Erdkunde, 5./6. Schuljahr, Gymnasium
Unsere Erde 5/6
Herausgegeben von | Flath, Martina und Ellen Rudyk |
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Erschienen | Berlin: Cornelsen, 2008 |
Seitenanzahl | 240 |
ISBN | 978-3-06-064009-6 |
Geeignet für | Niedersachsen |
Rezensiert von | Schlitt, Maria (Wissenschaftlerin), 10. Mai 2010 |
Rezension von Schlitt, Maria (Wissenschaftlerin)
Einführung
Die Vorstellung des neuen Schulbuchs „Unsere Erde“ auf der Bildungsmesse Didacta hat 2009 in Hannover zahlreiche Interessierte angezogen. Sollte das Buch, das ein Jahr zuvor als Ergebnis einer Kooperation zwischen Cornelsen und National Geographic erschienen ist, doch nun ganz an den neuen Bildungsstandards im Fach Geographie ausgerichtet sein und kompetenzorientierten Unterricht ermöglichen. Ein Grund mehr, um sich genauer mit den Inhalten zu beschäftigen und das Konzept der Kompetenzentwicklung in diesem Schulbuch unter die Lupe zu nehmen.
Lehrplanbezug
Seit 2008 gilt in Niedersachsen das neue Kerncurriculum für das Gymnasium der Schuljahrgänge 5 bis 10. Das Niedersächsische Kultusministerium hat das Konzept der neuen Bildungsstandards aufgegriffen und das Kerncurriculum danach ausgerichtet. Eine Auflistung der Kompetenzen, über die die Schülerinnen und Schüler am Ende der Sekundarstufe I verfügen sollen sowie der Weg zum Kompetenzerwerb formen den äußeren Rahmen des Curriculums. Für das Fach Geographie wurden anschließend für jeden Kompetenzbereich der Bildungsstandards die erwarteten Teilkompetenzen ausformuliert, die am Ende der Doppeljahrgänge 5./6., 7./8. und 9./10. aufeinander aufbauend ausgebildet werden sollen. Für das vorliegende Schulbuch lässt sich somit leicht überprüfen, ob die erwarteten Kompetenzen aufgegriffen wurden und das Lehrwerk als ein geeignetes Instrument zum Erreichen der curricularen Ziele eingesetzt werden kann.
„Grundlegende Mensch-Raum-Beziehungen“ sollen laut Lehrplan den thematischen Schwerpunkt für den Doppeljahrgang 5./6. bilden. Sowohl die vorgegebenen Raumbezüge des Kerncurriculums als auch die ausformulierten Kompetenzen, über die die Schülerinnen und Schüler am Ende des 6. Schuljahrgangs verfügen sollten, stimmen auf den ersten Blick mit den gewählten Themen des vorliegenden Lehrbuchs „Unsere Erde“ überein. Nach Einführung der grundlegenden Merkmale der Erde als Planet im Kapitel „Die Erde erkunden“, folgen weitere sechs Kapitel: „Landschaften Deutschlands entdecken“, „Stadt und Land als Lebensräume vergleichen“, „Landwirtschaftliche und industrielle Produktion kennen lernen“, „Europa betrachten“, „Europas Vielfalt erkennen“ und „Europa bereisen“ – nach dem Prinzip: vom Nahen zum Fernen.
Äußere Erscheinung
Das DIN-A4-Format des Bandes fällt angenehm auf. Die zahlreichen Bilder, Diagramme, Tabellen und Karten haben eine ausgezeichnete Druckqualität. Beim Blättern fällt jedoch auf, dass etliche Bilder im Vergleich zum Text übermäßig groß sind, so erscheint z.B. die „check-it“-Spalte, in der die Lernziele der Unterrichtseinheit aufgelistet sind, dagegen blass und klein. Auch die Aufgaben am Ende jeder Doppelseite sind nicht klar vom übrigen Text abgesetzt, was sich negativ auf die Übersichtlichkeit auswirkt. Die Sprache der Texte ist klar und verständlich. Jedes Teilthema ist mit einer Überschrift versehen und die im Text auftauchenden Fachbegriffe setzen sich vom restlichen Text ab, wodurch ihre Bedeutung klarer wird.
Ab dem zweiten Kapitel findet der Leser am Anfang ausklappbare Kartenseiten Deutschlands und Europas, die mehr Orientierung bieten sollen. Für die Schülerinnen und Schüler ist dies sicherlich eine ansprechende Motivation zum anfänglichen Umgang mit Kartenmaterial.
