Geschichte, 7./8. Schuljahr, Gymnasium, Hauptschule, Realschule
Geschichte plus 7/8
Herausgegeben von | Koltrowitz, Bernd |
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Erschienen | Berlin: Cornelsen, 2008 |
Seitenanzahl | 320 |
ISBN | 978-3-06-110717-8 |
Geeignet für | Thüringen |
Rezensiert von | Wehrs, Ulrike und Christian Kühl (Studierende), 1. Juni 2009 |
Reihe | Geschichte plus |
Projekt | Christian-Albrechts-Universität Kiel, Wintersemester 2008/09 |
Rezension von Wehrs, Ulrike und Christian Kühl (Studierende)
Einleitung
Das Geschichtsbuch „Geschichte Plus“ ist für die siebte und achte Klasse an den Gymnasien des Bundeslandes Thüringen konzipiert. Es orientiert sich an dem Lehrplan von Thüringen, so dass alle dort verlangten Themenbereiche behandelt werden. Das Lehrbuch ist trotz des Paperback-Einbandes recht stabil (und dadurch für SchülerInnen nicht zu schwer) und auf insgesamt 320 Seiten qualitativ hochwertig und reich illustriert. Zusätzlich zu dem Lehrbuch werden ein Arbeitsheft und Handreichungen für den Unterricht mit Lösungen für das Arbeitsheft angeboten, die in der Rezension jedoch nicht behandelt werden. Im Nachfolgenden soll das Lehrwerk hinsichtlich fachdidaktischer, methodischer und fachwissenschaftlicher Kriterien untersucht werden. Hierzu wurden die Kapitel „Lebensformen im Mittelalter“, „Das Zeitalter der Entdeckungen“ sowie „Die Französische Revolution“ genauer, die restlichen Kapitel nur oberflächlich behandelt. Ein besonderes Augenmerk wurde auf das Prinzip der Multiperpektivität und der Schaffung von Gegenwartsbezügen gelegt.
Konzept
Bei „Geschichte plus“ handelt es sich um ein kombiniertes Lehr – und Arbeitsbuch, welches klar strukturiert ist. Der Einband enthält, leider an einer ungünstigen Stelle, nämlich am Ende des Buches, eine kurze Vorstellung des Konzepts, in der die Quellenkürzel knapp erklärt und die Stellung der Arbeitsaufträge aufgezeigt werden. Im Klappeinband selbst befindet sich ein Zeitstrahl, der grob die im Buch behandelten Kapitel einordnet. Das Inhaltsverzeichnis folgt einem klaren Aufbau. Hier finden sich die auf dem Zeitstrahl verwendeten Items wieder, Methodenseiten und Längsschnittsthemen sind farblich von den Querschnittsthemen abgehoben. Auf den Auftaktdoppelseiten, die farblich unterlegt sind und sich so deutlich von den anderen Seiten abheben, wird in das jeweilige Thema kurz eingeführt. Neben anschaulichem und motivierendem Bildmaterial findet sich Kartenmaterial ebenso wie ein in Politik, Kultur und Alltag gegliederter Zeitstrahl, der auf den Zusammenfassungsseiten wieder aufgegriffen wird. In den Kapiteln stehen Autorentext und Quellen gleichviel Raum einnehmend und aufeinander aufbauend nebeneinander. Teilweise werden in den Kapiteln sich sinnvoll auf die Materialien beziehende Methodenseiten eingeschoben. Neben einem Register schließt ein kurzes Glossar, welches die im Autorentext nicht erklärten Begriffe aufgreift, den Band ab.
Autorentexte
Die Autorentexte lassen ebenfalls einem klaren Aufbau erkennen. Nach einer kurzen Einleitung folgt meist eine Leitfrage, die in dem nachfolgenden Absatz geklärt wird. Dieser Aufbau ist für die SchülerInnen sowohl anschaulich als auch motivierend. Zudem bieten die jeweiligen Absätze, obwohl sie recht kurz gehalten sind, eine Fülle von didaktisch sinnvoll reduzierten Informationen, die auch dem Verständnis der Quellen dienen. Neu eingeführte Fachbegriffe, welche fett markiert und somit gut einzuprägen sind, werden entweder im Nachfolgenden geklärt oder im Glossar des Bandes aufgeführt. Diese Art der Veranschaulichung hilft den Lernenden, sich schnell im Text zurechtzufinden und dient ihm gleichermaßen als Lernhilfe. Die Autorentexte sind demnach in einem für die 7. und 8. Klassenstufe altersangemessenen und verständlichen Stil geschrieben.
