Geschichte, Oberstufe, Gymnasium
Horizonte II: Geschichte für die Oberstufe
Herausgegeben von | Bahr, Frank |
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Erschienen | Braunschweig: Westermann, 2008 |
Seitenanzahl | 616 |
ISBN | 978-3-14-110930-6 |
Geeignet für | Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Thüringen, Schleswig-Holstein |
Rezensiert von | Weltersbach, Julia Cristin und Tina Michalzik (Studierende), 1. Juni 2009 |
Projekt | Christian-Albrechts-Universität Kiel, Wintersemester 2008/09 |
Rezension von Weltersbach, Julia Cristin und Tina Michalzik (Studierende)
Einleitung
Eines der neuesten Geschichtsbücher auf dem Schulbuchmarkt kommt aus dem Hause Westermann. „Horizonte II“ wurde für die gymnasiale Oberstufe konzipiert und ist in den meisten Bundesländern (Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, Thüringen), sowie in der Schweiz und in Österreich zugelassen. Aufgrund dieser allgemeinen Lehrplanbezüge werden regionalgeschichtliche Themen ausgespart. Das kann jedoch im Unterricht gegebenenfalls durch zusätzliche Materialien ausgeglichen werden. Der Hauptakzent liegt eindeutig auf der Neueren und Neusten Geschichte - angefangen bei der Französischen Revolution bis hin zur Situation der heutigen Europäischen Gemeinschaft und den Terroranschlägen des 11. September 2001. Das Themenspektrum entspricht also dem Grundtenor der verschiedenen Rahmenrichtlinien für die Oberstufe, die genau diese historischen Entwicklungen der Modernen Geschichte ab 1789 als Schwerpunkt haben.Der Preis für das Buch ist mit fast 40 Euro hoch, aber der Titel „Horizonte II“ vielversprechend, verheißt er doch den Horizont der Rezipienten zu bereichern. Bestätigt wird dieses Vorhaben von den Autorinnen und Autoren selbst allerdings nicht, da sie an keiner Stelle des Werkes ihr Konzept vorstellen. Lediglich im Internet ist zu lesen, dass sich dieses Lehr- und Arbeitsbuch sogar für den Gebrauch an Hochschulen eignen würde. Wir werden stichprobenartig folgende Aspekte des Buches hinsichtlich seiner Tauglichkeit für den Geschichtsunterricht der Oberstufe untersuchen:Inhalt, Aufbau und Konzept; Quellenmaterial und Aufgabenstellungen; fachwissenschaftliche und didaktische Aktualität, Kontroversität und Multiperspektivität.
Inhalt, Aufbau und Konzept
Das 616 Seiten umfassende Werk besteht aus 18 Kapiteln mit durchschnittlich zwei bis fünf Unterkapiteln. Positiv hervorzuheben sind die drei aktuellen Längsschnittthemen, die als Exkurse zwischen den Hauptkapiteln angesiedelt sind, da sie „Menschenrechte in Geschichte und Gegenwart“ (S.50), „Mensch und Umwelt“ (S.150) und „Terrorismus“ (S.581) behandeln. Von der Lehrkraft lassen sich diese Exkurse als Grundlage für Projektarbeit nutzen, welche mittlerweile in vielen Bundesländern für die Oberstufe obligatorisch ist. Die beiden umfangreichsten Themen sind „Der Nationalsozialismus“ und „Deutschland: Von der Teilung zur Wiedervereinigung“ mit je 64 bzw. 65 Seiten Länge. Am Ende des Buches befinden sich ein Arbeitstechniken- und Methodenkapitel, ein Glossar mit wichtigen historisch-politischen Grundbegriffen, Hinweise zur weiterführenden Literatur, das Register und ein allgemeiner Bildnachweis auf der letzten Seite.Das Lehrbuch folgt dem „traditionellen“ Aufbau. Neben der Auftaktseite steht der Autorentext mit anschließendem Quellen- und Aufgabenteil. Wie bereits erwähnt, gibt es keine Bemerkungen der Autorenteams zur Handhabung oder Zielsetzung des Buches. Allerdings ist das Inhaltsverzeichnis mit nur vier Farben für Kapitel, Unterkapitel, „Fragen an die Geschichte“ und „Exkurs“ übersichtlich gestaltet und läst eine schnelle Erfassung der Themen zu. Die Auftaktseite ist mit einer zeitgenössischen