Geschichte, 9./10. Schuljahr, Gesamtschule, Gymnasium
Expedition Geschichte G3
Herausgegeben von | Osburg, Florian et al. |
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Erschienen | Braunschweig: Diesterweg, 2003 |
Seitenanzahl | 256 |
ISBN | 978-3-425-03263-4 |
Geeignet für | Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg, Schleswig-Holstein, Thüringen |
Rezensiert von | Lück, Vera Sophie und Andriy Stepanyants (Studierende), 1. Juni 2009 |
Reihe | Expedition Geschichte G |
Projekt | Christian-Albrechts-Universität Kiel, Wintersemester 2008/09 |
Rezension von Lück, Vera Sophie und Andriy Stepanyants (Studierende)
Einleitung
Das farbenfrohe, an Quellen aller Art reiche Lern- und Arbeitsbuch „Expedition Geschichte“ möchte die SchülerInnen auf eine Reise in die Geschichte mitnehmen, ihr Interesse wecken und ihre methodischen Fertigkeiten ausbauen. Die Autorentexte, die Auswahl der Abbildungen, die Arbeitsvorschläge und die didaktischen Innovationen, die dieses Schulbuch zu bieten hat, sollen in diesem Rahmen untersucht und auch in Hinblick auf die didaktischen Kriterien Multiperspektivität und Kontroversität analysiert werden.
Konzept
„Expedition Geschichte“ in der Reihe G 1-4 ist für Gesamtschule und Gymnasium konzipiert und auf die Rahmenlehrpläne der Bundesländer Schleswig-Holstein, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Berlin, Brandenburg und Thüringen zugeschnitten. Regionale Themen werden zugunsten der Einsetzbarkeit in mehreren Bundesländern zurückgestellt. Im Format annähernd DinA4 mit stabilem Einband versehen, umfasst der Band G3 rund 250 Seiten. Als Arbeitsmaterial werden verschiedene Arten von Textquellen, bildhaften Quellen (Portraits, Karikaturen, Fotos, Darstellungen aus zeitgenössischer Kunst u. a.) und Statistiken angeboten. Darüber hinaus werden Methodentraining und Arbeitsvorschläge zum gesamten im Buch verwendeten Material geboten. Erweitert wird das Schulbuch durch Rubriken wie etwa „Kulturgeschichte“, Impulse zur Projektarbeit und „Kontroversen-Präsentation“ und ein umfangreiches Glossar. „Expedition Geschichte“ beginnt mit der inhaltlichen Gliederung des Buches. Es umfasst die Hauptthemen „Reichseinigung und Deutsches Reich“; „Imperialismus und Erster Weltkrieg“; „Die Welt zwischen den Weltkriegen“; „Die Weimarer Republik“; „Der Nationalsozialismus“; „Zweiter Weltkrieg und Völkermord“. Die Benutzeranleitung richtet sich an die SchülerInnen und gibt eine verständliche und präzise Einführung in die Struktur und Handhabung des Buches wie zum Beispiel: „Abbildungen sind bildhafte Quellen, wenn sie aus der Zeit stammen, von der sie berichten. Sind sie deutlich später entstanden, sprechen wir von Rekonstruktionen. Bilder haben eine Bildunterschrift, die euch bei der Erschließung hilft“ (S.1). Die Struktur des Buches ist gut überschaubar. Die Auflage bietet hierzu eine farblich gekennzeichnete Übersicht, die den Lernenden einen schnellen unkomplizierten Zugang zu den verschiedenen Arbeitsangeboten des Buches ermöglichen soll.
Auftaktdoppelseiten
Die kurzen Einführungstexte beschränken sich meist auf die bekannten „W-Fragen“ und geben einen Ausblick auf das nachfolgende Kapitel. Dabei wurde keinem festen Muster gefolgt. Meist wird ein inhaltlicher Aspekt des Kapitels aufgegriffen, um ihn repräsentativ als „Appetithappen“ darzubieten. Allerdings ist die dem Kapitel 1 vorangestellte Auftaktseite sofort ein vergleichsweise anspruchsvoller Einstieg (Karten zur deutschen Geschichte mit der diaphasischen Betrachtung der deutschen Frage), der bezüglich seiner Zeitsprünge durch die Geschichte sicherlich noch einer guten Vorbereitung im Unterricht bedarf. Schließlich kann man womöglich nicht davon ausgehen, dass die SchülerInnen über ein abrufbares chronologischem Detailwissen verfügen. Insofern stellen wir uns die Frage, ob eine Auftaktseite eines Vorauftakts oder einer Vorbereitung bedürfen sollte. Im zweiten Kapitel wird hingegen ein ganz anderer und zweifelsohne populärer und leichter Einstieg (die Titanic und ihr Untergang als Beispiel des ausgeprägten Fortschrittsglaubens im 19. Jahrhundert) gewählt. Es ist sicherlich Ansichtssache, welchen Einstieg man für gelungener hält. In diesem Schulbuch wird jedenfalls in dieser Hinsicht auf die „bunte Mischung“ gesetzt.
