Erdkunde, Oberstufe, Gymnasium
Seydlitz / Diercke Geographie
Herausgegeben von | Bauer, Jürgen und Wolfgang Gerber |
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Erschienen | Braunschweig: Schroedel Westermann, 2010 |
Seitenanzahl | 272 |
ISBN | 978-3-14-151066-9 |
Geeignet für | Sachsen |
Rezensiert von | Höweling, Sybille (Lehrerin), 1. Dezember 2011 |
Rezension von Höweling, Sybille (Lehrerin)
Ein durchs All fliegender Satellit blickt auf den – auf der Titelseite des Lehrbuchs grünen – Planeten Erde. Eine Küstenlinie ist erkennbar und verschiedene Wolkenformationen, der Ausschnitt der Erdoberfläche ist jedoch schwerlich zu verorten. Welche Möglichkeiten Satellitenaufnahmen bieten, zeigt erst die Aufmacherseite (S. 3) „Die Erde bei Tag und bei Nacht“: Die zwei multitemporalen Erddarstellungen aus den Spektralkanälen des sichtbaren Lichts zeigen einen wolkenfreien Planeten. Anstatt eines Vorworts des Moderators sind sie gemeinsam mit dem sich anschließenden Inhaltsverzeichnis die einzigen Anhaltspunkte für das zugrundeliegende Konzept des Lehrwerks und lassen auf eine deduktive Aufarbeitung schließen.
Das inhaltlich dicht gestaltete Lehrwerk „Geographie“ für die gymnasiale Oberstufe in Sachsen orientiert sich in seiner Gliederung und den aufgegriffenen Themenschwerpunkten am Lehrplan des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus: In nahezu identischer Reihenfolge werden die Lehrplaninhalte aufbereitet und durch zusätzliche Lerngegenstände ergänzt. Der Strukturierungsfunktion von Lehrwerken kommt dieses Buch in vorbildlicher Weise nach. Zum Lehrwerk liegt auf der Homepage des Verlags zudem der Vorschlag eines Stoffverteilungsplans kostenlos zum Download bereit. Dieser leistet die Verknüpfung von Lernbereichen des Lehrplans mit den entsprechenden Seiten des Lehrbuchs und passenden Diercke Atlaskarten. Weiterhin ist zum Lehrwerk ein Lösungsband verfügbar, welcher bei der Erstellung dieser Rezension jedoch nicht vorlag.
Aufbau und Gestaltung
Der Einstieg in jedes der zehn Kapitel erfolgt mittels einer doppelseitig gedruckten, großformatigen Fotografie bzw. Collage inklusive erklärender Bildunterschrift und Kapitelüberschrift. Das Ziel derartiger Motivationsseiten ist die Problemorientierung, welche jedoch nicht nur durch die Bildunterschriften eine Einschränkung erfährt. Auch der Bildinhalt steht z. T. einer tragfähigen Problematisierung des Themas im Weg (z. B. S. 6f.), zumal nicht alle Fotos bzw. Bildinhalte innerhalb des jeweiligen Kapitels wieder aufgegriffen werden (z. B. S. 68f., Kap. 3). An die Motivationsseite schließen sich Arbeitsseiten an, wobei weitestgehend konsequent das Konzept der thematischen Doppelseite eingehalten wurde. Das Buch enthält keine Übungsseiten; Aufgaben befinden sich zumeist auf den Arbeitsseiten.
In die Kapitel integriert wurden Kästen, die entweder Methoden oder Geo-Exkurse enthalten. Die Methodenkästen lassen eine Fokussierung auf mehr oder weniger fachspezifische Methoden (Auswertung einer Wetterkarte (S. 54) aber auch Podiumsdiskussion (S. 212) erkennen. Allerdings wird die Auswahl und Anordnung der vorgestellten Methoden nicht deutlich. So ist die Interpretation von Klimadiagrammen im Kapitel 6 „Landschaft als System“ eingeordnet, nicht im Kapitel 2 „Atmosphärische Prozesse“. Fraglich ist auch, warum auf die Interpretation von Klimadiagrammen eingegangen wird, nicht jedoch auf die Interpretation von Bevölkerungspyramiden; was ein wichtiger Bestandteil von Kapitel 8 „Bevölkerungsentwicklung und Verstädterung auf der Erde“ wäre.
