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Geschichte, 7./8. Schuljahr, Hauptschule, Realschule, Gesamtschule

Expedition Geschichte G4

Expedition Geschichte G4
Herausgegeben von Osburg, Florian und Dagmar Klose
Erschienen Braunschweig: Diesterweg, 2006
Seitenanzahl 210
ISBN 978-3-425-10514-7
Geeignet für Sachsen
Rezensiert von Schmid, Matthias (Lehrer), 1. Dezember 2008
Reihe Expedition Geschichte

Rezension von Schmid, Matthias (Lehrer)


Einleitung
Mit Expeditionen assoziiert man spannende Forschungsreisen in unbekannte und entlegene Gebiete, bei denen man Neues erkunden und entdecken kann. Dies beschreibt wohl kurz gefasst den Anspruch des Schulbuchtitels „Expedition Geschichte“. In diesem Sinne stellen auch die Herausgeber der Reihe gleich zu Beginn klar, dass die Schüler mit Hilfe des Buches eine „Reise in vergangene Zeiten“ (S. 1) antreten, bei der sie zum einem mit dem Verfassertext einen kenntnisreichen Reisebegleiter zur Seite gestellt bekommen und zum anderen durch Medien und Arbeitsaufträgen zu selbständigen Entdeckungen angeregt werden sollen.

Konzept
Bei dem Schulbuch „Expedition Geschichte“ handelt es sich um ein Lehrwerk, das in der 8. Klasse der sächsischen Mittelschule, die Haupt- und Realschule in einer Schulform vereint, eingesetzt wird. Aus diesem Grund muss dieses einen Spagat zwischen Förderung und Forderung schaffen. Um hierbei den unterschiedlichen Leistungsstufen gerecht zu werden, wird durch den Verfassertext der narrative Rahmen für die Arbeit mit den zahlreichen Quellen geschaffen. In erster Linie regt das Buch aber durch seine zahlreichen Arbeitsaufträge die Schüler an, mit den bereitgestellten Quellen, Abbildungen, Karten und Grafiken selbständig zu arbeiten, wodurch jeder Schüler eine eigenständige „Reise“ in die Vergangenheit antreten kann.

Besonders auffällig sind die in die jeweiligen Kapitel eingestreuten Sonderseiten „Gewusst wie!“, „Geschichte kontrovers“, „Expedition Geschichte“, die versuchen, den aktuellen geschichtsdidaktischen Forderungen nach Methodenschulung, Multiperspektivität sowie Projektorientierung gerecht zu werden. Inhaltlich betten sich diese Seiten thematisch in das Kapitelthema ein, sodass hier eine sehr gute Verzahnung stattfindet. Weiterhin wird jedes Kapitel durch eine Zusammenfassung („Geschichte im Überblick“) abgeschlossen. Eine weitere Sonderseite bildet die Kategorie „Geschichte erzählt“, die den Schülern mittels Zeitzeugenberichte oder Kinder- und Jugendbuchauszügen einen anschaulichen und motivierenden Einblick in die Vergangenheit bietet. Ein kleines Kompendium an Erklärungen für Fachbegriffe sowie ein Register runden das Buch ab.

Die einzelnen Kapitel werden jeweils mit einer doppelseitigen Auftaktseite eingeleitet, welche auch farblich hervorgehoben wird und damit sozusagen die Eintrittspforte zur „Expedition“ bildet. Gerade die beiden Auftaktseiten zu den Kapiteln zwei und drei erfüllen diesen Anspruch insbesondere dadurch, weil hier jeweils durch eine einleitende Frage („Der Krieg ist aus – wie weiter?“, „Alles wird gut – oder?“) das Interesse der „forschenden“ Schüler geweckt wird. Auch bei den Zwischenüberschriften fällt auf, dass diese immer wieder in Frageform gestaltet sind und damit die Neugier der Schüler anregen.

