Geschichte, 7./8. Schuljahr, Hauptschule, Realschule, Gesamtschule, Gymnasium
Lernbuch Geschichte
Herausgegeben von | Horst, Uwe, Karin Volkwein und Wolfgang Emer |
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Erschienen | Stuttgart: Klett, 2011 |
Seitenanzahl | 223 |
ISBN | 978-3-12-011800-8 |
Geeignet für | Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt, Sachsen, Saarland, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Hessen, Hamburg, Bremen, Brandenburg, Berlin, Bayern, Thüringen |
Rezensiert von | Pohl, Karl Heinrich (Wissenschaftler), 21. Juli 2011 |
Rezension von Pohl, Karl Heinrich (Wissenschaftler)
Dieses Schulbuch ist ein „großer Wurf“. Zwar ist an mancher Stelle auch Kritik angebracht, die neuartige Konzeption und deren Ausführung ist z.B. durchaus diskussionswürdig, auch Einzelheiten kann man bemängeln und offensichtliche Fehler entdecken; alles in allem aber ist hier ein Geschichtswerk konzipiert worden, das Hochachtung abnötigt.
Was zeichnet das „Lernbuch Geschichte“ aus? Da ist zum einen die Konzeption: Dass das Buch neun wichtige Themenkomplexe des Mittelalters, von der „Ausbreitung des Christentums“ bis zur „spanischen Eroberung des Aztekenreiches“ behandelt, ist nichts Neues – und weitgehend vorgegeben. Wie jedoch diese Themen angegangen werden, das ist etwas Besonderes. Jedes Kapitel beginnt mit einer (fiktiven) Geschichtserzählung, die gewissermaßen das Grundmaterial zur Verfügung stellt. Auf dieser Basis bieten die Autoren jeweils etwa ein halbes Dutzend Themen und Fragestellungen an, die das Thema auf verschiedene Art und Weise erschließen und die Schülerinnen und Schüler zur individuellen oder auch gemeinsamen weiteren Vertiefung einladen. Dafür bietet der Materialteil verschiedene Quellen (Texte, Bilder, Statistiken usw.). Ein Lexikon, die „unvermeidliche“ Zeitleiste und ein jeweiliger methodischer „Werkzeugkasten“ runden den Arbeitsteil ab. Zur Vertiefung, weiteren Beschäftigung und Dokumentation, aber auch zur Selbstkontrolle, dient die Arbeit mit einem Portfolio, zu der die Autoren die Schüler ermuntern.
Hervorzuheben ist vor allem die Ganzheitlichkeit der Konzeption, die sich in jedem einzelnen Kapitel niederschlägt. Der Einführungstext bietet – auf anschauliche und schülergemäße Art und Weise – Material und ermuntert zugleich zu eigenen Forschungsfragen. Die Autoren bieten dazu ein Bündel von Hinweisen und fordern auch zu eigenen Fragen auf. Sie ermuntern die Schülerinnen und Schüler zudem, die Probleme auf verschieden Art und Weise anzugehen. Der Materialteil bietet hierfür jeweils einige notwendige Quellen. Es bleibt aber nicht nur bei diesem „Input“. Die Schüler werden auch aufgefordert, ihre Arbeitsergebnisse auf verschiedene Art und Weise (Poster, Rede, Erzählung, Schauspiel, usw.) vorzustellen. Das Buch ist in diesem Sinne also auch in hohem Maße „Output“ orientiert. Zugleich werden die Schüler angeregt, mit dem Portfolio ihre Arbeit zu dokumentieren und zu reflektieren, d.h. über ihren eigenen Lernprozess nachzudenken.
Die Konzeption ist zudem voller didaktischer Raffinesse. Sie balanciert immer zwischen Beschränkung (durch gezielte Auswahl von Materialien und Themen, die sie anbietet) und Freiheit (der Förderung der eigenständigen Interessen der Schülerinnen und Schüler). Sie fördert forschungs- und handlungsorientiertes Arbeiten, setzt den Projektgedanken in geradezu vorbildlicher Form um, und ist doch immer wieder darauf bedacht, den konkreten Boden einer Mittelstufenklasse nicht zu verlassen, die Schüler nicht zu überfordern. Sie favorisiert eine sinnvolle Kompetenzorientierung, bindet dies jedoch streng an konkrete Inhalte. Sie fördert historisches Denken, ohne jedoch durch Überfrachtung den Schülern den Spaß an Geschichte zu nehmen.
Wie werden nun wichtige Forderungen von Geschichtswissenschaft, -didaktik und Pädagogik in dem Buch umgesetzt? Verblüffend ist, in welch hohem Maße verschiedene wissenschaftliche Ansätze zu Wort kommen. Politik-, Wirtschaft- und Kulturgeschichte werden nicht nur berücksichtigt, sondern – wenn auch didaktisch reduziert – jeweils mit ihren Stärken und Schwächen ausgetestet. Geschichte „von unten“ und aus Schülerperspektive ist geradezu ein leitender Gedanke und dass Gendergeschichte nicht „nur“ als Frauengeschichte verstanden wird, versteht sich geradezu von selbst. Zugleich nimmt – was die räumliche Perspektive angeht – das Buch neben Regionen in Deutschland auch Mitteleuropa und die Welt mit auf. Globalgeschichte wird zwar nicht dezidiert betrieben, aber erfreulicherweise geht der Blick häufig über den europäischen Tellerrand hinaus.
