutigen Sachsen-Anhalt“, an anderer Stelle der „NS-Terror im heutigen Sachsen-Anhalt“ dargestellt. So lobenswert diese Einbindung auch sein mag, so irreführend ist doch der Begriff der Vertiefung, denn es scheint unklar, ob gerade diese Teile in entscheidender Weise zur Vertiefung beitragen. Aus diesem Grund wäre eine andere Überschrift sinnvoller, welche die landesgeschichtliche Perspektive deutlicher hervorhebt. Am Ende des dritten Kapitels wird die Chronologie des Buches unterbrochen, denn es folgt mit der „Geschichte der Juden in Deutschland“ auf 16 Seiten eines der beiden Längsschnitt-Themen. Besonders hier wird das Übergewicht der Autorentexte deutlich: die Quellen umfassen teilweise nur wenige Zeilen, selten sogar nur einen Satz (S. 165). So aussagekräftig diese Ausschnitte auch sein mögen, der Quellencharakter leidet doch erheblich unter diesen Kürzungen.
Das Kapitel „Ost-West-Konflikt und doppelte deutsche Staatsgründung“ fasst auf 40 Seiten die wichtigsten Entwicklungen der direkten Nachkriegszeit zusammen, wobei sich die Autoren um eine neutrale Darstellung sowohl der Bundesrepublik Deutschland als auch der DDR bemühen. Dennoch ist eine Dominanz der westdeutschen Staatsgründung spürbar. In dieses Kapitel ist wieder ein Längsschnitt-Thema („Kriegsende im heutigen Sachsen-Anhalt“) sowie ein Methodentraining („Umgang mit Berichten von Zeitzeugen“) eingeflochten. Diese Methode würde sich hervorragend für den Umgang mit einer Originalquelle eignen, welche möglichst in Form eines Videos oder auch im Audioformat der Klasse präsentiert werden könnte. Durch die Ausschöpfung derlei Möglichkeiten könnte ein modernes Schulbuch sicherlich an Qualität gewinnen, was an dieser Stelle jedoch vielmehr als Vorschlag, denn als Kritik aufgefasst werden sollte.
Es folgt der 32-seitige Abschnitt „Die bipolare Welt nach 1945“, in dem besonders das großformatige Kartenmaterial auffällt. Auf diese Weise werden geopolitische Faktoren in den Geschichtsunterricht einbezogen, obwohl das Konzept an dieser Stelle keine explizite Erwähnung findet. Die doppelseitige Karte auf Seite 245 soll durch eine Aufgabe erschlossen werden, wobei auf Methodenwissen zurückgegriffen wird, welches in Kapitel 2 erlernt wurde. Hier wird die didaktische Stringenz des Buches offenbar. Neben vielen anderen Möglichkeiten der multiperspektivischen Auseinandersetzung wird der Koreakrieg herangezogen, um unterschiedliche Deutungen zu untersuchen (S. 227). Die verschiedenen Perspektiven, sowohl zeitlich als auch politisch, werden in den beiden Reden gut ersichtlich, diejenige von Bill Clinton ist sogar in der Originalsprache abgedruckt. So wie sich die geopolitische Perspektive zum fächerübergreifenden Unterricht mit dem Fach Erdkunde lohnt, kann diese Quelle sicherlich auch als Anregung für den Unterricht im Fach Englisch genutzt werden. Einzig der Quellennachweis durch einen Weblink muss kritisiert werden, vor allem, da dieser leider nicht mehr gültig ist. Hier zeigen sich die Probleme des Mediums Internet, ein Verweis auf eine schriftliche Publikation wäre sicherlich hilfreich. Dennoch halten wir das Einbinden des Internets in den Unterricht heute für unverzichtbar. Die Eingliederung von Verweisen kann die Informationsbeschaffung jenseits des Lernortes Schule erheblich erleichtern, da den Schülerinnen und Schülern der Zugriff auf dieses Medium häufig sogar zu Hause möglich ist, ein zweiter „fester“ Verweis auf eine gedruckte Veröffentlichung wäre aber dennoch wünschenswert.
Wurden im vorangegangenen Kapitel die internationalen Entwicklungen dargestellt, widmet sich der Abschnitt „Deutschland – Von der Teilung zur Wiedervereinigung“ der Geschichte der beiden deutschen Staaten. Abermals fällt hier die vielfältige Quellenauswahl auf. Als besonders gutes Beispiel kann der Abdruck einer Seite aus der „Bravo“ von 1961 gelten (S. 264). Der abgedruckte Artikel mit der Überschrift „Meine Eltern verbieten mir den Urlaub“ zeigt in deutlicher Form, dass in diesem Schulbuch auch kulturgeschichtliche Aspekte Berücksichtigung finden. Die Einbettung des Methodentrainings „Umgang mit schriftlichen Quellen“ irritiert, nicht nur durch die Platzierung auf den Seiten 272 und 273. Die Schülerinnen und Schüler haben sich auf den vorangegangen Seiten schließlich in vielfältiger Weise mit Schriftquellen beschäftigt, hinzu kommt, dass im Autorentext kaum auf das Medium der schriftlichen Quelle eingegangen wird. Das Frageraster hingegen ist äußerst hilfreich, es hätte jedoch an anderer Stelle besser gepasst, um die Schülerinnen und Schüler schon frühzeitiger im Umgang mit schriftlichen Quellen zu schulen.