Autorentexte
Die Texte, die knapp, verständlich und mit entsprechenden Erläuterungen zu Fremdwörtern geschrieben sind, beschäftigen sich überwiegend mit der chronologischen Darstellung von Ereignissen, der Vorstellung historischer Persönlichkeiten und der Erläuterung von Begriffen. Im Kern widmet sich das Buch zwar der Politikgeschichte, nimmt aber auch andere Geschichtskonstrukte auf. Größere geschichtliche Zusammenhänge finden sich in den Texten zum Teil auch wieder, stehen aber nicht im Vordergrund. Es ist auffällig, dass vor allem Überschriften als Fragen formuliert werden. Der damit suggerierte Forschungscharakter soll die SchülerInnen animieren, selbst Fragen zu stellen bzw. eigene Antworten zu suchen und unterstützt eine der wichtigsten Fähigkeiten, die im Geschichtsunterricht vermittelt werden sollte. Die Verfasser versuchen „sachorientiert“ zu schreiben, indem sie die Texte stark Fakten orientiert halten und zur Auswertung ein vielfältiges Quellenangebot darreichen. Das ist gut gelungen, auch wenn man berücksichtigt, dass die Quellenauswahl immer subjektiven Maßstäben unterliegt. Im Rahmen des Methodentrainings wird erklärt: „Es darf nichts gekürzt werden, was den Sinn entstellt“, obwohl Kürzungen „aus Platzgründen oder wegen des Verständnisses oft sehr wichtig sind“ (S.9). Es ist absolut lobenswert, dass ein Schulbuch darauf aufmerksam macht. Wir stellen uns jedoch die Frage, wie Lernende beurteilen sollten, ob die Kürzungen, die in nahezu allen im Buch abgebildeten Quellenauszügen vorhanden sind, sinnvoll gewählt sind oder nicht.
Methoden
Das Quellenmaterial wird in verschiedenen Rubriken aufgegriffen und in ausgewählten Beispielen analysiert. Im Methodentraining werden Dokumente in Bild und Text vorgestellt und anhand einer Anleitung zur Analyse Lösungsvorschläge geboten, die zum Teil konkret die jeweilige Quelle einbeziehen. Der Leitfaden zur Analyse ist klar gegliedert und bietet den Lernenden und Lehrenden Unterstützung in der Vorbereitung für Prüfungen. Zudem befinden sich Beispielaufgaben in den meisten Methoden-Trainingseinheiten. Allerdings sind diese nicht immer im Rahmen der zeitlich begrenzten Wochenstundenzahl realisierbar wie beispielsweise der Arbeitsvorschlag, zwei zeithistorische Filme der Weimarer Republik anzuschauen und zu vergleichen. Einige Schwächen werden zum Beispiel im Methodentrainingsangebot zur Filmanalyse deutlich: Weil offensichtlich ist, dass ein Buch keinen Film darstellen kann, ist es daher fragwürdig, ob die ersatzweise gebotene Analyse von Standbildern (Fotos) das Thema trifft. Dies sollte besser in der Rubrik „Fotos“ bearbeitet werden.
Auch die in der Neuauflage eingeführten „Archiv“-Einheiten warten mit diversen Auszügen aus schriftlich verfügbaren und in den Themenzusammenhang eingeordneten Quellen auf. Sie bieten zahlreiche Aufgaben, die sowohl die Einübung der Methoden als auch die vergleichende Analyse von Quellen behandeln. Die Auswahl der Quellen erfüllt den Anspruch der Multiperspektivität. So werden in „Quellentexte zum Imperialismus“ einerseits Äußerungen französischer und britischer Kolonialpolitiker und andererseits auch verschiedene Standpunkte der Afrikaner und Inder aus den Kolonien dargelegt. In der Rubrik werden auch neuere fachwissenschaftliche Richtungen wie beispielsweise der Gender-Aspekt aufgegriffen. Allerdings geschieht dies nur ansatzweise, da hauptsächlich die Stellung der Frau diskutiert wird: Als Beispiel sei hier die Situation der Frauen im Kaiserreich genannt (S.35 ff.).