Fachwissenschaftliche Aktualität und Inhalt
Der inhaltliche Rahmen des vierten Bandes von „Expedition Geschichte“ erstreckt sich vom Zeitalter des Imperialismus bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. Es ist insgesamt in fünf Großkapitel unterteilt und richtet sich dabei nach dem zugrunde liegenden Lehrplan der Mittelschule Sachsen. Gemäß dieser Einteilung werden dem Nationalsozialismus zwei Kapitel („Herrschaft und Alltag im Nationalsozialismus“, „Völkermord und Kriegsverbrechen“) gewidmet. <fn>Sächsisches Staatsministerium für Kultus: Lehrplan, Mittelschule Sachsen, Geschichte, Dresden 2004, S. 14 ff</fn> Die einzelnen Großkapitel sind jeweils wiederum in einzelne Kapitel und Abschnitte unterteilt, sodass ein recht kleinschrittiges Vorgehen an den Tag gelegt wird, was jedoch für die mit dem Schulbuch arbeitende Zielgruppe sowie aufgrund der hohen Komplexität der Themen durchaus angemessen ist. Regionalgeschichtliche Ansätze werden dabei immer wieder in die einzelnen Großkapitel eingeflochten (z.B. „Andritzky und Goerdeler – Männer aus dem Widerstand in Sachsen“). Insgesamt liegt der Schwerpunkt aber auf politischen, wirtschaftlichen, kultur- und alltagsgeschichtlichen Themen. Besonders hervorzuheben ist jedoch, dass zum Teil recht innovative Themen („König Fußball – Aus dem Alltag der Arbeiter“, S. 19 oder „Politische Witze als historische Quelle“, S. 173) angeschnitten werden. Zudem werden immer wieder Entwicklungslinien zur Gegenwart aufgezeigt, wie z.B. im Abschnitt „Von Nürnberg nach Den Haag – Verfolgung von Verbrechen gegen Frieden und Menschlichkeit“, oder auf eine unmittelbare Aktualität bestimmter Themen verwiesen, was vor allem mit dem Abschnitt „Rechtsradikalismus ist noch nicht Vergangenheit“ ein wichtiges und ebenso gelungenes Unterfangen darstellt.

Autorentext
Der Sprachduktus des Autorentextes ist verständlich und klar, wodurch ein guter Nachvollzug der grundlegenden Gedanken ermöglicht wird. Dabei verwenden die Autoren meist kurze und prägnante Sätze und passen sich somit dem Leseniveau der Zielgruppe recht gut an. Besonders gelungen ist zudem, dass unbekannte und schwierige Fachbegriffe (z.B. „Dominion“, „Entente cordiale“, „Doppelherrschaft“) im Autorentext selbst unmittelbar erklärt werden, wodurch eventuellen Verständnisschwierigkeiten präventiv vorgebeugt wird. Hervorzuheben ist weiterhin, dass es kaum Doppelungen zwischen Autorentext und Arbeitsaufträgen gibt. Vielmehr bereitet dieser die Grundlage, damit die Schüler bei den Arbeitsaufträgen zu tiefergehenden und selbständigen Erkenntnissen und Einsichten gelangen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Autorentext isoliert neben den Arbeitsaufträgen bzw. den Text- und Bildquellen steht. Meist findet eine gute Verzahnung statt, indem beispielweise im Autorentext auf bestimmte Bilder verwiesen wird (z.B. auf S. 21) oder indem Arbeitsaufträge ein genaueres Durchdenken der durch den Autorentext aufgenommenen Informationen fördern (z.B. „Erläutere die Bedingungen unter denen in den beiden Ländern Linksregierungen entstanden.“, S. 79).