Die letzten Textseiten des Buches bilden den Längsschnitt-Teil „Weltbilder im Wandel“, in ihm wird auch Grundlagenwissen bezüglich der Konzeption des Längsschnitts vermittelt, wobei insbesondere auch auf die Konstruktion von Geschichte eingegangen wird. Wichtige Historiographen, Philosophen und Gelehrte dienen hier den Autoren als Quellen – von Homer bis hin zu Werner Heisenberg.
Das folgende Minilexikon umfasst die wichtigsten Begriffe, die in einfachen und gut verständlichen Worten erklärt werden. Ein Manko ist der übermäßige Gebrauch von Anführungszeichen in Bezug auf Begriffe der NS-Zeit. Einträge wie „Entartete Kunst“ oder „Reichskristallnacht“ sind sicherlich als kritisch darzustellen, eine besondere Markierung durch Anführungszeichen scheint uns jedoch überflüssig zu sein, besonders, da es sich hier um ein Lexikon handelt. Das sich anschließende Register kann ebenfalls als gelungen bewertet werden, aber auch hier ist der übermäßige Gebrauch von Anführungszeichen zu bemängeln.
Didaktische Analyse
Das Schulbuch ist modern aufgebaut und gestaltet, was den Umgang mit ihm erheblich erleichtert. Die zuvor genannten Brüche stören den Aufbau des Buches nur geringfügig. Schon bei der ersten Durchsicht wird die Struktur der Kapitel deutlich. Diese Struktur wird nur äußerst selten unterbrochen, was einerseits zum klaren Konzept des Buches beiträgt, andererseits auch etwas monoton wirkt. Insgesamt nimmt der Autorentext ungefähr 50% des Umfanges des Gesamttextes ein.
Der von den Autoren verfasste Text ist positiv zu bewerten, kleinere Kritikpunkte sind die zum Teil langen und unverständlichen Sätze (S. 28) sowie die teilweise fehlende Einbindung in den Gesamtzusammenhang. Zum Beispiel beginnt der Abschnitt „Die USA im 19. Jahrhundert“ mit einem Text, in welchem innerhalb von zwei Sätzen zwischen dem 20., dem 17. und dem 18. Jahrhundert gesprungen wird. Diese Brüche, zumal im ersten Abschnitt vorhanden, erschweren sicherlich den Zugang zum Buch, hier sind Erläuterungen von Seiten der Lehrkraft von besonderer Wichtigkeit.
Die zumeist gut verständlichen Fragen setzen sich durch einen Rahmen sowie eine farbliche Markierung vom Text ab, außerdem wird hier häufig direkt auf bestimmte Materialien verwiesen. So kann mit den Schülerinnen und Schülern sehr zielgerichtet gearbeitet werden, ohne dabei die Multiperspektivität (z.B. S. 83) und den Konstruktionscharakter (z.B. S. 310) von Geschichte zu verleugnen. Weiterhin lässt sich die oft geforderte Problemorientierung finden, welche für den modernen Geschichtsunterricht als unverzichtbar gelten muss. Lediglich Genderaspekte lassen sich in „Anno 3“ nicht finden, obwohl auch diese in den letzten Jahren deutlich an Wichtigkeit zugenommen haben. Durch eine stärkere Akzentuierung dieses Aspekts könnte das Schulbuch an Aktualität und Qualität gewinnen.
Die im Buch abgedruckten Grafiken bestechen nicht nur durch ihre gute Druckqualität, auch die Darstellung und Beschreibung ist gelungen. Auf Seite 8 zeigt ein Schaubild die Verfassung der USA, in welches die Gebäude des Kongresses und des Obersten Gerichtshofes sowie das Weiße Haus aufgenommen wurden. Die optische Darstellung spricht die Schülerinnen und Schüler sicherlich mehr an, als ein bloßes Schaubild, vor allem, da davon auszugehen ist, dass ein Teil der Schüler mindestens zwei der drei Gebäude erkennen kann.
Betrachtet man die Perspektive dieses Schulbuches, so muss man einräumen, dass eine globale Darstellung nicht gelungen ist. Das Kapitel „Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg“ beispielsweise stellt nur sehr selten auch außereuropäische Entwicklungen dar. Die Vorgänge in Asien werden fast nur in Bezug auf den Abwurf der Atombombe und das folgende Kriegsende erläutert. Dies ist sicherlich störend, wird doch der Blick auf Europa, die USA und die Sowjetunion verengt, was unserer Meinung nach als nur bedingt zeitgemäß erscheinen kann, obwohl es den Rahmenrichtlinien des Lehrplanes entspricht.
Fazit
Das Schulbuch „Anno 3“ besticht durch seine stringente Gliederung und auch die didaktische Umsetzung fällt positiv ins Gewicht. Die zuvor genannten Probleme sollen hier keineswegs ausgeblendet werden, doch bis auf die beschriebenen Desiderate kann man das Buch als gelungen bewerten. Der wichtigste Kritikpunkt ist unserer Meinung nach das Übergewicht der Autorentexte.