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Geschichte, Oberstufe, Gymnasium

Horizonte II: Geschichte für die Oberstufe

Horizonte II: Geschichte für die Oberstufe
Herausgegeben von Bahr, Frank
Erschienen Braunschweig: Westermann, 2008
Seitenanzahl 616
ISBN 978-3-14-110930-6
Geeignet für Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Thüringen, Schleswig-Holstein
Rezensiert von Nikolajczyk, Alexander (Wissenschaftler), 1. Juli 2009

Rezension von Nikolajczyk, Alexander (Wissenschaftler)


Einleitung
„Horizonte des Vergangenen aus der Perspektive der Gegenwart freizulegen“ – dies versprechen sich die Autoren des zweibändigen Werkes „Horizonte – Geschichte für die Oberstufe“ von der Konzeption ihres Unterrichtswerkes. Und in der Tat stellt die Verknüpfung der drei Zeitebenen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft einen wesentlichen Bestandteil des Geschichtsbewusstseins dar, wie es schon seit einigen Jahren im Mittelpunkt des modernen Geschichtsunterrichts stehen soll.
Um dieses den Oberstufenschülern zu vermitteln, haben sich die Autoren die Aufgabe gesetzt, in zwei Bänden grundlegende Themen aus Antike, Mittelalter und Neuzeit darzustellen und zu einer kritischen Auseinandersetzung mit ihnen anzuregen. Beiden Bänden liegt dabei ein gemeinsames Gesamtkonzept zugrunde. Genauer betrachtet werden soll in diesem Fall nur der Band II, welcher die Zeitspanne von der Französischen Revolution bis zur Gegenwart umfasst.

Gestaltung

Beide Bände werden als eine flexible Paperbackausgabe ausgeliefert. Schon beim ersten Durchblättern fällt die generell hohe Qualität der zahlreichen Bilder und Darstellungen auf. Auch das Layout der Seiten spricht den Leser1 an und ermöglicht durch das Hervorheben zentraler Sachverhalte oder Ereignisse am Rand ein schnelles Zurechtfinden in den einspaltigen Darstellungstexten. Teilweise werden die Hintergrundtexte auch von Bildquellen flankiert. Die Materialseiten sind in Abgrenzung zu den Hintergrundtexten durchweg zweispaltig gehalten. Insgesamt ermuntert die Gestaltung den Leser auch ohne Anleitung im Band zu „stöbern“.