Die Arbeit mit Textquellen
Bei der Textquellenauswahl wird das Schulbuch dem oben genannten Anspruch nach Förderung und Forderung gerecht, da neben „offiziellen“ Dokumenten auch immer wieder persönlich-erzählende Erlebnisberichte von Augenzeugen enthalten sind, die die Ereignisse und Zusammenhänge auch für die leistungsschwächeren Schüler greifbar machen. Weiterhin werden einige Quellen, wie z.B. der „Aufruf des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“, als Faksimiles abgedruckt, wodurch gerade dem „Expeditionscharakter“ des Lehrwerks Ausdruck verliehen wird. Allerdings stellt sich hier die Frage, ob es Schülern der Mittelschule ohne Hilfen möglich ist, einen Text in Frakturschrift zu lesen. Hilfreich wäre für diese an sich sinnvolle visuelle Präsentation eines Schriftstücks in Originalform sicherlich eine Methodenseite („Gewusst wie!“) zum Lesen einer Frakturschrift gewesen. Weiterhin werden auch Faksimiles (z.B. Extraausgabe der Zeitung „Vorwärts“ anlässlich des Erlasses Reichskanzlers Max von Baden oder die Abdankungsurkunde Wilhelms II.) ohne tiefergehenden Arbeitsauftrag abgedruckt, sodass dies einer sinnvollen Quellenarbeit sicherlich nicht gerecht wird.

Bei genauerer Betrachtung von einigen Quellen fällt zudem auf, dass wohl aufgrund der Vereinfachung teilweise auf Darstellungstexte zurückgegriffen wird (z.B. bei den Pariser Vorortverträgen von 1919/20, S. 66) oder bei der Beschreibung der Bewegung „Kraft durch Freude“ durch einen Historiker, S. 126). Der Einsatz dieser vereinfachenden Texte kann als durchaus legitim im Hinblick auf die zu unterrichtenden Schüler angesehen werden, wobei hier jedoch den Schüler verdeutlicht werden sollte, dass es sich hier um keine Primärquellen handelt.

Besonders gelungen ist dagegen, dass auch die Aussagen von Historikern als Quelle ernst genommen werden und beispielsweise der Hitler-Stalin-Pakt aus der Sicht eines bundesdeutschen, eines polnischen sowie eines Historikers aus der DDR (S. 153) behandelt wird.

Weiterhin werden nahezu alle Textquellen durch entsprechende Arbeitsaufträge für eine tiefergehende Durchdringung herangezogen. Meist sind dabei die Operationen durch Verben präzise benannt, auch wenn in Einzelfällen davon abgewichen wird. Relativ selten sind die Textquellen dagegen Ausgangspunkt für kreative Schreibaufträge. Lediglich zu einer situativ unspezifischen Stellungnahme wird bisweilen aufgefordert.

Die Arbeit mit Bildquellen
Insgesamt lässt sich gleich vorweg sagen, dass es sich um ein sehr bildgewaltiges Schulbuch handelt, welches den Schülern ein recht plastisches Geschichtsbild bei ihrer „Forschungsreise“ in die Vergangenheit liefert. Doch gerade der in letzter Zeit zunehmend geäußerte Anspruch der Geschichtsdidaktik, Bildquellen auch als solche zu behandeln und nicht nur als illustratives Beiwerk in Schulbücher zu stellen, fordert hier zu einer näheren Untersuchung auf. Grundsätzlich kann trotz der Fülle an Bildern zunächst einmal Entwarnung gegeben werden. Nahezu alle Bilder werden durch Arbeitsaufträge näher beleuchtet. Diese Arbeit mit den Bildquellen wird zusätzlich durch die explizit auf diese Quellenart zugeschnittenen Methodenseiten „Fotografie als Geschichtsquelle“, „Verfahren zur Re-Konstruktion von Geschichte aus Bildquellen“, „Fotomontage als zeitgeschichtliches Zeugnis“, „Auch Fotos können lügen“ auf vorbildliche Weise unterstützt. Zudem werden unterschiedliche Bildquellen auch in Beziehung zueinander gesetzt, wodurch den Schülern nicht zuletzt verdeutlicht wird, dass gerade Plakate eine manipulierende Komponente beinhalten. Beispielhaft für diesen Ansatz sei der Abdruck einer deutschen Propaganda-Postkarte aus dem 1. Weltkrieg, die das heroische Sterben an der Front illustriert, erwähnt (S. 38). Diese soll von der Schülern im Arbeitsauftrag mit einem Foto verglichen werden, welches die harte Kriegswirklichkeit aufzeigt, wodurch die Propaganda als solche entlarvt wird.  