Konzept im Detail
Vor der Einführung in die Thematik des ersten Kapitels „Die Erde erkunden“ wird den Schülerinnen und Schülern auf einer Doppelseite der Umgang mit dem neuen Lehrwerk erläutert. Es gibt zahlreiche Felder, Spalten und Hinweise im Schulbuch, die für die Schülerinnen und Schüler der 5. Klasse zunächst erklärt und deren Handhabung konkretisiert werden muss. Um einen visuellen Einstieg in das Thema zu finden, titeln große Bilder den Anfang eines jeden Kapitels. Die ausklappbare Kartenseite links des Bildes tritt zwar im direkten Vergleich in den Hintergrund, ermöglicht jedoch durch den Vergleich der beiden Medien einen guten geographischen Einstieg zu den genannten Kapitelthemen.
Zur Einführung eines neuen Kapitelthemas haben die Autoren eine kleine Spalte am rechten oberen Rand eingefügt, um den Schülerinnen und Schülern mit bunten Spiegelstrichen die unterschiedlichen Ziele des jeweiligen Kapitels aufzuzeigen. Übersetzt in die Sprache der Bildungsstandards steht jeder Spiegelstrich für einen Kompetenzbereich. Räumliche Orientierung (rot), Fachwissen (gelb), Methodenkompetenz (grün) und Beurteilung/Bewertung (blau). Die Kompetenzbereiche Kommunikation und Handlung werden nicht berücksichtigt. Dies ist jedoch kein Mangel, denn die sechs Kompetenzbereiche sind nicht einzeln anzuwenden, sondern als ein zusammenhängendes Konzept, das sich in den unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen ergänzt.
Dieselben Spiegelstriche verwenden die Autoren, um die konkreten Lernziele der Unterrichtsstunde im so genannten „check-it“-Kasten am Anfang jeder Doppelseite aufzuführen. Dieser ist aufgrund seiner Textgröße zwar leicht zu übersehen, beinhaltet wegen der sinnvoll und präzise ausgewählten Formulierungen jedoch wichtige Informationen, an denen sich Schülerinnen und Schüler wie auch Lehrer sehr gut orientieren können. Als weiteres Kompetenzerwerb förderndes Merkmal sind die wiederkehrenden Seiten mit dem Titel „Geo-Aktiv“ zu erwähnen. Hier kommen die oben im Text vermissten Kompetenzbereiche Kommunikation und Handeln zum tragen, indem Schülerinnen und Schüler das eigene Handeln und Urteilen unter verschiedenen Themen („Nordsee in Gefahr“, „Erkundung eines Bauernhofes“) trainieren können. Schaut man unter demselben Vorzeichen der beiden Kompetenzbereiche konkreter in die Aufgabenstellungen am Ende jeder Doppelseite, so fällt auch positiv auf, dass die Schülerinnen und Schüler oft gemeinsam mit Befragungen und Berichten arbeiten sollen und zur Kommunikation in unterschiedlichen Situationen motiviert werden.
Farblich werden im Buch drei Bereiche unterschieden. Gelbe Färbung am Rand der Seite steht für die thematisch aufbereiteten Inhalte, auf den grünen Seiten werden ausgewählte geographische Methoden trainiert („Geo-Methode“). Insgesamt werden in diesem Schulbuch zehn geographische Methoden auf jeweils einer Doppelseite vorgestellt und trainiert. Da dies nicht die gesamte methodische Bandbreite des geographischen Arbeitens abdeckt, findet der Schüler im Anhang das Kapitel „Arbeitstechniken“, in dem weitere gängige Methoden wie eine Mindmap erstellen oder einen Kurzvortrag halten aber auch Tipps und Hinweise zur Internetrecherche und zur Arbeit mit Suchmaschinen. Dabei weisen die Autoren erfreulicherweise auch auf die Gefahren im Umgang mit den Informationen aus dem Internet hin.
Die roten Seiten am Ende jedes Kapitels stellen eine Art Zusammenfassung des bearbeiteten Themas dar, auf denen die Schülerinnen und Schüler ihr Wissen und Können unter unterschiedlichen Fragestellungen (sich orientieren, sich verständigen, beurteilen und handeln, wissen und verstehen, können und handeln und der Umgang mit neuen Begriffen) testen können. Bei diesem so genannten „Geo-Check“ lassen sich die Seiten aufklappen, was sicherlich zum gesteigerten Interesse beim Schüler beitragen kann. Dies ist aber auch ein gutes Instrument für Lehrer, um sich eine Rückmeldung darüber zu verschaffen, wie erfolgreich die Schülerinnen und Schüler mit den kompetenzorientierten Aufgaben arbeiten können.
