Geschichte, Oberstufe, Gesamtschule, Gymnasium
Exploring History – From the 20th into the 21st century
Herausgegeben von | Brabänder, Michael, Deanna Nebert und Martin Teluk |
---|---|
Erschienen | Braunschweig: Westermann, 2014 |
Seitenanzahl | 328 |
ISBN | 978-3-14-111107-1 |
Geeignet für | Bayern, Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt, Sachsen, Saarland, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Hessen, Hamburg, Bremen, Brandenburg, Berlin, Baden-Württemberg, Thüringen |
Rezensiert von | Nellen, Jörg (Lehrer), 23. Oktober 2014 |
Rezension von Nellen, Jörg (Lehrer)
And now for something completely different?
„Exploring History“ ist als erstes ausschließlich auf Englisch geschriebenes Geschichtsbuch für die Sekundarstufe II (S. 5) völlig anders als Themenseiten (z.B. Armbruster, Felix et. al., 2012, S. 108, 246, 290) in anderen Büchern. Hinsichtlich des Sprachlernens verlangen die Lehrpläne „language competence“ und „cultural awareness“ (z.B. Lehrplan Berufliche Oberschule Bayern) in Anlehnung an die Forderungen des European Language Portfolio des Europarates.Die Ziele bezüglich des Historischen Lernens sind für das Autorenteam „to become competent in historical affairs“ und „understand them in (their) historical context“ (S. 5). Das ist nicht so anders: Betont wird Sachwissen und Kontextualisierung über den Tellerrand deutscher Geschichtsbücher (und Lehrpläne) hinaus.
Was bietet Exploring History?
Wie Band 1 für die Sekundarstufe I ist auch Band 2 für die Sek II ausschließlich auf Englisch geschrieben, wird durch sieben Arbeitshefte ergänzt und wendet sich an integrierte Gesamtschulen und Gymnasien. Das dritte bis vierte Sprachlernjahr wird vorausgesetzt.
Die Geschichte der Entwicklung vom 20. ins 21. Jahrhundert wird an sieben Kapiteln festgemacht. Jedes Kapitel wird durch eine Einführung (Bilder und Text) und eine Zusammenfassung abgerundet. Farben in der Register-Kopfzeile und Inhaltsverzeichnis bieten zusätzlich Orientierung.
Dank des durchweg vierfarbigen Drucks sind auch die historischen Schwarzweißfotos satt und klar abgebildet. Der einspaltige Blocksatz des Autorentextes lässt ein Drittel der Seite als Randspalte für Bildquellen, Vokabelerklärungen, Zeitleisten und Quellenverweise frei. Der Quellenapparat ist zweispaltig, Zeilenzählung ermöglicht das Auffinden von Textstellen. Die Lesbarkeit des Autorentextes leidet unter dem Blocksatz, der aber durch Absätze, Zwischenüberschriften und Aufzählungszeichen gegliedert wird.
Kompetenzorientierung
Die Bildquellen illustrieren überwiegend den Autorentext. Erschließungsfragen fehlen, die historische Kompetenzorientierung erwarten ließen. Operatoren werden zwar auf dem Innendeckel angeführt und erläutert, aber vier gibt es in den Operatorenlisten Englisch nicht (z.B. Niedersachsen: Operatoren im kompetenzorientierten Englischunterricht) nicht (give an opinion, argue, find out, show). Leider fehlt auch die Differenzierung in Anforderungsbereiche.
Der Autorentext
Das Englisch der Texte aller drei Autoren gewährt mit auf dem higher intermediate level des Oxford Text Checker Verständlichkeit. Historische Fachbegriffe werden im Text übersetzt („plot against Hitler = Röhm-Putsch“, (S. 127), oder werden – ohne Seitenbezug – im Glossar englisch erklärt (Hitler-Stalin-Pact (S. 143 ungekennzeichnet, im Glossar übersetzt, S. 324). Den Begriff kann man über den Index im Buch finden („Hitler-Stalin-Pact 143, 169“, S. 326). Fachsprache wird im methodischen Kapitel angewandt und definiert, aber nicht übersetzt.