Aufbau und Gesamtkonzept
Die Autoren verzichten auf ein eigenes Vorwort für den zweiten Band und machen ihr Konzept nur zu Beginn des ersten Bandes (S. 5) deutlich.
Die Konzeption der Bände ziele generell darauf ab Schülern zu ermöglichen, im Umgang mit der Geschichte den Aufbau ihrer „historischen Identität“ zu fördern. Vor diesem Hintergrund sei das Werk als ein Lehr- und Arbeitsbuch konzipiert, das von den Schülern zum selbstständigen Lernen wie auch für Projekte verwendet werden könne.
In bewährter Manier werden im Buch zentrale Themen der Neuzeit chronologisch nacheinander behandelt und vorgestellt. Diese zeitliche Abfolge wird erst für die Zeit nach 1945 teilweise aufgehoben. Neben diesen Standardthemen finden sich als historische Querschnittsthemen die Kapitel „Menschenrechte in Geschichte und Gegenwart“, „Mensch und Umwelt“ sowie „Terrorismus“. Daneben gibt es unter dem Begriff „Fragen an die Geschichte“ Unterkapitel, in denen zentrale historische Aspekte des vorangegangenen Kapitels vertiefend behandelt werden können.
Im Anschluss an diesen inhaltlichen Teil findet sich ein nützlicher Abschnitt, in welchem zentrale historische Arbeitstechniken wiederholt und auch an Beispielen exemplarisch demonstriert werden. Der Band schließt mit einem Glossar zu wichtigen historischen Grundgebriffen, Hinweisen zu weiterführender Literatur sowie einem Stichwortregister.
Die Kapitel sind alle nach einem ähnlichen Muster aufgebaut und erleichtern somit dem Leser die Orientierung. Ausgehend von einer zentralen Bildquelle werden anhand des Einführungstextes zentrale Aspekte und auch Fragestellungen zu dem jeweiligen Thema aufgeworfen. Es folgt ein langer Autorentext, welcher den behandelten Aspekt oder Zeitraum darstellt. Alle Autorentexte enden mit einer kurzen chronologischen Aufstellung, in welcher alle wichtigen Daten zum Thema noch einmal aufgelistet werden. Die Kapitel werden durch eine Materialsammlung (sowohl Quellen als auch wissenschaftliche Texte, Schaubilder, Statistiken oder Karten) abgeschlossen. Historische Texte und Sekundärtexte sind in diesem Materialteil so kombiniert, dass „eine reflektierte Erschließung der Vergangenheit“ ermöglicht und Geschichte als „soziale Konstruktion“ verdeutlicht wird. Arbeitsaufträge komplettieren die jeweiligen Kapitel.
Die relevanten historischen Probleme werden in den Autorentexten sowie durch die Quellenauswahl deutlich. Hier hätte den Oberstufenschülern allerdings größere Fähigkeiten zugetraut werden können, diese Probleme und die daraus folgenden Konsequenzen selbstständig zu erarbeiten. Beides wird zumeist durch die Hintergrundtexte weitgehend vorgegeben und muss durch die Schüler nur noch nachvollzogen werden.
Es entspricht der Konzeption der Autoren, den Schülern mit Hilfe des Buches ein eigenständiges Erarbeiten der Themen zu ermöglichen. Im Kapitel „Die Auflösung der Republik“ wird allerdings das Problem der Präsidialkabinette im Hintergrundtext sowie in einem Auszug aus einem Werk des Historikers Hans-Joachim Winkler vollständig erklärt, eine eigenständige Erarbeitung durch die Schüler, beispielsweise mit Hilfe eines Schaubilds, ist nicht gefordert. Auch im Kapitel „Innenpolitische Entwicklungen bis 1890“ werden sowohl im Darstellungstext als auch in den Materialien M4 und M5 überwiegend dieselben Aspekte zum Vorgehen Bismarcks gegen das Zentrum und den deutschen Katholizismus berücksichtigt.
Deutlich besser gelingt den Autoren die Auswahl der Bildquellen, Karten und anderen graphischen Darstellungen, die den Schülern zumeist ermöglichen, erworbenes Wissen anzuwenden. Als ein Manko ist in diesem Zusammenhang die Tatsache zu sehen, dass zahlreiche graphischen Darstellungen neben einer einordnenden Bildunterschrift auch eine sehr ausführliche Erklärung der gezeigten Tatbestände mit sich führen. Hierdurch wird die Chance vertan, dass die Schüler sich auf Grundlage ihres Hintergrundwissens die Bildquelle eigenständig erschließen können. Zu der bekannten Karikatur „Der Lotse geht von Bord“ findet sich so folgende Bildunterschrift:
„Der Lotse geht von Bord“. Englische Karikatur von John Tenniel im „Punch“ vom 29. März 1890. „Ein Lotse verlässt freiwillig das Schiff nach getaner Arbeit. Bismarck hat das politische Steuer nicht freiwillig aus der Hand gegeben.“
Insgesamt bleibt festzuhalten, dass das didaktische Konzept der Autoren nur teilweise überzeugen kann. Die Schüler erhalten ein breit gefächertes Überblickwissen zu den jeweiligen historischen Aspekten anhand von in sich geschlossenen Kapiteln. Die Kapitel „Fragen an die Geschichte“ sowie die drei thematischen Querschnitte ermöglichen ihnen einzelne Aspekte und Entwicklungen vertiefend zu betrachten. Weniger positiv fällt die teilweise Doppelung von Informationen des Hintergrundtextes und den beigefügten Materialien sowie die Vorwegnahme wichtiger Denkschritte der Schüler durch eine zu ausführliche Erklärung der Bildquellen auf. 

