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Geschichte, Oberstufe, Gymnasium, Gesamtschule

Horizonte – Geschichte für die SII in Nordrhein-Westfalen

Horizonte – Geschichte für die SII in Nordrhein-Westfalen
Herausgegeben von Fieberg, Klaus et al.
Erschienen Braunschweig: Westermann, 2014
Seitenanzahl 259
ISBN 978-3-14-111341-9
Geeignet für Nordrhein-Westfalen
Rezensiert von Schnakenberg, Ulrich (Wissenschaftler), 23. Juni 2014

Rezension von Schnakenberg, Ulrich (Wissenschaftler)


Sobald die angekündigte digitale Version von Horizonte vorliegt, sollte man als Fachschaft Geschichte einmal mithilfe der Suchfunktion das Wort „heute“ nachschlagen: Formulierungen wie „Heute, im 21. Jahrhundert…“ (S. 92), „Wenn wir heute über … sprechen“ (S. 92), „Ein Blick auf die Skyline des heutigen Istanbuls…“ (S. 138) oder „Fragen wir heutzutage Menschen auf der Straße, was…“ (S. 162) tauchen in dem besprochenen Lehrwerk, insbesondere in den einführenden Darstellungstexten, weit mehr als ein dutzend Mal auf. Durch diese konsequente Herstellung von Gegenwartsbezügen gelingt es den Autoren des Bandes, gleich zu Beginn eines neuen Themas bei den Schülerinnen und Schülern Interesse zu wecken.

Neuer Kernlehrplan für die Sekundarstufe II
Mit Beginn des Schuljahres 2014/15 gilt in der Einführungsphase der Sekundarstufe II in Nordrhein-Westfalen der neue, kompetenzorientierte Kernlehrplan. Mit Horizonte legt der Westermann Verlag ein Geschichtslehrwerk vor, das in der 10. Klasse des Gymnasiums bzw. in der 11. Klasse der Gesamtschule eingesetzt werden kann. Das Buch deckt die drei obligatorischen „Inhaltsfelder“ des Kernlehrplans „Erfahrungen mit Fremdsein in weltgeschichtlicher Perspektive“; „Islamische Welt – christliche Welt: Begegnung zweier Kulturen in Mittelalter und Früher Neuzeit“ sowie „Menschenrechte in historischer Perspektive – Kampf um gleiche Rechte für alle?“ ab.
In einer kurzen Einführung wenden sich die Autoren direkt an die Lernenden: „HORIZONTE lädt Sie dazu ein, mehr über die Vergangenheit zu erfahren, sich mit Geschichte auseinanderzusetzen, sie zu diskutieren und zu eigenen Urteilen über Geschichte zu kommen.“ (S. 6). Diese Versprechen, soviel sei vorweggenommen, werden von den Schulbuchmachern auf überzeugende Weise eingelöst.

Layout und Struktur
Eine der großen Stärken des besprochenen Bandes – gerade auch im Vergleich mit Konkurrenzlehrwerken – ist seine klare Struktur. Das beginnt mit einem übersichtlichen Inhaltsverzeichnis, welches die drei Kapitel sowie die jeweiligen Unterkapitel (je drei pro Inhaltsfeld) sinnvoll gliedert. Da nicht nur die drei Inhaltsfelder, sondern auch die jeweiligen Unterkapitel mit einer eigenen Doppelseite eingeleitet werden, finden sich in Horizonte somit insgesamt zwölf „Auftaktdoppelseiten“. Werden diese im Kurs ausführlich bearbeitet und besprochen, sollte den Lernenden im Verlauf der Unterrichtsreihe jederzeit klar sein, wo sie sich gerade in der Geschichte befinden, was das Interessante an dem aktuellen Thema ist und welche Unterthemen in den nächsten Wochen behandelt werden.
Zu dem übersichtlichen Layout tragen darüber hinaus eigene Überschriften für jede Material(doppel)seite bei. Für das Unterkapitel „Die Darstellung der Germanen in römischer und deutscher Perspektive“ lauten diese z. B.: „Antike Quellen analysieren“, „Antike Quellen interpretieren“, „Antike Beschreibungen überprüfen“ und „Darstellungen und Quellen vergleichen“.