Die Wahl der einzelnen Unterrichtsthemen ist in einer Kombination aus problem- und regionalorientierten Schwerpunkten aufgebaut. Der Alltagsbezug der Texte und auch die zahlreichen, wenn auch stellenweise zu groß erscheinenden Illustrationen verhelfen dem Schüler, sich mit dem Thema zu identifizieren und motivieren ihn durch das vielfältige Aufgabenspektrum und die dazugehörigen Materialien am Ende der Unterrichtseinheiten zum multiperspektivischen Wissenserwerb.
Materialien
Die teilnehmende Rolle von National Geographic bei dieser Veröffentlichung stärkt sicherlich ihr Image, denn das populärwissenschaftliche Magazin erfreut sich bundesweit großer Beliebtheit. Das vielfältige Bildmaterial, die Panoramaseiten, die Blockbilder machen das Lehrwerk sehr lebendig und sprechen den Leser auf den ersten Blick an. Beim Auswerten des Kartenmaterials fällt auf, dass die Autoren zwar auf einer Methodenseite den Umgang mit dem Atlas erläutern, diesen selbst jedoch nicht als Arbeitshilfe hinzuziehen. Das Lehrbuch selbst soll als eine Art Schulbuch und Atlas in einer Veröffentlichung genutzt werden. An dieser Stelle lohnt sich in jedem Fall die Überlegung, ob tatsächlich die Karten, die der Schüler zu Beginn jedes Kapitels über Deutschland und Europa findet, und das am Ende eingefügte Atlas-Register mit den Kartenausschnitten Niedersachsens, Deutschlands, Europas und der Welt ausreichen, um einen Atlas zu ersetzen. Aus logistischer Sicht wäre dies sicherlich zu überlegen, da die Atlanten aufgrund ihrer Größe und Gewichts nicht zu den beliebtesten Lehrmaterialien gehören. Einem Geographielehrer wäre damit gewiss auch geholfen, denn der Organisationsprozess würde mit einem Lehrwerk erleichtert werden. Wenn das Kartenmaterial des zu bearbeitenden Unterrichtsstoffes für den Doppeljahrgang 5./6. in ein Atlas-Register unterzubringen ist, spricht auch aus dieser Hinsicht nichts dagegen. Dennoch kommen Zweifel über diesen Lösungsweg. Selbst wenn die Orientierung zwischen der eigenen Haustür und dem Rest der Welt heutzutage mit Hilfe von Google Earth spielerisch klappt (und im Lehrbuch als erste Methode gleich zu Beginn vorgestellt wird), so kann ein Atlas nicht völlig dadurch ersetzt werden. Ausgelöste Neugierde auf geographische Informationen aller Art, Selbständigkeit beim versierten Suchen und Finden sowie Multiperspektivität, die aus der Kommunikation untereinander beim gemeinsamen Arbeiten hervorgeht und nicht zuletzt die spontanen und ungeplanten Lernergebnisse, die sich aus der Arbeit mit dem Atlas ergeben, sind Argumente für den zusätzlichen Einsatz des sperrigen Lehrwerks. Beim vorliegenden Schulbuch ist die Gefahr einfach zu groß, dass die Schülerinnen und Schüler sich nur noch den Karten widmen, die in der Aufgabenstellung vorgegeben sind und somit auch nur das Register zum Bearbeiten befragen. Ein weiterer negativer Aspekt ist die Tatsache, dass auf keiner Methodenseite („Wir lesen physische Karten“, „Wir lesen thematische Karten“, „Wir orientieren uns auf Straßenkarten“) auf den kritischen Umgang mit dem Kartenmaterial eingegangen wird.
Am Ende jeder Doppelseite geben die Autoren einen Zahlenschlüssel und einige Stichworte zu Informationen im Internet, die mit der Homepage von Cornelsen Verlag verlinkt sind. So kann sich der Schüler über eine Zahlenkombination im Internet weiter informieren. Beim Ausprobieren ausgewählter Seiten fällt jedoch auf Anhieb die unterschiedliche bildliche und textliche Gestaltung auf. Einige im Lehrwerk erwähnte Seiten wurden aus dem Angebot der Homepage herausgenommen und einige weitere haben nicht (mehr) funktioniert. An diesem Punkt ist sicherlich der Lehrer gefragt, sich vor dem Ausprobieren der Schülerinnen und Schüler erst einmal selbst ein genaues Bild über die digitalen Informationsdienste zu verschaffen. Sonst ist die Gefahr sehr groß, dass der Schüler während der Nutzung dieser Dienste vom eigentlichen Thema abkommt. Wenn klare Regeln im Umgang mit dem Internet vereinbart und eingehalten werden, steht mit Hilfe dieses Lehrwerks einer interessanten und motivierenden Methode nichts mehr im Weg.