Der Autorentext

Die Autorentexte nehmen in den Kapiteln einen breiten Raum ein und informieren ausführlich über die wesentlichen Aspekte zu den jeweils behandelten historischen Themen und Epochen. Die Autoren achten dabei auch auf eine altersangemessene Sprache; Fachbegriffe werden oberstufenadäquat verwendet und können bei Unklarheiten im Glossar nachgeschlagen werden. Deutlich wird das Bemühen, möglichst viele Aspekte zu berücksichtigen, was allerdings zu einer erheblichen Länge einiger Texte führt (Beispiel: „Die Französische Revolution (1789 – 1799)“ [13 Seiten]).
Die Texte greifen wesentliche historische Probleme auf und unterschiedliche Standpunkte und Bewertungen historischer Ereignisse werden angemessen berücksichtigt. Am Ende bemühen sich die Verfasser häufig um eine abwägendende Beurteilung der zuvor geschilderten Zusammenhänge. Allerdings werden die Schüler teilweise in eine rein rezeptive Aufnahme unterschiedlicher Positionen gedrängt, wenn zum Beispiel bei der Diskussion einer möglichen Kollektivschuld der Deutschen an den NS-Verbrechen die Ansicht Goldhagens sowie mögliche Belege und Gegenpositionen im Fließtext vorgestellt werden (vgl. S. 354f.). Kritisch wird es auch, wenn eindeutige Werturteile in den Texten vermittelt werden. So lässt sich beispielsweise lesen, dass das Wirken Bismarcks „im Hinblick auf die Bildung einer demokratischen Tradition in Deutschland“ ein Unglück gewesen sei (vgl. S. 181). Auch wenn dies sicherlich das Urteil der aktuellen historischen Forschung widerspiegelt, müssten auch an dieser Stelle die Schüler zu einer eigenen Urteilsbildung angeregt werden.

Arbeit mit Text- und Bildquellen

Die Autoren bemühen sich, anhand der Auswahl unterschiedlicher Arten von Textquellen den Schülern einen differenzierten Überblick über historische Ereignisse und Epochen zu vermitteln. So lassen sich neben den typischen politischen Quellen wie Beschlüssen, Dekreten und Gesetzen auch Alltagsquellen und Auszüge aus Biographien finden. Insgesamt schaffen es die Autoren, neben bewährtem Material zu vielen Themen auch neue bzw. bis dato selten berücksichtigte Quellen aufzuführen. Die Arbeit mit Quellen wird anhand eines eigenen Unterkapitels innerhalb des Abschnitts „Arbeitstechniken und Methoden“ wiederholt.
Die Quellen sind vorwiegend so ausgewählt, dass sie einzelne Aspekte der jeweiligen Autorentexte noch vertiefen sollen. Nur selten bietet das Quellenmaterial die Möglichkeit, anhand unterschiedlicher Einschätzungen einen historischen Sachverhalt vergleichend zu erarbeiten.
Auch im Bezug auf die Bildquellen ist das Bemühen der Autoren auf die Präsentation einer großen Bandbreite graphischer Abbildungen festzustellen. So werden neben historischen Gemälden auch Fotos, Karikaturen, Karten, Grafiken, Diagramme und politische Plakate berücksichtigt. Positiv ist die Druckqualität der Bildquellen hervorzuheben.
Wie bei den Textquellen wird auf den Methodenseiten im Anhang des Buches auch der Umgang mit Bildquellen allgemein sowie im Speziellen die Arbeit mit Fotografien, Plakaten, Karikaturen, Statistiken und Karten wiederholt – leider fehlen Diagramme. Bezüglich der Karten berücksichtigen die Autoren nicht die unterschiedliche Herangehensweise an historische Karten und Geschichtskarten. Mit dem Unterkapitel „Wie wird mit Bildern Politik gemacht“ widmet sich der Band am Beispiel des bekannten retuschierten Rednerbildes von Lenin dem Thema Bildfälschungen in der Geschichte. In den anderen Kapiteln wird jedoch zu selten Wert auf eine ideologische Hinterfragung von Bildquellen gelegt, obwohl das Material dafür eigentlich vorhanden wäre. Auch die Option, die unterschiedliche Bewertung historischer Ereignisse aufgrund von Bildquellen vergleichend aufzuzeigen, nehmen die Autoren zu selten wahr. Eines der wenigen positiven Gegenbeispiele ist die Darstellung unterschiedlicher Erfahrungen in der Kindheit unter der NS-Herrschaft anhand zweier Fotografien: Eine zeigt einen Jungen in SA-Uniform, ein andere ein Kind mit erhobenen Armen bei einer Razzia im Warschauer Ghetto (vgl. S. 315).
Insgesamt lässt sich im Bezug auf die angebotenen Text- und Bildquellen feststellen, dass die Autoren zwar um eine große Vielfalt bemüht waren, die Möglichkeiten der Materialien aber nicht genug ausschöpfen.

Einbindung von Begleitmaterialien und Medien
Die hier untersuchte Ausgabe von Horizonte II enthält keinerlei multimediale Begleitmaterialien. Die Arbeitsaufträge berücksichtigen selten die Möglichkeit selbstständiger Internetrecherche durch die Schüler. Allerdings geben die Methodenseiten eine Hilfestellung für die historische Recherche im Internet sowie eine Liste mit nützlichen Internet-Links.