Materialien
Im Zusammenspiel mit dem Autorentext kommen unterschiedliche Materialien zum Einsatz. Unter den Darstellungen finden sich so neben Karten auch Fotos von historischen Stätten und Gegenständen, darstellende und schematische Zeichnungen, zeitgenössische Bilder, Tabellen und Diagramme, die durch unterschiedliche Hintergrundfarben und Kürzel leicht voneinander zu unterscheiden sind. Die Auswahl erscheint sinnvoll und durch die Vielfalt der Bildquellen motivierend. Dies wird durch die stets angemessene Größe der Darstellungen unterstützt, so dass auch wichtige Details erkennbar bleiben. Lediglich die Bildnachweise können einige Schwierigkeiten bereiten. Diese befinden sich am Ende des Schulbuches gesammelt auf der letzten Seite. Dabei sind sie nach den Fundorten geordnet, was das Auffinden einzelner Bildnachweise erheblich erschwert. Die Erklärung zum Konzept der Auflistung fehlt. Somit ist die Auflistung der Bildnachweise für SchülerInnen denkbar schlecht organisiert, auch wenn er den üblichen Vorgaben folgt.
Die schriftlichen Quellen wurden ebenfalls aus vielfältigen Gattungen ausgewählt, so dass Ausschnitte aus Chroniken, amtlichen Urkunden, Reden und zeitgenössischen Schriften verwendet werden. Die angestrebte Multiperspektivität wird durch verschiedene Blickwinkel der unterschiedlichen Quellen unterstützt. Die Länge der Quellen ist hierbei der Klassenstufe angemessen. Am Ende jeder schriftlichen Quelle wird schließlich die vollständige Literaturangabe genannt. Eine Besonderheit stellen die Erzählungen dar. Sie lassen fiktive Zeitzeugen zu Wort kommen, die meist nur ihre Tätigkeit oder Zustände ihrer Zeitepoche und Ähnliches beschreiben. Hierbei kann man sich an mancher Stelle eines Verdachts der Lenkung der Lernenden nicht erwehren. Trotzdem ist das Verwenden der Geschichtserzählung meist gut platziert und sinnvoll eingebunden.
Aufgabenstellungen
Die Aufgaben sind klar und verständlich formuliert, berücksichtigen jedoch weniger den Autorentext als das Quellenmaterial. Sie sind in Hinblick auf die Förderung des Textverständnisses gestellt („erkläre“, „fasse zusammen“, „arbeite heraus“) und fordern die SchülerInnen auf, kritisch weiterzudenken („vergleiche“, „überprüfe“, „stelle Vermutungen an“, „beurteile“). Ein Problematisierungszusammenhang als aufbauender Lösungsweg der Fragen ist nicht immer klar erkennbar, doch lassen sich viele Fragestellungen mit Gegenwartsbezug finden, wenn die Lernenden z.B. in ihrer näheren Umgebung Überreste aus dem Mittelalter suchen oder Erfahrungen und Einsichten auf heutige Situationen übertragen sollen. Auch können sie des Öfteren Rollen annehmen und zum Beispiel ein Streitgespräch zwischen Indio und Europäer führen oder die Königswahl Ottos I. darstellen. Anleitungen dazu finden sie in den Methodenseiten, in denen nacheinander in die Arbeitsschritte eingeführt wird und Hilfen bzw. konkrete anleitende Fragstellungen gegeben werden.
