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Geschichte, Oberstufe, Gymnasium

Anno 11/12

Anno 11/12
Herausgegeben von Bahr, Frank
Erschienen Braunschweig: Westermann, 2010
Seitenanzahl 464
ISBN 978-3-14-110999-3
Geeignet für Sachsen
Rezensiert von Wiest, Cordula und Nina Durchholz (Studierende), 5. Mai 2010
Projekt Christian-Albrechts-Universität Kiel, Sommersemester 2009

Rezension von Wiest, Cordula und Nina Durchholz (Studierende)


Überblick
Beim Schulbuch „Anno 11/12“ handelt es sich um ein Lehrwerk, das für die  Sekundarstufe 2 des Gymnasiums in Sachsen konzipiert ist. Es richtet sich insoweit nach dem sächsischen Lehrplan für das Fach Geschichte von 2004/2007. Das Buch hat einen stabilen Einband und die einzelnen Seiten halten gut den Belastungen des täglichen Gebrauchs stand. Vom Druckbild her sind Texte und Bilder übersichtlich gestaltet und strukturiert. Begleitmaterial zu diesem Werk ist nicht vorhanden.

Aufbau
Das Buch ist in vier Lernbereiche untergliedert, wobei die Themen weitestgehend mit denen im Lehrplan übereinstimmen. Folgende Themenbereiche werden behandelt: „Wirtschaftlich und politisch prägende Faktoren des 19. Jahrhunderts in Deutschland“, „Demokratie und Diktatur – Anspruch und Wirklichkeit von Gesellschaftsmodellen im 20. Jahrhundert“, „Herausforderung Frieden – Die Suche nach dauerhaft friedlichem Zusammenleben im 20. Jahrhundert“, „Formen von Geschichtskultur und Identitätsbildung“. Jeder Lernbereich ist wiederum in verschiedene Unterkapitel gegliedert, die ihrerseits nochmals unterteilt sind. An die meisten Unterkapitel schließt sich ein Vertiefungsbereich mit dem Titel „Fragen an die Geschichte“ an. Bei diesen „Fragen“ handelt es sich um eine übergreifende Fragestellung, die vom Aufbau her den anderen Kapiteln gleichkommt.

Jeder Lernbereich wird durch eine farblich gekennzeichnete Doppelseite eingeleitet, wobei sich auf der linken Seite ein großes Bild befindet, auf das in den einleitenden Sätzen der rechten Seite näher eingegangen wird. Jedes einzelne Thema wird durch einen Autorentext eingeleitet, der durch Quellen ergänzt wird. Am Ende jedes Kapitels findet sich ein Aufgabenteil mit verschiedenen Fragen und Arbeitsaufträgen, die mit Hilfe des Autorentextes und der Quellen bearbeitet werden sollen.

Längere Autorentexte werden durch Abschnitte gekennzeichnet, und durch die Zwischenüberschriften wird eine schrittweise Erarbeitung ermöglicht.

Es fällt auf, dass zu Beginn des Schulbuches ein einleitendes Vorwort der Autoren nicht vorhanden ist. Insofern hat man sowohl als Lehrer als auch als Schüler keine Möglichkeit, die didaktischen Intentionen der Herausgeber nachzuvollziehen. Aufbau und Konzeption muss sich der Bearbeiter ebenfalls selbst erschließen.

Insgesamt überzeugt das Schulbuch mit einem klar strukturierten Aufbau und folgt innerhalb der Lernbereiche einem chronologischen Prinzip. Ergänzungen hierzu finden sich in zwei sogenannten „Exkursen“ zu den Themen „Freiheit und Gleichheit – feindliche Schwestern?“ und „Terrorismus“.

Hinsichtlich der Chronologie ist am Anfang des Schulbuches eine Abweichung zu bemerken, da mit der „Industriellen Revolution und Sozialen Frage“ begonnen wird und erst im Anschluss die „Französische Revolution“ folgt. Diese Reihenfolge ist jedoch vom Lehrplan vorgegeben.

Ein mehrere Seiten umfassender Anhang bietet ein alphabetisch geordnetes Stichwortregister, des Weiteren ein Register, das die wichtigsten historisch-politischen Grundbegriffe erläutert sowie ein 12 Seiten umfassendes Überblickskapitel zu „Arbeitstechniken und Methoden“ der Geschichtswissenschaft. Dabei werden sämtliche Quellenarten (Schriftliche Quelle, Bildquelle, Karikatur, Statistik, Karten etc.) näher beleuchtet. Zunächst wird die Quellenart beschrieben, dann werden dem Lernenden „Leitfragen“ zur korrekten Erschließung und Interpretation an die Hand gegeben und zuletzt können diese Punkte an einem Beispiel nachvollzogen werden. Dieses Methodentraining trägt dem Erfordernis Rechnung, dass der Schüler in das historisch-wissenschaftliche Arbeiten eingeführt werden soll.