Überprüfung der Aufgabenstellungen
Die Aufgaben enthalten überwiegend mit gängige Operatoren; diese beziehen sich zu oft auf die Anforderungsbereiche Reproduktion und Transfer, nur selten fordern sie zu eigenen Bewertungen auf. Dies gilt auch für die Vertiefungskapitel, deren Themen dies eigentlich geradezu evozieren müssten. Neben den Operatoren greifen die Autoren aber auch häufig auf W-Fragen zurück.
Die Aufgaben folgen beliebig additiv aufeinander, es lässt sich in keinem Kapitel eine Abfolge analog zu den Anforderungsbereichen feststellen. Problematisch ist auch, dass in den Aufgabenstellungen häufig mehrere Materialien sowie die zumeist langen Hintergrundtexte mit einbezogen werden, so dass es nur selten vorkommt, dass man für die Erarbeitung nur eines Materials passende Arbeitsaufträge vorfindet.

Fachdidaktische und fachwissenschaftliche Aspekte
Auf der fachdidaktischen Ebene lässt sich feststellen, dass bei der Gesamtkonzeption auf eine abwechslungsreiche Vielfalt an Methoden kaum bis gar kein Wert gelegt wurde. Themenbezogene Aufforderungen zu Projekten, selbsttätiger Recherche mit anschließender Präsentation der Arbeitsergebnisse, Gruppenarbeiten oder Rollenspielen werden fast nie berücksichtigt. Nur im Kapitel „Männer machen Geschichte? Oder was heißt historische Größe?“ findet sich eine Aufforderung zu selbsttätiger  Recherche. Als weitere positive Ausnahme bieten die  Methodenseiten allgemeine Hinweise zur Erstellung von Facharbeiten.
Das zentrale fachdidaktische Moment „Geschichtsbewusstsein“ wird an verschiedenen Stellen immer wieder aufgegriffen. Vor allem durch die eingefügten Exkurse wie „Umweltgeschichte“ und „Menschenrechte“ können die Schüler die Historizität dieser heute noch zentralen gesellschaftlichen Aspekte erfahren und dieses Wissen auf die Situation in der Gegenwart anwenden. Die Vermittlung einer multiperspektivischen Sicht wird den Schülern vor allem durch Darstellungstexte vermittelt. Ein in diesem Punkt gelungenes Beispiel ist das kurze Kapitel zur deutsch-französischen Erbfeindschaft.
Historische Konflikte werden in der Regel differenziert betrachtet und erklärt. Hervorzuheben ist auch das Bemühen der Autoren unterschiedliche fachwissenschaftliche Dimensionen zu berücksichtigen. Als Beispiel sei hier der Exkurs zur Umweltgeschichte angeführt.

Fazit
Horizonte II ist ein inhaltlich detailliertes Lehrbuch zu wichtigen Themen der neuzeitlichen Geschichte, die von den Autoren umfassend und oberstufengerecht aufbereitet wurden. Dies führt jedoch zu einem deutlichen Übergewicht der darstellenden Autorentexte. Daneben werden den Schülern zwar zahlreiche Materialien angeboten, aber die Quellen und Ausschnitte aus den Sekundärtexten dienen hauptsächlich dazu, im Darstellungstext angesprochene Punkte zu vertiefen. Außerdem wird auf die Möglichkeit einer kritischen Auseinandersetzung mit historischen Sachverhalten zu selten wert gelegt. Didaktische Konzepte zur Schüleraktivierung werden kaum berücksichtigt.
Auch wenn Horizonte II die einzelnen Themen inhaltlich gut aufarbeitet, ist es als Lehr- und Arbeitsbuch für einen abwechslungsreichen Unterricht in der Oberstufe nur bedingt geeignet, denn didaktisch und methodisch entspricht es nicht mehr dem aktuellen Stand eines modernen Geschichtsunterrichts. Man darf aber auf die Neuauflage gespannt sein, die sicherlich erscheinen wird, sobald das Kerncurriculum für die Oberstufe fertiggestellt sein wird.


Lizenz: CC BY-ND 4.0 Lizenz „Namensnennung – Keine Bearbeitungen 4.0 International“ (CC BY-ND 4.0)


Info Zitation Nikolajczyk, Alexander. Rezension zu: Horizonte II: Geschichte für die Oberstufe von Bahr, Frank (Hg.). Braunschweig: Westermann 2008, ISBN 978-3-14-110930-6, Edumeres 2009, https://edu-reviews.edumeres.net/rezensionen/rezension/nikolajczyk-alexander/, zuletzt geprüft am 26.03.2024.

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