Auf didaktischem Feld glänzt das Buch durch eine systematisch multiperspektiv gestaltete Sichtweise. „Oben“ und „unten“, Männer und Frauen, Zentrum und Peripherie, alles kommt vor. Von besonderer Qualität sind zudem die Werkzeugseiten, die nicht nur wissenschaftlich solide, sondern zugleich auch praktikabel sind. Hier kann man in der Tat die verschiedensten Kompetenzen erwerben. Dabei wird manchmal fast auf Proseminarniveau gearbeitet, sprachlich aber in einer Form, die Mittelstufenschüler nicht überfordern dürfte.
Auch pädagogisch zeigt das Buch seine positiven Seiten. Die starke Handlungsorientierung (Ergebnisse dokumentieren, in Gruppen diskutieren) und der Gegenwartsbezug (Mahlzeiten selber gemeinsam bereiten), die Verschiedenartigkeit der Quellen, die vernünftige Struktur des Buches und die Flexibilität, die beim Arbeiten mit dem Werk möglich ist, alles dies ist eindeutig schüler- und lehrerorientiert. Die Taktung der Arbeiten, der Methodenwechsel und der unaufdringliche Versuch, Schülernähe herzustellen, sind ebenfalls hervorzuheben.
Allerdings, wenn ein Buch neue Wege geht, gibt es immer auch Kritikpunkte und Angriffsflächen. Um mit einem Kernpunkt der Konzeption zu beginnen, der einleitenden fiktiven Geschichtserzählung: Pädagogisch mag ein solcher Ansatz sinnvoll sein, wer seinen „Ebeling“ noch als Kind gelesen hat, wird das bestätigen können. Die Vermischung von Fiktion und „tatsächlichen“ Quellen scheint jedoch ein großes – vielleicht ein zu – großes Wagnis zu sein. Der Ansatz scheint zumindest diskussionswürdig.
Zugleich widerspricht die Reihung auch dem methodischen Verfahren der Geschichtswissenschaft. Am Anfang jeder historischen Forschung steht nicht der fertige (fiktive) Narrativ, sondern eine Fülle – oder auch nicht – verschiedener Quellen, aus denen sich dann ein oder mehrere Narrative ergeben. Didaktisch-methodisch ist ein solcher (wissenschaftlicher) Zugriff allerdings schwer zu vermitteln, das muss zugestanden werden. Die Verfahrensweise der Wissenschaft aber so stark umzukehren, scheint – jedenfalls für den Fachwissenschaftler – etwas bedenklich. Zumindest für die Neuzeit – in der ja im Gegensatz zum Mittelalter vielmehr Quellen zur Verfügung stehen – sollten Herausgeber und Autoren darüber nachdenken, ob nicht auch eine geeignete historische Quelle den pädagogischen „Auftrag“ erfüllen könnte. Diese hätte den Vorteil, Manipulationen auszuschalten, die sich immer mit einer subjektiv gefärbten fiktiven Geschichtserzählung verbinden.
Sicherlich ist die Frage schwierig zu entscheiden, ob Schüler einen festen Rahmen für das Verstehen von Geschichte brauchen oder ob sie schon ein erhebliches Maß an Offenheit und Kontroversität „vertragen“, eine Tatsache, die die Geschichtswissenschaft ja gerade auszeichnet. Das Pendel der Autoren schlägt hier eindeutig für die feste Rahmung – sicherlich auch mit Blick auf die Altersstufe. Der verwendete Narrativ ist daher bestimmt, er lässt nur manchmal Platz für Zweifel. In dem Sinne ist das – didaktisch geforderte – „offene Geschichtsbild“ nur eingeschränkt umgesetzt. Konnte das Buch durch seinen multiperspektivischen Zugriff punkten, bei der Kontroversität finden sich viele Leerstellen.
Geschichte scheint hier weniger als (gut) begründete Konstruktion, denn als feststehende Tatsache. Das wird von dem hin und wieder eingestreuten Wort „objektiv“, was immer auf „gute“ Geschichtsschreiung gemünzt ist, untermauert. Kaum ein Kapitel lässt etwa Fragen offen. „Städte - Eine neue Welt“. Dieses Thema hätte man aber durchaus durch ein Fragezeichen öffnen können. Ähnliches gilt auch für die – exzellenten – Werkzeugkästen, in denen letztlich die Ergebnisse der Interpretationen weitgehend vorgegeben werden („Das kannst Du herausfinden“).
Noch ein letzter Kritikpunkt. Das Wort „Internet“ kommt im ganzen Werk nicht vor. Das ist bedauerlich. Der Umgang mit diesem meistbenutzten Informationsinstrument hätte in diesem Buch nicht nur abgefordert, sondern in einem eigenen „Werkzeugkasten“ auch eingeübt werden sollen. Aber das lässt sich vielleicht noch nachholen.
Fazit: Hier haben wir es mit einem neuen Lernbuch zu tun, das – trotz einiger Einschränkungen – höchsten Ansprüchen genügt und dem man nur Erfolg wünschen kann.