Fachwissenschaftliche Aspekte
Das im Schulbuch angebotene Themenspektrum ist den heute durch die Fachwissenschaft betrachteten Fragestellungen weitestgehend angepasst. Es werden sowohl Bereiche aus Politik, Wirtschaft und Lebensumwelt als auch Längsschnittsthemen und der Einfluss „unterer Gesellschaftsschichten“ auf die Entwicklung der Geschichte behandelt. Auch die Geschichte der Emanzipation, zum Beispiel im Unterkapitel „Frauen in der Revolution – Kampf um Gleichberechtigung“, wird berücksichtigt. Leider wird auf die Geschlechterrollen in unterschiedlichen Zeiten nicht vertieft eingegangen, was jedoch auch vom Lehrplan Thüringens nicht verlangt wird. An einigen Stellen wird die Geschichte europaferner Kulturen eingebracht, zum Beispiel wird die Geschichte von China auch vor dem Zusammentreffen mit den Europäern erklärt. In dem Kapitel „Entkolonialisierung“ werden Probleme der ehemaligen Kolonialstaaten dargestellt, jedoch werden Fragen, die durch die „Postcolonial Studies“ aufgeworfen wurden, nicht erneut aufgegriffen. So wird eine wechselseitige Beeinflussung der Parteien nicht behandelt. Insgesamt sollte aber betont werden, dass der Themenschwerpunkt nicht ausschließlich auf die europäische Geschichte gelegt wird.
Nachteilig ist jedoch vor allem, dass das Konzept des Schulbuches an keiner Stelle offen gelegt wird, so wie auch eine erklärende Einleitung fehlt.
Fachdidaktische Aspekte
„Geschichte plus“ bietet eine abwechslungsreiche Vielfalt an Unterrichtskonzepten. Sowohl Multiperspektivität, Handlungsorientierung, das Konzept der Personifizierung, interkulturelles Lernen als auch Gegenwartsbezüge werden angesprochen.
Das Konzept der Multiperpektivität wird besonders gut im Kapitel zur Französischen Revolution dargestellt. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, dass die SchülerInnen ausreichend Informationen über die zu behandelnden Gruppierungen erhalten. Diese können sie hier dem zahlreichen und vielfältigen Quellenmaterial und dem Autorentext entnehmen. Ein Impuls wird den Lernenden in der Überschrift „Sommer 1789 – eine oder drei Revolutionen?“ gegeben, nachdem vorher bereits verschiedene Gruppen aufgeführt wurden, nämlich Bauern, Geistlichkeit/Adel und Bürger. Zusätzlich dazu wird die Rolle der Frauen beleuchtet.
Bei der Handlungsorientierung liegt die Schwierigkeit darin, dass die SchülerInnen im Geschichtsunterricht im Gegensatz zu anderen Fächern kaum Primärerfahrungen machen können. Die AutorInnen haben dieses Problem geschickt gelöst. In den Methodenseiten werden verschiedene Arten der Projektarbeit aufgezeigt, die den Lernenden Möglichkeiten bieten, zu recherchieren und zu forschen, Erkundungen z.B. in der näheren Umgebung durchzuführen und historische Erkenntnisse in eigenen Produkten zu präsentieren. So können sie Bauwerke oder mittelalterliche Figuren untersuchen, Rollenspiele spielen und ihre eigene Wandzeitung herstellen. Erlebbare Geschichte ist für SchülerInnen sowohl spannend als auch motivierend, bricht man doch aus dem normalen Schulalltag aus.
Auch weichen die AutorInnen von dem überholten Prinzip der Personalisierung der Geschichte, also einer Geschichte, die quasi nur aus „Taten großer Männer“ besteht, zugunsten einer Personifizierung ab. Hier wird versucht, Gruppen von Menschen, die man nur generalisierend beschreiben kann, ein Gesicht zu geben. Ein Beispiel hierfür ist z.B. die Erzählung „Uns wird erzählt – Page, Knappe, Ritter“. Den Lernenden wird sowohl die Ausbildung eines Knaben zum Ritter aufgezeigt, als auch in der dazugehörigen Aufgabenstellung ein Gegenwartsbezug zur ihrer heutigen Lebenswelt geknüpft. Autobiographische Schriften können auf sie besonders motivierend wirken, selbst wenn es sich wie hier um eine erdachte Quelle handelt. Dabei muss die Lehrkraft der Klasse jedoch auch die Schwierigkeit fiktiver Quellen aufzeigen. Gerade im Bereich der Alltags-, Kultur- und Mentalitätsgeschichte gibt es kaum Überlieferungen, da „einfache Menschen“, wie eben hier der Knappe, nur selten Zeugnisse hinterlassen haben. Eine Erzählung wie das Material „Uns wird erzählt“ muss differenziert betrachtet werden, da die behandelte Figur zugleich einen bestimmten Typ einer Gruppe repräsentiert. Die Arbeit mit fiktiven Quellen bietet gleichermaßen aber auch die Chance, Perpektivität von Geschichte aufzuzeigen, wenn SchülerInnen in Geschichtsbüchern z.B. nur „Herrschaft von oben“ kennen lernen und selbst eine „Gegenstimme von unten“ in Form einer fiktiven Quelle entwickeln sollen.