Autorentext                              
Der Autorentext ist verständlich und klar formuliert. Auffällig ist jedoch, dass innerhalb der Autorentexte nicht selten Ereignisse und Schlussfolgerungen in so prägnanter Weise geschildert werden, dass es für die Schülerinnen und Schüler schwierig sein dürfte, sich eine eigene Meinung zu bilden. Beispielsweise ist der Autorentext auf S. 113 stark wertend, wenn von „Bismarck als dem überragenden deutschen Staatsmann“ die Rede ist. Außerdem wirkt auf S. 139 der Autorentext sehr konstruiert. In ihm wird der 9. November als ein „Schlüsseltag“ des gesamten 20. Jahrhunderts gedeutet, da erstens die Revolution in Berlin am 9.11.1918 als Folge der Kriegsniederlage stattfand, zweitens am 9.11.1923 Hitlers Putschversuch fehlschlug, drittens der 9.11.1938 der Tag der Reichspogromnacht war und schließlich am 9.11.1989 die Mauer fiel. Es ist nicht nachzuvollziehen, inwieweit diese Aneinanderreihung von Ereignissen des 9. Novembers den Lernenden voranbringt. Ihm werden dadurch keine historischen Zusammenhänge vermittelt und der didaktische Nutzen lässt sich nicht erkennen.

Quellen
Sämtliche Quellen sind als solche gekennzeichnet. Allerdings beträgt das quantitative Verhältnis zum Autorentext ein Drittel zu zwei Drittel und nicht, wie gefordert, ein Verhältnis von zwei zu eins. Positiv anzumerken ist die Vielseitigkeit der unterschiedlichen angebotenen Quellengattungen. So sind Fotos, Karikaturen, Schaubilder, Zeitzeugenberichte, Briefe, Interviews, Einschätzungen von Historikern, Wahlplakate und zeitgenössische Kunstgemälde abgebildet, die zum Teil farbig ansprechend ausgestaltet sind. Hinsichtlich des Kartenmaterials fällt sehr positiv auf, dass es übersichtlich und auf das Wesentliche beschränkt gestaltet wurde. Leider kommt es teilweise vor, dass die entsprechenden Quellen nicht immer mit Leitfragen zur Bearbeitung versehen sind, obwohl die Quellen an sich sinnvoll ausgewählt wurden und eine gute Möglichkeit bieten würden, übergreifende Fragen zu wiederholen und zu vertiefen. So ist bei den Karikaturen auf den Seiten 109 und 111 kein Arbeitsauftrag formuliert, der sich direkt auf diese Quellen bezieht. Auch die Fotografie des Marx-Engels-Denkmals auf S. 30 ist in die Aufgabenstellungen nicht eingearbeitet und scheint mehr der Illustration zu dienen.

Aufgabenstellungen
Die Aufgabenstellungen sind zumeist verständlich und klar formuliert und arbeiten insoweit mit den gängigen Operatoren. Der Bearbeitung zugrundeliegende Texte und Quellen sind farblich abgesetzt, so dass leicht ersichtlich ist, mit welchen Quellen und Textpassagen gearbeitet werden muss. Alle Aufgaben befinden sich am Ende eines jeweiligen Kapitels. Die Aufgabenstellungen orientieren sich grundsätzlich an den drei Anforderungsbereichen, nämlich der Sachanalyse, des Sachurteils und des historischen Werturteils. Zum Beispiel wird auf S. 154 bei den Aufgaben zur Weimarer Verfassung zunächst nach der Durchbrechung der Macht des Parlaments gefragt, was als Sachanalyse zu bezeichnen ist, dann nach den Unterschieden zwischen Grundgesetz und Weimarer Verfassung und der Beurteilung der Kritik der linken Seite gefragt. Somit wird ein Sachurteil gefordert. Schließlich soll in den letzten drei Fragen historisch gewertet werden, wenn nach dem Parteienspektrum gefragt wird und ein Vergleich zu 1933 und der Bundesrepublik gezogen werden soll. Methodisch zielen die Aufgabenstellungen auf eine herkömmliche Einzelerarbeitung. Auf alternative Sozialformen und Handlungsmuster wird nicht verwiesen. Lediglich bei den „Fragen an die Geschichte“ findet sich teilweise der Arbeitsauftrag „Diskutieren Sie…“.