Bildquelle, wie z.B. einem Plakat der DNVP „1924/Weimarer Republik“, (S.250) oder einem Foto der Totenehrung auf dem Nürnberger Reichsparteitag „1934/Der Nationalsozialismus“ (S.292) versehen. Kritisch anzumerken ist, dass diese Illustrationen im nebenstehenden Autorentext bereits interpretiert sind, wenn die Verfasser z.B. dem Bild von der Totenehrung „einen anschaulichen Eindruck von der Inszenierung der Macht“ zuschreiben, welche das Volk „uniformiert“ erscheinen lasse, mit Hitler als dessen Führer vorneweg. Das macht eine eigenständige Erarbeitung der Bildquelle seitens der Schülerinnen und Schüler nur dann möglich, wenn die Lehrkräfte diese auf Folie kopiert und ohne das Buch präsentiert. Es folgt der Autorentext, welcher verständlich geschrieben und für die Oberstufe angemessen ist. Auftretende Fachbegriffe oder Fremdwörter werden größtenteils in Klammern direkt im Text erklärt (z.B. „Großbritannien unterstützte dies zuerst mittels seiner Appeasement (= Beschwichtigungs-) Politik.“, (S.322).Jedes Thema enthält neben den Unterkapiteln einen Extrateil mit problemorientierten Fragestellungen. Unter dem Titel „Fragen an die Geschichte“ folgt zumeist eine farblich abgehobene Doppelseite Extramaterial, wie z.B. „Gibt es eine Kollektivschuld der Deutschen?“ (S.354) mit den dazugehörigen Überschriften „Schuld und Gewissen“, „Wer waren die Täter?“, „Wer hat den Holocaust vollstreckt?“ und „Was konnte die Bevölkerung wissen?“. Das Autorenteam bemüht sich, eine Diskussionsgrundlage zu schaffen, die mit Hilfe dieses kurzen Extrateils zwar nicht ausreicht, aber einen gelungenen Abschluss für die Unterrichtseinheit „Der Nationalsozialismus“ bilden kann, nachdem das Thema mitsamt seinen Unterkapiteln durchgearbeitet worden ist.Besonders positiv fällt auf, dass großer Wert auf die Vermittlung der geschichtswissenschaftlichen Arbeitstechniken gelegt wird. Das Methodenkapitel umfasst 15 Seiten, auf denen die „Werkzeuge des Historikers“ vorgestellt werden. Die historischen Hilfswissenschaften und die wichtigsten Schritte zur Quellenerschließung werden auf diesen Seiten genau erklärt. Zunächst werden die verschiedenen Quellen definiert: Die notwendige Unterscheidung von intentionalen Quellen oder unabsichtlich hinterlassenen Quellen wird betont, ebenso die Aufteilung in Primär- und Sekundärquellen. Zu jeder Quellengattung, ob nun schriftliche Quelle, Bildquelle (Fotografie, Plakat, Karikatur), Statistik oder Karte gibt es Leitfragen für die Schülerinnen und Schüler zur leichteren und korrekten Erschließung. Hervorzuheben ist auch der Teil „Anleitung zur Facharbeit“, der die Möglichkeiten der Informationsbeschaffung vorstellt, und Anleitung zu deren Verarbeitung in Form einer Gliederung (Titelseite, Inhaltsverzeichnis, Einleitung usw.) bietet. Um Plagiate zu vermeiden, wird auch die wissenschaftliche Darstellungsform mit den gängigen Zitierregeln und Verweisen übersichtlich in Stichpunktform den Schülerinnen und Schülern näher gebracht. Zuletzt folgt ein Verweis auf das „Internet für historische Recherchen“, welcher den Umgang mit Suchmaschinen, wie z.B. Google, erklärt und eine Linksammlung präsentiert. An dieser Link-Sammlung fällt allerdings negativ auf, dass sich diese Auswahl sehr allgemein auf die großen Suchmaschinen wie Google, Fireball, Altavista und Lycos beschränkt, während anerkannte fachwissenschaftliche Internet-Seiten, wie z.B. www.zeitgeschichte-online.de oder der „Nachrichtendienst für Historiker“ (www.nfhdata.de) fehlen. Die folgenden Linktipps wie www.bildungsserver.de als Hilfsseite für Lehrkräfte, www.zum.de (mit kostenlosem Unterrichtsmaterial) oder www.abitur.de für Schülerinnen und Schüler, gleichen diesen Fehlen nur bedingt aus.