Das Prinzip des Fremdverstehens wurde dagegen nicht ganz so gut ausgearbeitet. Erfahrung von Alterität und das Verständnis für andere Wertvorstellungen und Denkweisen gehen mit Selbstverstehen Hand in Hand. Es ist wichtig, dass den Lernenden verdeutlicht wird, dass zeitliche Entfernung auch kulturelle Andersartigkeit bedeutet. In diesem Zusammenhang ist es ebenso wichtig, andere Kulturen auch aus nicht-europäischer Sicht zu beleuchten. Dies ist dem Autorenteam in dem Kapitel „Eine neue Welt“ leider nur mäßig gelungen. Es werden zwar z.B. die Beweggründe der Europäer erläutert, neue Handelswege zu erkunden, jedoch die Erfahrungen, welche die beiden Kulturen miteinander machen, nur einseitig behandelt, denn in dem Unterkapitel „Aus der Neuen Welt wird Lateinamerika“ werden nur Quellen angeführt, welche die Ureinwohner in vielerlei Hinsicht als Opfer darstellen. Verstärkt wird dieser Eindruck noch durch die Aufgabenstellungen. Sicherlich muss beachtet werden, dass kulturelle Anpassung zumeist nicht aus freien Stücken, sondern durch Eroberung, wirtschaftliche oder politische Dominanz geschah. Aber es gab auch Momente von gegenseitigem kulturellen Austausch, die es ebenso wert sind, beleuchtet zu werden. Zum Beispiel wäre es möglich die Herkunft der Kartoffel zu nennen. Da sie auch heute noch ein sehr wichtiges Nahrungsmittel für die Welternährung darstellt und somit im direkten Lebensumfeld der SchülerInnen eine wichtige Rolle spielt, wäre sogar eine weitere Vertiefung denkbar. Mag es in diesem Zusammenhang schwierig sein, passendes Quellenmaterial aufzufinden, so hätte es wenigstens eine Aufgabenstellung geben können, die z.B. das Aufeinandertreffen der Europäer und der Indios aus beider Völker Sicht behandelt. Der Opferritus der Azteken mag beispielsweise ebenso erschreckend für die Spanier gewesen sein, wie die Rüstung und die Waffen der Spanier erschreckend für die Azteken waren. Auch hätten die AutorInnen noch einmal aus dem vorherigen Kapitel aufgreifen können, dass die Reiche der Azteken und Inka ebenso durch Unterwerfung, nämlich durch die der Nachbarvölker, entstanden sind.
Fazit
Insgesamt ist „Geschichte Plus“ ein praktisches Lehr- und Arbeitsbuch. Die sehr klare Strukturierung des gesamten Buches erleichtert die Arbeit mit diesem, da an keiner Stelle Probleme durch einen missverständlichen Aufbau entstehen können, und die immer wieder eingeschobenen Methodenseiten geben sowohl der Lehrkraft als auch den Lernenden Hilfestellungen für den Unterricht und darüber hinaus. Gerade die in Bezug auf Verständlichkeit und Länge angemessenen Autorentexte und der gute, mit den Aufgaben kombinierte Einsatz der Bildmaterialien und Quellen können insgesamt durch ihre motivierende Wirkung überzeugen. Ebenfalls wird der fachwissenschaftliche Anspruch an ein Schulbuch trotz der genannten Probleme gut erfüllt. Ein Gebrauch dieses Buches im Unterricht kann demnach lohnend gestaltet werden.