Schwerpunktsetzung
Hinsichtlich der inhaltlichen Schwerpunktsetzung ist erstaunlich, dass im Lernbereich über die „Industrielle Revolution und Soziale Frage“ England und seine Vorreiterrolle fast nicht thematisiert werden, sowohl im Autorentext als auch in den Quellen. Es erscheint fraglich, ob Englands Bedeutung, auch wenn sie umstritten ist, völlig vernachlässigt werden sollte. Lediglich eine Karte Europas informiert über Bodenschätze und Industrie, aus der Englands Rolle zu erschließen sein könnte. An dieser Stelle ist es wieder besonders hinderlich, dass die Autoren auf eine Einleitung verzichtet haben, in der sie ihre Vorgehensweise und Auswahl hätten begründen können.

Auffällig ist außerdem, dass der „Sturm auf die Bastille“ nicht im Kontext der Französischen Revolution thematisiert wird, sondern lediglich in einem ganz anderen Zusammenhang, der Mythologisierung, die erst im vierten Lernbereich auftritt. Thematisch erwartet man die Darstellung des Verlaufs der Revolution im ersten Lernbereich unter dem Titel „Von der Französischen Revolution bis zur Revolution von 1848“. Generell ist außergewöhnlich, dass das gesamte Thema der „Französischen Revolution“ auf zwei Seiten abgehandelt wird. Dabei wird aber nicht auf den Verlauf eingegangen, sondern sie wird als Ausgangspunkt für die weiteren Revolutionen betrachtet. Obwohl der „Französischen Revolution“ eine wichtige Bedeutung zugemessen wird, werden Ursachen und Verlauf nur äußerst knapp behandelt und die Nachwirkungen der Revolution, die auf den folgenden Seiten behandelt werden, erscheinen dadurch nur schwer verständlich.

Angebote für den Wahlpflichtbereich sind nur teilweise vorhanden. Es sind insgesamt mehr Wahlpflichtthemenangebote für den Grundkurs als für den Leistungskurs vorhanden. Für den Grundkurs sind von den sechs Wahlpflichtthemen des Lehrplans fünf Themen wiederzufinden. Lediglich die „Rezeptionsgeschichte am Beispiel einer historischen Person oder eines Ereignisses“ wird vermisst. Für den Leistungskurs sind einige Wahlpflichtthemen zu finden, allerdings fehlen Themenbereiche zu „Entkolonialisierung und Folgekonflikten“ sowie zur „Politischen Partizipation in den USA“. Insgesamt entsteht der Eindruck, dass mehr die nationale Geschichte als trans- oder supranationale Themen in den Blick genommen wird. So findet sich im Kapitel „Der Zweite Weltkrieg“ (S. 326-333) zwar innerhalb der chronologischen Übersicht die Erwähnung von Ereignissen in Asien, jedoch nicht innerhalb der Quellen. Es ist schade, dass gerade im Wahlpflichtbereich die geschichtlichen Entwicklungen in Asien, Amerika und Afrika kaum behandelt werden. Gerade Ausblicke, die bestimmte Themen vertiefen könnten, würden sich im Wahlpflichtbereich anbieten. Auch innerhalb des Kapitels zum Ersten Weltkrieg findet sich nur eine „deutsche oder europäische Sichtweise“ (S. 306-325).

Einbindung neuer Medien
Weitergehende Hinweise auf Internetseiten, die dem Schüler die Anregung zur selbstständigen Vertiefung eines Themas geben könnten, fehlen. Lediglich im Einband findet sich ein Hinweis auf eine kommentierte Linksammlung des Verlages, die aber keinen Bezug zum Schulbuch hat. Auch eine CD-Rom mit Begleitmaterial wie Tonaufzeichnungen, Filmausschnitten etc. existiert bisher nicht.

Fazit   
                                                       
Positive Aspekte im Lehrwerk „Anno 11/12“  sind die klare Kapitelstruktur sowie die Auswahl der Quellen. Auch die „Fragen an die Geschichte“ bieten eine gute Möglichkeit zur eigenständigen Vertiefung und zur Schwerpunktsetzung, so dass anhand dieser Fragen und den aufgeworfenen Problemen der Gegenwartsbezug ersichtlich wird. Auch der Anhang mit den Definitionen der historisch-politischen Grundbegriffe bietet eine sinnvolle Möglichkeit zum eigenständigen Nachschlagen. Kritisch angemerkt werden muss, dass die Autoren ihr didaktisches Konzept nicht erläutern und das der Verlag auf die Unterstützung der neuen Medien vollständig verzichtet.