Geschichte, 7./8. Schuljahr, Hauptschule, Realschule, Gesamtschule
Expedition Geschichte G4
Herausgegeben von | Osburg, Florian und Dagmar Klose |
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Erschienen | Braunschweig: Diesterweg, 2006 |
Seitenanzahl | 210 |
ISBN | 978-3-425-10514-7 |
Geeignet für | Sachsen |
Rezensiert von | Wildgrube, Christoph und Benjamin Schmitz (Studierende), 14. Juli 2010 |
Reihe | Expedition Geschichte |
Projekt | Christian-Albretchts-Universität Kiel, Wintersemester 2009/10 |
Rezension von Wildgrube, Christoph und Benjamin Schmitz (Studierende)
Einleitung
Das Schul- und Arbeitsbuch „Expedition Geschichte 4“ ist für die 8. Klassenstufe der Mittelschulen des Bundeslandes Sachsen konzipiert. Wie es der Titel des Buches bereits vorgibt, werden die Schülerinnen und Schüler auf eine „Forschungsreise“ durch die Vergangenheit geschickt und können so durch entdeckendes Lernen einen Blick in die ereignisreiche Zeit des 20. Jahrhunderts werfen.
Im Folgenden werden speziell die Kapitel vier und fünf des Bandes exemplarisch genauer untersucht. Das vierte Kapitel befasst sich mit dem Thema „Herrschaft und Alltag im Nationalsozialismus“. Im fünften Kapitel geht es um die Thematik „Völkermord und Kriegsverbrechen“. Dennoch werden auch die drei übrigen Kapitel, hinsichtlich des Gesamteindruckes, in der Beurteilung berücksichtigt. In erster Linie sollen methodisch-didaktischen Aspekte, die Autorentexte, Quellen und Bilder sowie formale Kriterien des Arbeitsbuches analysiert werden. Zudem wird geprüft, ob das Lehrwerk die didaktisch wichtigen Aspekte der Kontroversität und Multiperspektivität berücksichtigt.
Formale Kriterien
In einem vom Material ansprechenden und optisch gelungenen Gesamteindruck kann das Arbeitsbuch „Expedition Geschichte 4“ überzeugen. Es setzt sehr zeitgemäß auf ein praktisches und leichtes Format von 26 x 19,5cm, dadurch liegt es nicht zu schwer in den Taschen der Schülerinnen und Schüler, beinhaltet aber dennoch mit seinen 210 Seiten einen soliden Umfang an Unterrichtsmaterial. Die Grundfarbe des Covers ist in einem angenehmen roten Ton gehalten. Einzig und allein die an manchen Stellen sehr übertrieben bunte Farbgebung der Buchseiten, durch Karten, Tabellen und Bilder, geben Anstoß zur Kritik. Die Größe der genutzten Schriftart Times New Roman, sowie die Aufteilung der Seiten in die verschiedenen Bereiche wirken ansprechend und sind gut gelungen. So kann davon ausgegangen werden, dass sich Schülerinnen und Schüler der achten Jahrgangsstufe vom Layout des Buches angesprochen fühlen.
Methodisch-didaktische Konzeption
Das Vorwort des Buches ist knapp, aber durchaus ausreichend ausgefallen. Den Schülerinnen und Schülern werden mit Hilfe von kleinen Grafiken und dazu altersgerechten Texten die Bausteine des Bandes vorgestellt. Besonders auffallend und durchaus positiv zu bewerten ist dabei die Methodenvielfalt, die in diesem Schulbuch Einzug gehalten hat. So wird neben den „gewöhnlichen“ Bausteinen wie Verfassertexte, Quellentexte, Abbildungen und Karten, ein besonderer Akzent auf folgende vier Rubriken gelegt: Erstens „Gewusst wie“, zweitens „Geschichte kontrovers“, drittens „Geschichte erzählt“ und viertens „Expedition Geschichte“.
Im gesamten Buch sind Darstellungs- und Arbeitsteil miteinander verwoben, folglich ist auch das Quellenmaterial im Darstellungsteil integriert. Ein Ansatz, der aus zweifacher Hinsicht zweckmäßig ist: Einerseits erfahren die Schüler und Schülerinnen einen natürlichen Umgang mit Quellen und begreifen, dass diese das Fundament der historischen Forschung bilden; andererseits ist es gerade aus fachdidaktischer Sicht wohl bedacht, den Schülerinnen und Schülern die Ereignisse, neben einem emotionsloseren Darstellungsteil, auch direkt aus „erster Hand“ zu präsentieren. So führt sie beispielsweise ein knapper Autorentext über die „Frauenpolitik des Nationalsozialismus“ in die Thematik ein, anschließend erfahren sie eine direkte Stellungnahme Goebbels‘, aus einem Auszug einer Eröffnungsrede zur Ausstellung „Die Frau“ (Seite 131). An dieser Stelle kann bereits erwähnt werden, dass die Genderthematik auf die reine Frauengeschichte herunter gebrochen ist.