Aufgabenstellungen
Die neuen Bildungsstandards im Fach Geographie verfolgen auf dem Weg zum kompetenzorientierten Unterricht auch das Ziel, eine neue Aufgabenkultur zu schaffen. Im vorliegenden Lehrwerk fällt positiv auf, dass die Aufgaben sehr vielfältig formuliert sind. Die Anforderungen aus den Aufgabenbereichen I und II werden durch verschiedene Operatoren ausgedrückt und hierarchisch angeordnet. Geht es am Anfang noch um Beschreibung und Benennung, so enden die Aufgabenreihen meist mit den Operatoren „diskutiere“, „präsentiere“, „erläutere“ usw. Der Lösungsweg führt die Schülerinnen und Schüler häufig über topographische Informationen, die anschließend in einer problemorientierten Aufgabe mit anderen Sachinformationen verknüpft werden. Am Ende sollen die Schülerinnen und Schüler in Gruppenaufgaben über Vor- und Nachteile diskutieren, eine Umfrage konzipieren oder auch eigene Recherchen durchführen. Häufig werden auch Transferaufgaben gestellt, in denen das neu erlangte Wissen auf andere Sachverhalte angewendet wird.
Eine sehr gelungene Lösung ist das Schraubenschlüssel-Symbol, das auf das Kapitel „Arbeitstechniken“ im Anhang verweist und in dem sich die Schülerinnen und Schüler noch während der Bearbeitung über noch unbekannte Präsentations- oder Arbeitsmethoden informieren können.
Neue Aufgabenkultur bedeutet aber auch, dass der Schüler weiß, was durch die Fragestellung von ihm erwartet wird. Die Operatoren drücken in einem Wort aus, wie die Aufgabe zu bearbeiten ist. Für einen Schüler der 5. Klasse ist es womöglich nicht klar, inwieweit ein Unterschied zwischen dem Operator „erkläre“ und „erläutere“ besteht. Auch die Erwartung, die hinter dem Operator „begründe“ steht, leuchtet einem Schüler in Bezug auf geographische Sachverhalte womöglich nicht gleich ein. Hier könnte das Schulbuch erste Fragen klären. Eine Beschreibung des Erwartungshorizontes, der hinter den Aufforderungen steht, wäre sinnvoll. Leider findet man im Lexikonteil des Anhangs nur eine Erklärung für ausgewählte geographische Begriffe, die auf den Seiten des Schulbuchs thematisiert werden.
Fachdidaktische Fragestellungen
Das vielfältige Themenspektrum von „Unsere Erde“, das fachwissenschaftlich hauptsächlich anthropogeographisch ausgerichtet ist, bietet dem Schüler unterschiedliche Betrachtungsebenen. Angefangen mit der Orientierung von der eigenen Haustür bis zur Schule, erweitert sich der Horizont stetig nach draußen und in die Welt. Europa ist am Ende des Doppelschuljahres 5./6. erkundet und bereist. In dieser Zeit hat der Schüler auch die Natur in der eigenen Umgebung erkundet, sich über die unterschiedlichen Meinungen zwischen Stadt- und Landbewohnern ein Bild gemacht, einen Bauernhof erkundet, Europa aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet, Kinder aus Europa kennen gelernt und erfahren, was nachhaltiges Reisen bedeutet. Aus didaktischer Sicht leistet dieses Schulbuch einen Beitrag zur Förderung raumbezogener Handlungskompetenz, zum nachhaltigen Handeln, zum Umgang mit unterschiedlichen Raumperspektiven und zum weltoffenen und toleranten Verhalten und Handeln.
Zusammenfassung
Die Orientierung des Konzeptes an den neuen Bildungsstandards ist nicht zu übersehen. Auf dem Weg zum kompetenzorientierten Unterricht kann dieses Schulbuch abgesehen von einigen kleinen Schwächen einen sehr guten Beitrag leisten. Seine Stärken liegen in der gut umgesetzten visuellen Erscheinungsform und dem angenehmen Format, gut strukturierten Themen und Aufgaben sowie einem schülerorientiertem Weg zur Entwicklung der Methodenkompetenz.
„Unsere Erde“ ist ein gelungenes Geographiebuch, das junge Schülerinnen und Schülern auf eine vielfältige Art und Weise dazu animiert, sich mit geographischen Themen auseinander zu setzen und dabei Kompetenzen zu schulen, die noch lange Zeit nach der Schule nützlich sein werden.