Quellenmaterial und Aufgabenstellungen
Insgesamt liegt der Schwerpunkt des Buches auf der Arbeit mit historischen Quellen, ein Konzept, welches sicher zeitaufwendig ist, aber die Schülerinnen und Schüler zu selbstständigem Arbeiten motiviert und in ihrer Fachkompetenz fördert. Als Basiswissen eignen sich die gut formulierten Autorentexte, die auf die Quellen Bezug nehmen. So wird deutlich, dass die Materialien neben dem Autorentext nicht nur zur ansprechenden Gestaltung da sind. Alle Materialien sind durchnummeriert (M 1, M 2 usw.) und lassen sich auch durch eine kleinere Schrift gut vom Autorentext unterscheiden. Die Quellennachweise stehen direkt unter oder neben den jeweiligen Materialien. Wie in korrekten Quellennachweisen üblich werden Künstler oder Verfasser, Titel, Jahr, Gattung (z.B. Gemälde, Gesetzestext usw.) angegeben. Leider fehlen bei den zeitgenössischen Darstellungen die Angaben über die Größe der Originale sowie deren momentaner Ausstellungsort. Vollständig ist dagegen der Nachweis der Textquellen, in denen Weglassungen durch eckige Klammern gekennzeichnet sind und deren genauer Nachweis mit Autor, (gegebenenfalls „Zit. nach: …“), Titel, Erscheinungsort und Erscheinungsjahr, sowie die Seitenzahl unter der jeweiligen Quelle steht. Durch kurze Quellenüberschriften (z.B. Strategie der Obersten Heeresleitung, Aktionsprogramm der KPD, Aus einem Aufruf des „Stahlhelm“, Antisemitische Propaganda usw.) erkennen die Schülerinnen und Schüler leicht, auf welchen historischen Kontext sich die Quellen beziehen, was in strengem Sinne aber auch bereits eine Vorinterpretation ist. Die Unterscheidung von Primär- und Sekundärquellen wird durch einen kurzen einleitenden Satz deutlich gemacht. So zum Beispiel: „Hitler beschrieb in seinem Buch ‚Mein Kampf’ den Aufbau seiner Bewegung“ (S.306) und im Vergleich dazu: „Der Psychoanalytiker Rudolph M. Loewenstein untersucht, wie Feindbild und Aggressionslenkung zusammenhängen“ (S.308). Der Nachweis der Darstellungen auf den Auftaktseiten fällt dagegen sehr unterschiedlich aus. Neben der Auftaktseite zum Kapitel 9 „Der Erste Weltkrieg“ geht der Autorentext auf das Bild der „Germania“ ein, nennt auch Künstler, Titel und Entstehungsjahr (S.219). Diese Angaben fehlen allerdings im Autorentext neben dem Foto des Nürnberger Reichsparteitages, welches die Auftaktseite zu Kapitel 11 bildet (S.292). Hier steht nur das Entstehungsjahr, aber Fotograf und Archiv werden leider nicht genannt. Die vollständige Quellenangabe wäre wünschenswert.Positiv hervorzuheben ist aber die große Vielfalt und Kontroversität der ausgesuchten Quellen. Neben Gesetzestexten, Karten, Reden, Schaubildern, Karikaturen, Fotografien, Wahlplakaten oder Tagebucheinträgen stehen auch Einschätzungen und Theorien von zeitgenössischen und modernen Historikern. Besonders gelungen ist diese kontroverse Darstellung im Kapitel 11.10 über Faschismustheorien (S.366 ff.). Die Aufgaben zu jedem Kapitel sind verständlich formuliert und beziehen sich auf den Autorentext sowie auf die Materialien. Die Schülerinnen und Schüler werden unter Verwendung verschiedener Operatoren aufgefordert, historische Geschehnisse zu analysieren, Übersichten anzufertigen, geschichtliche Abläufe zu erklären, Vergleiche anzustellen, Kritik zu äußern und über problematische Sachverhalte zu diskutieren. Zu den ersten Aufgaben gehören immer Fragen zur Reproduktion und zum Transfer („beschreiben Sie“, „fassen Sie zusammen“, „erläutern Sie“, „begründen Sie“). Darauf folgen meist Fragestellungen, welche Leistungen zur Reflexion und Problemlösung verlangen („ Vergleichen Sie das Wahlsystem in der SBZ (bzw. der DDR) mit demjenigen in einer parlamentarischen Demokratie.“, S.394). Es wird weitgehend auf unspezifische W-Fragen verzichtet, stattdessen wird mit Hilfe von gut gewählten Operatoren („analysieren Sie“, „fassen sie zusammen“, „erläutern Sie“, „erklären Sie“, „charakterisieren Sie“) ein aufeinander aufbauender Lösungsweg ermöglicht. Leider enthält das Schulbuch nur wenig Vorschläge zu kommunikativen Arbeitsmethoden, so fehlen z.B. Methoden wie das ‚rotierende Partnergespräch’, ‚Gruppen-Puzzle’ oder ‚Fish-Bowl’.