Verständliche Verfassertexte
Empirische Untersuchungen zum Schulbuchverständnis deutscher Schüler haben immer wieder gezeigt, dass ein Großteil der Lernenden durch ihre Geschichtsbücher kognitiv „krass überfordert“ ist.[1] Die Verfassertexte in Horizonte sind – angesichts der Vorgaben aus dem Kultusministerium notwendigerweise – zwar anspruchsvoll, zeichnen sich jedoch generell durch eine klare, verständliche Sprache aus. Relativ kurze Abschnitte und kurze bis mittellange Sätze kommen dabei einer zunehmend heterogeneren Schülerklientel entgegen.
Zugleich werden nur sehr wenige Fachbegriffe als bekannt vorausgesetzt, sondern stattdessen im Text erklärt. Vielleicht mag sich der ein oder andere Kollege an einer Formulierung wie „Der Zug nach Rom zur Kaiserkrönung gehörte fortan zum ‚Standardprogramm? der mittelalterlichen deutschen Könige“ stoßen (S. 78). Dieses Beispiel macht den Duktus der Autoren, denen es viel um wissenschaftliche Exaktheit, aber weniger um einen wissenschaftlich-abgehobenen Schreibstil geht, recht gut deutlich.

Lebensweltbezug
Neben den bereits eingangs erwähnten Gegenwartsbezügen ist den Herausgebern die möglichst häufige Herstellung von Bezügen zur Alltagssprache (S. 116) sowie zur Alltagskultur (u. a. Kinofilme und Computerspiele, vgl. etwa S. 126) wichtig. In diesem Zusammenhang haben die Verfasser zudem die zunehmende Diversität deutscher Klassenzimmer im Blick. Das Thema „Fremdsein, Vielfalt und Integration – Migration am Beispiel des Ruhrgebiets im 19. und 20. Jahrhundert“ z. B. wird durch die folgenden Sätze eingeleitet: „Podolski, Özil, Boateng, Gomez und Khedira. So lauten fünf deutsche Nachnamen.“ (S. 56) Der eigentliche Verfassertext auf der nächsten Doppelseite beginnt dann mit der Sentenz: „Blättert man heute im Telefonbuch einer beliebigen Ruhrgebietsstadt, so fallen viele polnisch klingende Namen auf.“ Auf den Folgeseiten wird dann u. a. anhand des aktuellen Beispiels des Regisseurs Fatih Akin die Erfolgsgeschichte von Menschen mit Migrationshintergrund dargestellt (S. 64).

Materialien: „Quellen auswerten“ und „Fachbegriffe anwenden“
Wie sehr den Verfassern die Herstellung von Gegenwartsbezügen am Herzen liegt, wird ebenfalls im Materialteil des Lehrwerks deutlich; gleichzeitig wurde auf eine multiperspektivische Zusammenstellung des Materials geachtet. Nachweislich sind es vor allem diese beiden Zugriffe auf Geschichte, welche die Schülerinnen und Schüler im historischen Unterricht noch am besten aktivieren.
Auch wenn man sich noch mehr multiperspektivische Quellen gewünscht hätte: Gute Beispiele dafür, wie man diese zentralen fachdidaktischen Prinzipien umsetzen kann, finden sich vor allem im Kapitel „Menschenrechte in historischer Perspektive“: Etwa, wenn die Lernenden die immer noch aktuelle Debatte um „westliche“ versus „asiatische“ Werte (S. 242f.) oder die Konsequenzen des NSA-Skandals (S. 249ff.) anhand unterschiedlicher Quellen und Positionen erörtern.
Positiv ist hier erneut die klare Struktur des Buches hervorzuheben. Zwar sind die Überschriften der einzelnen Materialseiten eher selten problemorientiert formuliert, sie zeigen jedoch bereits auf den ersten Blick, worum es in der Erarbeitung gehen soll. Drei Beispiele: „Otto der Große und das Reisekönigtum – ein Itinerar erstellen“, „Herrschaftsrepräsentation durch rituelle Handlungen – Quellen auswerten“, „Zweischwerterlehre – historische Fachbegriffe erläutern und anwenden“ (S. 84-86) oder „‚Heiliger Krieg – Begründungen für Krieg und Gewalt erörtern“ (S. 124).