Unbekannte Vokabeln sind kursiv im Text hervorgehoben und am Rand in einer hellgrünen Box hervorgehoben. Auf zwei Seiten (Terms of Discussion, S. 322f) werden Fachbegriffe thematisch geordnet und Redewendungen angeboten, die allerdings von den Lernenden erst aufbereitet werden müssen.
Im Allgemeinen ist die Narration spannungsfrei sachlich. Sie folgt der deutschen Großerzählung. Begründungen bleiben auf der Strecke: „German and American leaders believed that Wilson's Fourteen Points would serve as a basis of negotiations (...) other leaders (...) pushed for harder terms.”, (S. 92). Es kommen Werturteile im Autorentext vor (Bruch der belgischen Neutralität im Ersten Weltkrieg: „Germany's grand strategy (...) was as daring as it was reckless“, (S. 57)).
Kontroverse Standpunkte der Geschichtsschreibung aus deutscher und unterschiedlicher internationaler Sicht stehen zu zentralen Fragen in Quellenapparaten („Soviet Perspectives on the Postwar World“, S. 186 vs „Berlin Airlift“, S. 188) und Tabellen („Allied Priorities after 1945“, S. 180) zur Auswertung bereit.
Arbeit mit Text- und Bildquellen
Der methodische Apparat geht mit den „Procedures" (Leitfragen S. 319) knapp auf Text- und Bildquellenuntersuchung ein (S. 318-321). Eine mehr kompetenzorientierte Fragestellung wäre ebenso empfehlenswert gewesen wie die Vermittlung von Texterschließungsmethoden wie z.B. der SQ3R (= survey, question, read, recite, review).
Quellengattungen sind besonders Texte, gefolgt von Bilder, Statistiken und Geschichtskarten. Filme (S. 136), Lieder und Gedichte werden in Arbeitsaufträgen einbezogen, müssen allerdings selbst recherchiert werden.
Spärliche Grafiken (Tabellen, Zeitleisten), häufige Tabellen, angemessen viele Karten, (allerdings keine Rekonstruktionszeichnungen oder Illustrationen) alle in guter Auflösung und Detailtreue ermöglichen eine anschauliche Erarbeitung.
Begleitmaterialien und neue Medien
Eine auf dem Vorsatzblatt empfohlene kommentierte Linkliste wird im Buch nicht aktiv eingebunden. Allerdings gibt es Rechercheaufträge, wohl eher aus Platzmangel als aus kompetenzorientierter Aufgabenstellung („Find the poem Flanders Fields (...) on the internet (…)“, S. 61). Internetkompetenz ist sicher eine fächerübergreifende Aufgabe, die „Exploring History“ nicht im Fokus hat.
Aufgabenstellungen
Die kompetenzorientierten Operatoren werden unsystematisch angewandt. Man hat den Eindruck, dass traditionelle kognitive Analyse- und Wissensaufgaben mit Mühe umformuliert wurden. Leider bauen viele „Tasks“ nicht aufeinander auf. Der Zusammenhang stellt sich so nicht einfach ein, (Sach- und Wert-)Urteile werden zu Wiedergabe von Vorgegebenen degradiert.
Fachdidaktische Positionen und Fragestellungen
In den Arbeitsaufträgen sind Arbeitsweisen wie Gruppen-, Partner-, Recherche-, oder Präsentationsaufträge rudimentär angelegt. Völlig unhistorisch ist ein Auftrag wie „Speculate“(S. 107). Die letztendlich auf Reproduktion erworbenen Fachwissens angelegten Erschließungsaufträge bleiben hinter der schon seit 1998 von der EU geforderten Kompetenzorientierung weit zurück.
Geschichtsbewusstsein als Ergebnis historischen Lernens wird am häufigsten durch Analyse, Sachurteil, Werturteil (nach Jeismann, 1980) angeregt. Sicher nicht falsch, ignoriert es neuere Ansätze von Pandel (1991), Rüsen (2008) oder Schreiber (1999). Fragen wie „Assess (...) whether you consider the war's end a defeat or a liberation“, (S. 167) regen eher eine positivistische Zusammenfassung, als eine mit Gegenwartsbezug wirkungsmächtig gemachte Reflexion historischen Handelns an.