Die Rubrik „Geschichte Kontrovers“ soll den SchülerInnen die Kontroversität der Geschichtswissenschaft nahe bringen. Im Buch kommen daher verschiedene HistorikerInnen in einer Auswahl von schriftlichen Quellen zu Wort. Dem Autorenteam gelingt es, die Entwicklung von Diskursen nachzuzeichnen wie beispielsweise bezüglich der „Kriegsschuldfrage“, bei der der Bezugspunkt der Kontroverse (Artikel 231 des Versailler Vertrags), die „Fischer-These“, die „Ritter-These“, ein DDR-Historiker und die Deutung von Thomas Nipperdey aus den 90er Jahren aufgegriffen werden.
Abbildungen
In „Expedition Geschichte“ bemühen sich das Autorenteam, die Vielfalt an bildhaften Quellenmaterial einzubeziehen, die die Archive bereithalten. Dabei gelingt es ihm, das Buch bildgewaltig erscheinen zu lassen, ohne es aber zu überfrachten. Es ist erfreulich, dass in jedem Kapitel Landkarten und Grafiken vorhanden sind, die den Lernenden die geographische Orientierung erleichtern. Leider lassen jene Statistiken bzw. Grafiken Quellennachweise vermissen. Das ist im Hinblick auf die Schulung der Kritikfähigkeit der Lernenden bedauerlich, , da diese lernen sollen, nachweisbare Fakten von Behauptungen oder Propaganda zu unterscheiden. Die Abbildungen stellen eine willkommene Abwechslung zu den zahlreichen Textquellen dar. In einer Methodensequenz erhält der Lernende einen Leitfaden zur Analyse (wie zum Beispiel in „Gewusst wie“ – Wie arbeitet man mit Historienbildern?). Eine Schwäche im Methodenbereich stellen die unzureichenden Bildunterschriften dar. Die an die SchülerInnen gestellte Anforderung, Bildquellen in Hinblick auf ihre Herkunft, ihren Produzenten zu prüfen, kann bei einem Großteil der Abbildungen nicht geleistet werden, da entsprechende Angaben fehlen. Das gefährdet die Glaubwürdigkeit von Abbildungen, deren Motive nicht eindeutig durch Merkmale identifizierbar sind. Gemälde sind häufig lediglich mit einer Jahresangabe versehen; teilweise wird auch der Künstler genannt. Hinweise auf den Ort der Entstehung oder den Kontext fehlen in den meisten Fällen.
Aufgabenstellungen
Die Arbeitsaufträge des Schulbuches „Expedition Geschichte“ sind klar und präzise formuliert. Meist beziehen sie sich direkt auf abgebildetes Quellenmaterial. Die SchülerInnen werden über die klassische Analyse hinaus in den Aufgaben auch dazu aufgefordert, Vergleiche anzustellen, Kritik zu äußern, Schlüsse zu ziehen und über bestimmte Sachverhalte zu diskutieren. Das Schulbuch enthält neben Arbeitsaufträgen zur Einzelarbeit auch Vorschläge zur Partner- und Gruppenarbeit (zum Beispiel auf Seite 25, A4, 7), die zur Pro- und Contradiskussion anregen sollen. Teilweise werden auch bereits behandelte Sachverhalte wieder aufgegriffen (S.33, A 1). Die Bemühungen der Verfasser, die SchülerInnen „da abzuholen, wo sie stehen“ und ihre Lebenswirklichkeit mit einzubeziehen, wird an vielen Stellen deutlich. Das Autorenteam greift daher auch auf Aufgaben zurück, die „Emotionalität und Einfühlung“ betonen. Beispielhaft sei die Aufgabe zu einem Foto von Menschen im Luftschutzkeller genannt: „Suche dir Personen aus diesen Bildern heraus. Was machen sie gerade? Was mögen sie wohl denken?“ (S.217) Diese Aufgabe ist zwar rein spekulativ, ermöglicht den Lernenden jedoch auch einmal einen kreativen Umgang mit dem erlernten Wissen, das bei der Beantwortung der Fragen sicherlich eingebracht wird. Damit bietet das Buch ein Angebot, das Jugendliche sicherlich gerne annehmen, da es hilft, Geschichte „lebendiger“ erscheinen zu lassen. Allerdings ist es bedauerlich, dass in Aufgabenformulierungen bereits Interpretationsansätze suggeriert werden oder vorweggenommen sind. So lautet zum Beispiel die Aufgabe zu einem Mussolini-Plakat „Wie kommt der Machtanspruch Mussolinis hier zum Ausdruck?“ Die Frage liefert damit schon eine Vorinterpretation, auf die die Lernenden durch die im Methodenteil aufgeführten Arbeitsschritte auch selbst kommen würden. Das ist umso verwunderlicher, da die Fragen im Allgemeinen anspruchsvoll sind. Man kann auch darüber streiten, ob Fragen, bei denen SchülerInnen Vermutungen über Folgen und Verlauf geschichtlicher Ereignisse oder Handlungen anstellen sollen, im Geschichtsunterricht sinnvoll gewählt sind. Im Großen und Ganzen handelt es sich aber um eine abwechslungsreiche und gelungene Auswahl an Aufgabenstellungen.