Bezüge zur Gegenwart herstellen – durch Abbildungen
Die Auswahl der Abbildungen überzeugt durchweg. Auch hier gelingt es den Autoren, vor allem durch gut ausgewählte Fotos immer wieder geschickt Gegenwartbezüge herzustellen (insbesondere in den Kapiteln „Erfahrungen mit dem Fremdsein“ und „Islamische Welt – christliche Welt“). Angesichts der hohen Aktualität von Themen wie „Gastarbeiter“, „Integration“ und „Islam“ verwundert es, dass einige Konkurrenzlehrwerke die große Chance weitgehend vertun, die Lernenden durch ansprechende, Bezüge zu Alltag und Gegenwart herstellende Bebilderung zu motivieren.[2]

Kernkompetenz: Karten
Die Geschichtskarte ist eine Form der Abbildung, die in dem besprochenen Band besonders hervorsticht. Anders als kleinere Verlagshäuser ist Westermann nicht auf die Übernahme von anderswo angefertigten Abbildungen angewiesen, sondern verfügt über festangestellte Geographen, welche die Karten entsprechend der Wünsche der Schulbuchautoren im Hause anfertigen. Die Geschichtskarten in Horizonte kommen daher in einem einheitlichen „Look“ daher und sind außerdem eng auf die Inhalte der Verfassertexte abgestimmt.

Das Interview: Eine Form von Sekundärquellen
Schließlich betreten die Autoren verschiedentlich auch im Bereich der Darstellung Neuland. Während in traditionellen Lehrwerken Darstellungstexte zumeist in Form von Auszügen aus Büchern bekannter Historiker vorliegen, zeigt sich Horizonte im Gegensatz hierzu bemüht, publizistischen Texten einen höheren Stellenwert zukommen zu lassen. In ihrer knappen, oft zugespitzten Form sind diese für die Schülerinnen und Schüler in aller Regel zugänglicher als die klassischen Buchauszüge und eignen sich eher als Anknüpfungspunkte für eigene Sach- und Werturteile (Dies gilt ganz besonders für die Textgattung Interview; vgl. z. B. S. 197f.).
Lobenswert ist zudem die Entscheidung, einmal einen längeren Darstellungstext Heinrich August Winklers samt der Original-Fußnoten zu präsentieren (S. 136f.): Dies kann von der Lehrkraft zum Anlass genommen werden, wissenschaftspropädeutisches Arbeiten im Unterricht zu thematisieren.

Sinnvolle Arbeitsaufträge
Ganz wichtig für den Unterrichtspraktiker: Die Arbeitsaufträge sind durchweg sinnvoll formuliert. Zumeist wird eine größere Auswahl an Aufgaben angeboten, wobei jedem Material mindestens ein Arbeitsauftrag, meist sogar zwei oder drei, zugeordnet sind. Kleine Symbole weisen dabei auf die unterschiedlichen Anforderungsbereiche hin.[3] Besonders innovativ ist auch hier die Präsentation: So sind etwa den zwei Blöcken von Arbeitsaufträgen zum Thema Entdeckungsreisen jeweils eigene Überschriften vorangestellt: „1. Die Fahrt von Kolumbus nach Indien – Quelle“ (Aufgaben a-d) sowie „2. Die Fahrt von Kolumbus nach Indien – Deutungen“ (Aufgaben a-e, S. 51). Anhand der fettgedruckten Überschriften wird den Schülerinnen und Schülern unmittelbar deutlich, was das eigentliche, übergeordnete Ziel der nun folgenden, eher kleinschrittigen Aufgaben ist.
Weitere Beispiele für solche Überschriften, die jeweils einem bunten Strauß an unterschiedlichen und alle drei Anforderungsbereiche abdeckenden Aufgaben vorangestellt sind z. B.: „‚Kommt mit ins Ruhrgebiet!’ – Die Gründe für die Anwerbung beurteilen“ und „‚Germanisierung? der Polen – Eine Integrationspolitik bewerten“ (S. 63).