Fachwissenschaftliche und fachdidaktische Aktualität
Die geforderte fachwissenschaftliche Aktualität bedeutet gerade für Schulbuchautorinnen und -autoren eine große Herausforderung und wird oft ein „Opfer der Zeit“ bei der endgültigen Zulassung des Buches. Aus diesem Grund sollen die aktuellen Bezüge von „Horizonte II“ hier besonders akzentuiert werden. Die Aktualität zeigt sich darin, dass das Buch unter anderem kritische Stellungnahmen moderner Historikerinnen und Historiker aus den 90ern und dem jetzigen Jahrzehnt enthält, aktuellste Materialien sind lediglich vier Jahre alt (Beispiel auf S.571: Artikel des Historikers Heinrich A. Winkler, Grundlagenvertrag statt Verfassung, aus: FAZ, 18.6.2005). Im Kapitel 13.3 zum „Stalinismus“ wird nicht nur anschaulich der damalige Personenkult um Stalin gezeigt, daneben gibt es auch kritische Darstellungen des Kommunismus-Experten Hermann Weber und des Sowjethistorikers Roy Medwedjew (S.453-455). Diese Kontroversität der Quellen öffnet den Schülerinnen und Schülern ein differenziertes Bild aus verschiedenen Blickwinkeln. Auf die neuere Themenauswahl über Europa, Deutschland, die Umwelt und die Welt wurde bereits an anderen Stellen verwiesen. Eine fachwissenschaftliche Ungenauigkeit fällt lediglich im Autorentext in Kapitel 5 auf. Hier werden die Begriffe „Industrielle Revolution“ und „Industrialisierung“ ohne genauere Unterscheidung nebeneinander benutzt. Im Glossar tauchen diese beiden Begriffe ungünstigerweise auch nicht auf, so dass die Unterscheidung von der Lehrkraft erklärt werden muss.Die Autorentexte sind zudem multiperspektivisch verfasst und damit auch fachdidaktisch auf dem neuesten Stand. Beispielsweise wird im Kapitel über die Französische Revolution nicht nur die Situation des Adels, der Bürger und der Bauern dargestellt, sondern auch die Rolle der Frauen innerhalb der Revolution (S.19). Die Ansätze zur Gender Studies zeigen sich auch in anderen Kapiteln und bezieht sich auf alle historischen Gesellschaften. So wird im „Exkurs: Menschenrechte in Geschichte und Gegenwart“ (S.50) auch auf die rechtliche Situation von Frauen in islamischen Ländern und deren Beziehung zum gesellschaftlich höhergestellten Mann ausführlich eingegangen.
Fazit
Insgesamt bietet das Schulbuch „Horizonte II“ durch das große Angebot an attraktivem Quellenmaterial und die kontroversen Darstellungen eine gute Grundlage für problemorientierten und multiperspektivisch ausgerichteten Unterricht in der Oberstufe. Die dargestellten Sachverhalte ermöglichen es den Schülerinnen und Schülern, Ereignisse in erster Linie politisch, aber auch gesellschaftlich und wirtschaftlich zu erklären. Durch die aufschlussreichen und aktuellen Bezüge zur Gegenwart werden sie angeregt, sich mit dem „Konstrukt Geschichte“ zu beschäftigen. Die Schülerinnen und Schüler erhalten im Methodenkapitel präzise Anweisungen für das wissenschaftlichen Arbeiten und können das Gelernte in den einzelnen Aufgabenteilen anwenden und vertiefen. Die leichten Mängel bei den Quellennachweisen und die fehlende Begriffserklärung im Kapitel zur Industriellen Revolution können im Unterricht von der Lehrkraft aufgegriffen und mit der Lerngruppe diskutiert werden. Dabei ist auch der Einsatz von innovativen kommunikativen Unterrichtsmethoden gefragt, die in den untersuchten Kapiteln des Buches nicht angeboten werden, die aber keinesfalls außer Acht gelassen werden dürfen. Wenn hier die Lehrkraft selbstständig abwechslungsreiche Methoden nutzt, kann dieses empfehlenswerte Buch zu einem gelungenen Geschichtsunterricht beitragen.