Die Verfasser sind darum bemüht, durch ein breites Spektrum an Textquellen, den Schülerinnen und Schülern einen möglichst differenzierten Überblick über historische Ereignisse und Epochen zu vermitteln. Auf diese Weise enthält das Buch Quellen wie Augenzeugenberichte (S. 184), Tagebucheintragungen (S. 183) oder kontroverse Deutungen von Historikern so z.B. zur Kriegsschuldfrage (Versailler Vertrag) (S. 31). Den Schülerinnen und Schülern werden dazu Arbeitsschritte an die Hand gegeben, wie sie die Historiker-Urteile einschätzen können. An anderer Stelle werden Fotos und deren Möglichkeit der Manipulation vorgestellt (S. 106). Die Methodenschulung in dieser Rubrik, die den jeweiligen Umgang mit den verschiedensten Quellen näher beleuchtet, ist überwiegend positiv zu bewerten, da die Schülerinnen und Schüler dort für einen sensiblen Umgang mit Quellen geschult werden.
Eine Ausnahme bildet jedoch eine Lektion, in der es um die politische Rede als Geschichtsquelle geht (S. 132f.). Den Schülerinnen und Schülern soll anhand eines Auszuges aus einer Rede Adolf Hitlers näher gebracht werden, wie politische Reden analysiert werden können. Im Anschluss der Quelle werden Fragen formuliert, die helfen sollen, eine Entschlüsselung der Rede vorzunehmen (Worin bestehen die wichtigsten Aussagen?, Welche Zielstellung der Rede lässt sich ausmachen? etc.). Leider bleibt es nicht bei der Formulierung der Fragen. Die Verfasser liefern auch gleich die Antworten, sodass der durchaus löbliche Ansatz von den Autoren durch deren Beantwortung der Fragen sowohl methodisch, als auch didaktisch in Frage gestellt werden kann. Den Schülerinnen und Schülern wird dadurch keine Chance zum selbstständigen Denken ermöglicht.
Autorentexte
Die Autorentexte sind bemüht ihrem im „Vorwort“ formulierten Credo treu zu bleiben. Dort heißt es: „Obwohl die Verfassertexte sich um möglichst sachliche Aussagen bemühen, spiegeln sie doch immer auch die persönliche Meinung und den Stil der einzelnen Autorinnen und Autoren wider“. Eine durchaus vernünftige Anmerkung, die die Schülerinnen und Schüler auf die subjektive Sicht auf historische Ereignisse verweist. Darüber hinaus sind die Texte in einfacher und klarer Sprache gehalten; konnotierte Begriffe werden durchweg in Anführungsstriche gesetzt: „Lebensraum“ (S. 157), „Notverordnungspolitik“ (S. 92) und Fachbegriffe, Fremdwörter und Abkürzungen ausnahmslos erklärt. Taucht ein neues Fremdwort oder ein Fachbegriff auf, so wird zuerst eine Übersetzung gewählt, der Fachterminus steht dann in Klammern dahinter: „freiwillige Zuträger (Denunzianten)“ (S. 143). Außerdem befinden sich im Anhang auf neun Seiten zusätzliche Worterklärungen.
Die Autorentexte werden durch Zwischenüberschriften unterteilt, sodass für die Schülerinnen und Schüler die einzelnen Sinnabschnitte deutlich werden. Es ist den Verfassern auf der einen Seite positiv anzurechnen, dass sie einen kleinen Teil der Überschriften als Fragen formuliert haben: „Goldene Zwanzigerjahre?“ (S. 86), „Kinder, Küche, Kirche – die Welt der Frauen? (S. 15); dadurch werden die Schülerinnen und Schüler darauf aufmerksam gemacht, dass es nicht die „eine“ Geschichte gibt, vielmehr handelt es sich bei Geschichte um Konventionen und Konstrukte. Auf der anderen Seite ist es dann aber umso bedauerlicher, dass die Autoren von dieser Methode nur sehr geringen Gebrauch gemacht haben.
Aufgabenstellung
Die Aufgabenstellungen zu den jeweiligen Quellen, Bildern und Autorentexten können insgesamt als gelungen angesehen werden. Sie setzen gezielt weiterführende Impulse. In diesem Sinne werden zwar häufig auch sehr konkrete Antworten auf die Fragestellungen verlangt, darüber hinaus werden aber auch Fragen gestellt, die sowohl zur freien Diskussion anregen, als auch die Vorstellungskraft der Schülerinnen und Schüler fördern: „Diskutiert, was die Idee der „Volksgemeinschaft“ mit Denunziationen zu tun haben könnte“ (S. 143), „Erzähle zu dem Bild eine Geschichte“ (S. 143). Man findet demnach auf jeder Seite des Buches mehrere Fragestellungen, die unterschiedliche und didaktisch wichtige Themenkomplexe abdecken, und sich auf einem für die achte Klassenstufe ansprechenden Niveau befinden. Vor allem fällt hierbei positiv auf, dass in vielen Fragen notwendige gegenwartsbezügliche Aspekte mit einfließen.