Unterstützungsangebote
Die seit geraumer Zeit im Geschichtsschulbuch etablierten Methodenseiten (in Horizonte als „Training“ bezeichnet) finden sich nicht, wie in älteren Büchern, am Ende des Lehrwerks, sondern sind eng mit den Sachinhalten verzahnt und werden mit ausführlichen Lösungsvorschlägen präsentiert. Neben den unverzichtbaren Fachmethoden „Interpretation von schriftlichen Quellen“ und „Analyse von Darstellungen“ finden sich auch neuere Unterrichtsmethoden wie das „Partnerpuzzle“ (S. 199) sowie eine sehr sinnvolle Einführung in die „Struktur-Lege-Technik“ (S. 247). Des Weiteren enthält das Buch (leider nur) eine Probeklausur mit Erwartungshorizont (S. 70f.) sowie jeweils am Ende der drei Kapitel einen Fragebogen zur Selbsteinschätzung.

Fazit
Angesichts einer auch an den Gymnasien zunehmend heterogener werdenden Schülerschaft sind die klare Struktur, die verständlichen Verfassertexte, das ansprechende Layout und die motivierenden Arbeitsvorschläge besonders hervorzuheben. Sehr sinnvoll sind in diesem Zusammenhang auch die im „Trainings“-Bereich angebotenen Formulierungshilfen für die Analyse von Quellen und Darstellungen (vgl. etwa S. 25 bzw. S. 88f.) – ein weiteres Alleinstellungsmerkmal des besprochenen Lehrwerks.
Ziel des Geschichtsunterrichts ist es heute, das „historische Denken“ zu fördern. Fachwissenschaftlich, fachdidaktisch und fachmethodisch auf dem aktuellsten Stand, bietet Horizonte beste Voraussetzungen, dass dieses Ziel im „real existierenden Unterricht“ auch tatsächlich erreicht wird.

[1]  Borries, Bodo von: Schulbuchverständnis, Richtlinienbenutzung und Reflexionsprozesse im Geschichtsunterricht, Neuried: Ars Una, 2005, S. 17; vgl. auch Henke Bockschatz, G.: Viel benutzt, aber auch verstanden? Arbeit mit dem Schulgeschichtsbuch, in: Geschichte lernen, H 116/2007, S 40 45.
[2] Vgl. vor allem Buchners Geschichte, Oberstufe, Einführungsphase, Ausgabe Nordrhein-Westfalen, hrg. v. Maximilian Lanzinner, Bamberg 2014.
[3] Dies erscheint dem Rezensenten sinniger als der Verweis auf die einzelnen Kompetenzbereiche, wie man es z. T. aus anderen Lehrwerken kennt. Die Lernenden interessieren die Kompetenzen aller Erfahrung nach eher wenig. Für die Handlungskompetenz gilt dies in besonderem Maße, da diese Kompetenz in Klausuren und dem Abitur praktisch nicht auftaucht.


Lizenz: CC BY-ND 4.0 Lizenz „Namensnennung – Keine Bearbeitungen 4.0 International“ (CC BY-ND 4.0)


Info Zitation Schnakenberg, Ulrich. Rezension zu: Horizonte – Geschichte für die SII in Nordrhein-Westfalen von Fieberg, Klaus et al. (Hg.). Braunschweig: Westermann 2014, ISBN 978-3-14-111341-9, Edumeres 2014, https://edu-reviews.edumeres.net/rezensionen/rezension/schnakenberg-ulrich-1/, zuletzt geprüft am 26.03.2024.