Aber nicht nur einzelne Bilder werden miteinander in Beziehung gesetzt. Das Buch bemüht sich innerhalb der Arbeitsaufträge auch Textquellen integrativ mit Bildquellen zu vernetzen, indem beispielsweise bei der Bildbeschreibung eines Gemäldes von Eric Johansson explizit dazu aufgefordert wird, auch die Kenntnisse aus einer bereits gelesenen Textquelle miteinzubeziehen. Gerade dadurch gelingt es dem Schulbuch relativ gut ein tiefergehendes Verständnis anzubahnen. Zusätzlich bietet die Auswahl der Bilder oftmals einen sehr emotionalen Zugang, wodurch den Schülern die Grausamkeit von Krieg und die Niederträchtigkeit totalitärer Systeme plastisch vor Augen geführt wird.

Problematisch ist dagegen teilweise die Präsentation der Bilder. Denn zum Teil überlappen sich diese gegenseitig. So ist aufgrund dieser Tatsache z.B. bei einem Plakat aus den „Goldenen Zwanzigern“ ein Schriftzug nicht vollständig zu lesen (S. 87). Auch bei einem Foto, das US-Truppen vor einem Wagen voller KZ-Leichen zeigt, werden die US-Soldaten abgeschnitten (S. 168), wodurch die ganze Bildaussage des Fotos etwas unterschlagen wird. Des Weiteren wird in dem Schulbuch auch in das Bildmaterial eingegriffen. So wird beispielsweise bei einer Postkarte der Zentrums-Partei („Die Sozialdemokratie gegen Weltpolitik“) der Schriftzug „Nieder mit den roten Vaterlandsverrätern“ wegretuschiert (S. 27). Dagegen ist „eines der bekanntesten Bilder vom Auszug der Truppen“ [es geht hier um den Ersten Weltkrieg, d. Verfasser] beschnitten, sodass beispielsweise vom Schriftzug „Ausflug nach Paris“ nur noch „Paris“ übriggeblieben ist. (S. 28)

Trotz dieser Präsentationsmängel lässt sich auf der anderen Seite konstatieren, dass, wie schon bei der Bearbeitung der Textquellen, nahezu alle Bildquellen durch begleitende Arbeitsaufträge erschlossen werden. Im Gegensatz zu der Bearbeitung der Textquellen kommen bei der Bildquellenarbeit jedoch häufiger kreative Methoden, wie z.B. das Verfassen einer Bildüberschrift, die Abfassung eines Dialogs oder das Erzählen einer Geschichte zu einem Bild, zur Anwendung.

Einbindung neuerer Medien
Weiterführende Hinweise auf Internetseiten, mit denen das jeweilige Thema vertieft werden kann, fehlen in dem Schulbuch weitgehend. Auch auf eine Recherchekompetenz wird nur marginal Wert gelegt, was insofern erstaunlich ist, da gerade dadurch dem „Expeditionsansatz“ eine weitergehende Dimension verliehen hätte werden können. Auch Hilfen bei der Suche nach Tonquellen werden nicht angeboten. Besonders im Methodenabschnitt „Die politische Rede als Geschichtsquelle“ wäre dies jedoch sinnvoll gewesen, weil abgedruckte Reden sicherlich nicht die besondere Wirkungsweise dieses Mediums verdeutlichen können.

Fazit
Trotz der angesprochenen Schwächen überwiegen bei dem Schulbuch insgesamt die Stärken. Denn jenes bietet den Schülern aufgrund der abwechslungsreichen Gestaltung einen interessanten und motivierenden Einblick und lädt aufgrund der Fülle der Arbeitsaufträge zu vielfältigen individuellen Überlegungen ein. Dabei ermöglicht insbesondere das klar strukturierte und kleinschrittige Vorgehen, dass die Schüler durch die umfangreichen Informationen nicht überfordert werden. Durch die gelungenen und anregenden Methodenseiten („Gewusst wie!“) wird außerdem gewährleistet, dass die Schüler auf ihrer „Expeditionsreise“ auch Fertigkeiten erwerben, die sie zum kritischen Hinterfragen anregen und diese somit auf ihr zukünftiges Leben in unserer pluralistisch geprägten Mediengesellschaft vorbereitet.

 

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