Abbildungen
Der Band besitzt eine Fülle an Bildmaterial, das auf der einen Seite die Autorentexte und übrigen Quellen unterstützt und ergänzt, auf der anderen Seite aber auch als eigenständige Quelle dient, die es zu untersuchen gilt. Gerade das 20. Jahrhundert liefert eine Vielzahl an Fotografien, Abbildungen, Karikaturen etc. von denen das Autorenteam Gebrauch macht. Dadurch erlangen die Schülerinnen und Schülern einen tieferen Einblick in das Zeitgeschehen. Gleichzeitig ermöglicht es dem Lehrer, die kritische Auseinandersetzung mit historischem Bildmaterial zu schulen und somit auch auf die unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeiten von Bildern und Texten einzugehen.
Die Autoren finden im fünften Kapitel zum Thema „Völkermord und Kriegsverbrechen“ leider keine sinnvolle Ebene der Darstellung der Grausamkeiten: Es ist pädagogisch höchst fragwürdig, wie Schülerinnen und Schüler in der achten Klasse auf eine so große Bandbreite an Bildmaterial zu Massengräbern, Hinrichtungen und anderen Opferdarstellungen reagieren (S. 161, 166, 168, 174, 180). Bei einer solchen Vielfalt an Hinrichtungsszenen und Leichendarstellungen stellt sich die Frage, ob den Schülerinnen und Schülern einer achten Klasse ein realistisches und kritisches Bild zu diesen Taten vermittelt werden kann. Gerade durch den Massenkonsum von Medien im Alltag der Kinder und Jugendlichen wäre es hier ratsam gewesen, mit speziellen Aufgabenstellungen zur Interpretation von Gewalt-Bildern, an der Medienkompetenz der Schülerinnen und Schülern zu arbeiten. Leider gibt es kaum Hinweise zur Brutalität des Bildmaterials. Sie dienen als Mittel zum Zweck und die Schülerinnen und Schüler werden bei der Betrachtung und Interpretation zunächst sich selbst überlassen. Darüber hinaus ist es wohl in diesem Themenkomplex so gut wie unvermeidbar, sich auf schockierendes und erschreckendes Bildmaterial zu berufen. Dennoch bleibt es dabei: eine reduzierte und sensiblere Auswahl wäre angebrachter gewesen.
Fachwissenschaftliche Aspekte
Der Forschungsstand ist – im zu leistenden Rahmen eines Geschichtsbuches – auf der Höhe der Zeit. Entsprechend finden sich deutlich aktuelle und differenzierte Ansätze zu den historisch relevanten Betrachtungsebenen der Politik-, Sozial- und Weltgeschichte. Auch die in der letzten Zeit im Geschichtsunterricht immer mehr aufkommende Frage nach der geschlechtlich-historischen Rollenverteilung wird in dem Buch zu einen angemessen Anteil betrachtet. Allerdings wird die Genderthematik auf die Frauengeschichte eingeengt und greift demzufolge nur einen Themenkomplex auf: „Kinder, Küche, Kirche – die Welt der Frauen? (S. 15). Insgesamt schaffen es die Autoren, eine ausgewogene und differenzierte Darstellung anzubieten. Allerdings wäre der Gesamteindruck noch überzeugender gewesen, wenn die Autoren speziell bei den Kapiteln vier und fünf, mehr Rücksicht auf die europäische Sichtweise genommen hätten.
Die Geschichte des 2. Weltkrieges und der Kriegsverbrechen wird überwiegend aus deutscher Perspektive betrachtet. Es fehlen gesamteuropäische und globale Beispiele. Außerdem vermisst man zeitgenössische Eindrücke zu den jeweiligen Geschehnissen, um dem international auch heute noch sehr aktuellen Problem des Völkermordes und der Kriegsverbrechen gerecht werden zu können. Folglich wird den Schülerinnen und Schülern ausschließlich eine überwiegend deutsche Betrachtungsweise auf die Geschehnisse vermittelt und demzufolge die Verbindung zu aktuell-politischen Problemfeldern zum Thema Völkermord nur wenig vertieft.
Fazit
Nach näherer Betrachtung lässt sich „Expedition Geschichte 4“ als ein zeitgemäßes Geschichtsbuch bewerten, das altersgerecht historische Sachverhalte vermittelt. Leider sind dem Band trotz vieler löblicher und gelungener Ansätze gravierende Mängel anzukreiden.
Auf der einen Seite ist es positiv hervorzuheben, dass die Verfasser eine große und breite Auswahl an Quellen zu Verfügung stellen, diese wird aber auf der anderen Seite dahingehend redundant, da sie lediglich die Verfassertexte bekräftigen und somit nur höchst selten Kontroversität fördern. Das ist umso bedauerlicher, da die Autoren durchaus bemüht waren Kontroversität und Multiperspektivität zu berücksichtigen. Dies gilt aber leider nur für die dafür vorgesehenen Rubriken „Gewusst wie!“ und „Geschichte kontrovers!“. Ähnliches gilt auch für die Überschriften, die gelegentlich als Fragen formuliert werden. Es verwundert den Leser erneut, warum von dieser Methode nur sporadischen Gebrauch gemacht wird. Bedauerlicherweise fällt auch die oben erwähnte mangelhafte Sensibilität im Umgang mit gewalttätigem Bildmaterial negativ ins Gewicht. So wird der positive Eindruck doch erheblich geschmälert.