Didaktische Neuerungen
Der „Kulturspiegel“ offenbart den Blick über den Tellerrand der Ereignisgeschichte und ihrer Verarbeitung hinaus. Er bezieht als Komponenten sowohl die Kultur- als auch die Mentalitätsgeschichte mit ein. Je nach Thema des Kapitels wird auf Kunst, Architektur, Mode (zum Beispiel in der Weimarer Republik), Stadtbild (zum Beispiel nach dem Krieg), Kindheit (zum Beispiel „Schule im Kaiserreich“) und Erfindungen der Wissenschaft (zum Beispiel im wilhelminischen Zeitalter) eingegangen. Die Rubrik zeigt einen gelungenen Ausblick auf Aspekte, die „die Geschichte“ außerhalb der Ereignisgeschichte noch zu bieten hat und schafft einen leichteren Bezug zur Lebenswelt der SchülerInnen.
Die Rubrik „Expedition“, die leider keine eigene farbliche Kennzeichnung im Inhaltsverzeichnis erhalten hat, präsentiert Anregungen und Aufgabenformulierungen zu Projektideen. Es soll ebenso wie der „Kulturspiegel“ die Beziehung zur Umwelt der SchülerInnen bilden und sie aktiv an der Erkundung mit historischem Bezug teilhaben lassen. So wird beispielsweise in Kapitel 1 der Entwurf eines „Geschichtslehrpfads“, eine Art Fremdenführer, der über die architektonischen oder infrastrukturellen Zeugnisse des Kaiserreichs Auskunft gibt, vorgeschlagen. Den Versuch, Geschichte erfahrbar zu machen, wird in Kapitel 3, dem „Experiment zur Geschichte des Kriegsalltags“ vorgenommen. Die SchülerInnen werden animiert, sich aktiv mit den Essenrationen während des Ersten Weltkrieges in Deutschland auseinanderzusetzen. Eine Rationstabelle dient als Ausgangspunkt, um Gerichte für eine Woche zu entwerfen, gegebenenfalls zu kochen und über die Folgen dieser Ernährungslage nachzudenken. Dieses dient gewissermaßen als Ansatz der Veranschaulichung. Weitere Ansätze zu Gegenwartsverknüpfung finden sich in den Kapiteln „Auf den Spuren des Zweiten Weltkriegs“ und „Rechtsradikalismus ist noch nicht Geschichte“. Die „Expeditionen“ können jedoch lediglich kleine Anstöße zur Projektarbeit sein, da ihre Thematik doch recht begrenzt ist. Welche Aspekte sich eventuell fächerübergreifend oder fächerverbindend behandeln lassen würden, bleibt hier unbeachtet.
Fazit
„Expedition Geschichte Band G3“ ist insgesamt eine gelungene, abwechslungsreiche Mischung aus Lehr- und Arbeitsmaterial und bietet mit seinem großen Angebot an Quellen und Übungen einem handlungsorientierten Unterricht eine gute Grundlage. Gerade in einem Fach wie Geschichte, in dem das Schulbuch nach wie vor das am meisten gebrauchte Medium ist, kann man sich über ein so vielfältiges Programm freuen. Die wenigen Mängel lassen sich leicht verkraften, da man sie zum Anlass nehmen könnte, SchülerInnen darauf aufmerksam zu machen. Man könnte sie zum Beispiel mit dem Problem der vollständigen Quellennachweise und der damit verbundenen Glaubwürdigkeit von Abbildungen konfrontieren und sie damit auf ein uns täglich begegnendes Risiko aufmerksam machen. Es lohnt sich jedenfalls, einen Blick in dieses innovative Schulbuch zu werfen und sich selbst eine Meinung zu bilden.