Multiperspektivität (Plakate zum Ersten Weltkrieg, S. 60), Pluralität (fehlt) und Kontroversität (Ostpolitik, S. 235) werden unsystematisch angewendet. Es kommen weit mehr internationale Quellen zum Einsatz als in einem vergleichbaren deutschsprachigen Geschichtsbuch. So wird die deutschzentrische Perspektive europäisch oder transatlantisch etwas erweitert. Aufträge, die die englische, amerikanische Perspektive explizit mit der deutschen vergleichen, sind zu rar (S. 62) für ein Erreichen der selbstgesteckten Ziele (S. 5).
Dilemmata oder Konflikte werden eher in der Tradition der Großerzählung zur Lösung angeboten („War's End in Germany: Defeat or Liberation“, S. 164). Unangenehm berührt, dass Mythen, Vorurteile und Verschwörungstheorien relativ groß bebildert werden (Dolchstoßlegende, S. 89, Antisemitismus, S. 136, jeweils ¼ Seite). Hier muss die Lehrkraft sorgfältig arbeiten, um den Propagandagehalt erkennbar zu machen.
Fachwissenschaftliche Aktualität
Auf der politischen Geschichte liegt der Schwerpunkt der Narration des Autorentextes. Dennoch kommen – wie in allen Lehrplänen gefordert – sozialgeschichtliche Themen vor (Frauen im Ersten Weltkrieg, S. 62ff, 1920er Jahre, S. 109). Wissenschaftsgeschichtliche oder transkulturelle Themen fehlen.
Fazit
„Exploring History“ ist ein traditionelles Geschichtsbuch auf Englisch, an dem wesentliche neuere Erkenntnisse der Geschichtsdidaktik und der internationalen Schulbuchpraxis zu wenige Spuren hinterlassen haben. Inhaltlich folgt die Darstellung leider der deutschen Großerzählung, sodass nur versteckt transnationale Perspektiven aufblitzen. Dennoch ist es mit seinem guten, verstehbaren Englisch und seinem Quellen- und Materialangebot eine Fundgrube für didaktisch versierte Lehrkräfte.
Bibliographische Angaben
Armbruster, Felix et. al., Geschichte und Geschehen, Stuttgart: Klett, 2012.
Brabänder, Michael, Deanna Nebert, Martin Teluk. Exploring History for Bilingual Classes S II. From the 20th into the 21st Century. Braunschweig: Bildungshaus Schulbuchverlage, 2014.
European Language Portfolio des Europarates: www.coe.int/t/dg4/education/elp/ (aufgerufen am 15.10.2014).
Jeismann, Karl-Ernst: „‘Geschichtsbewußtsein‘. Überlegungen zur zentralen Kategorie eines neuen Ansatzes der Geschichtsdidaktik.“ In: Hans Süssmuth (Hg.): Geschichtsdidaktische Positionen. Paderborn, 1980, S. 179-222.
Lehrplan Berufliche Oberschule Bayern von 1998: www.isb.bayern.de/download/13482/lp_fos_englisch_11_12.pdf (aufgerufen am 15.10.2014).
Operatoren im kompetenzorientierten Englischunterricht: www.fkg.goettingen.de/upload/fachbereiche/englisch/Englisch_Operatoren.pdf (aufgerufen am 15.10.2014).
Oxford TextChecker: oaadonline.oxfordlearnersdictionaries.com/oxford3000/oxford_3000_profiler.html (aufgerufen am 15.10.2014).
Pandel, Hans-Jürgen: „Geschichtlichkeit und Gesellschaftlichkeit im Geschichtsbewußtsein. Zusammenfassendes Resümee empirischer Untersuchungen.“ In: ders./Borries, Bodo von/Rüsen, Jörn (Hrsg.): Geschichtsbewußtsein empirisch. Pfaffenweiler, 1991.
Rüsen, Jörn: „Wahrheit Historisches Lernen – Grundriß einer Theorie.“ In: ders. (Hrsg.): Historisches Lernen – Grundlagen und Paradigmen. Schwalbach/Ts., 2008, S. 75-77.
Schreiber, Waltraud: „Die Entwicklung historischer Sinnbildungskompetenzen als Ziel des historischen Lernens mit Grundschülern“, in: dies. (Hrsg.): Erste Begegnungen mit Geschichte. Grundlagen historischen Lernens, Neuried, 1999, S. 15-76.