Noch weniger erschließt sich die Bedeutung der Geo-Exkursseiten: Kaleidoskopartig werden sowohl Raumbeispiele (S. 25), Erkundungsaufträge (S. 29), theoretische Modelle (S. 99) als auch Grundlagen (S. 163) abgehandelt. Eine Abschluss- bzw. Ergebnisseite, die wichtige Inhalte zusammenfasst und/oder einen Transfer erworbener Kenntnisse ermöglicht, fehlt sämtlichen Kapiteln. Zum Teil wird die Transferfunktion durch oben beschriebene Geo-Exkurse ermöglicht.
Zur Gliederung des Inhalts verfügt das Buch über ein übersichtlich strukturiertes Inhaltsverzeichnis, in welchem Methodenkästen und Geo-Exkurse hervorgehoben sind. Des Weiteren befindet sich im Anhang ein Register, welches jedoch für den inhaltlichen Umfang des Buches und die angesprochene Zielgruppe umfangreicher sein könnte. Wichtige Fachbegriffe, die im Buch eine Rolle spielen, sind im Register nicht aufgeführt (z. B. Höhenstufe, Wirbelsturm oder Vegetationszone). Schließlich sind am Vorderschnitt des Buches zehn grüne, stufenartig gedruckte Handmarken angebracht, die das Auffinden der einzelnen Kapitel erleichtern. Die Handmarkenfelder enthalten jedoch wider Erwarten weder Seitenzahlen noch sonstige Ordnungselemente.
Als Grundfarbe des Layouts wurde Grün gewählt. Neben dem Titelbild sind die Nummerierung der Abbildungen, die Rahmung der Geo-Exkurse und Methoden als auch anderer Kästen grün gehalten. Darüber hinaus werden für den Hintergrund von Diagrammen, Abbildungen und einzelnen Textkästen die Farben Gelb, Beige und Grau eingesetzt, wobei keine Systematik zu erkennen ist. Ebenso wenig nachvollziehbar ist die Wahl verschiedener typographischer Mittel sowie die Konsequenz ihrer Umsetzung: Nur in wenigen Kapiteln werden einzelne Fachbegriffe fett und/oder in serifenloser Schrift gedruckt; nicht alle Aufgaben sind nummeriert und in serifenloser Schrift gedruckt; nicht alle Zitate sind kursiv hervorgehoben.
Die Qualität der Karten und Diagramme ist gut und sehr gut, sowohl hinsichtlich der farblichen Gestaltung als auch der Lesbarkeit. Anders verhält es sich mit der Qualität der Fotografien: Neben hochwertigen, also scharfen und kontrastreichen Fotos (S. 42) befinden sich vor allem in Kapitel 7 „Analyse der Raumnutzung in Landschaftszonen“ zahlreiche Fotos von schlechterer Qualität (S. 176). Der übersichtliche und einheitliche Eindruck, den das Lehrwerk auf den ersten Blick vermittelt, hält einer näheren Untersuchung nicht stand. Es wird deutlich, dass, obgleich 2008 als Erscheinungsjahr des Lehrbuches angegeben ist, einzelne Abschnitte auf ältere Auflagen, auch aus anderen Bundesländern zurückgehen und die Integration zu einem neuen Lehrwerk nur oberflächlich gelungen ist.
Autorentexte
Die Qualität der durchgehend sachrichtigen Autorentexte unterliegt einer ebenso ausgeprägten Qualitätsschwankung wie die der Fotos. Beim Einsatz einzelner Texte des Lehrbuchs im Grundkurs beschwerten sich Schülerinnen und Schüler nicht grundlos über kaum verständliche Formulierungen: Kommen auf ein halbe Seite Text ca. 60 Fachbegriffe, Fremdwörter, Einheiten und Ausdrücke der chemischen Symbolsprache, betrifft dies ca. jedes fünfte Wort (S. 34). Zudem ist die unangemessene Länge der Sätze über weite Teile des Buches zu bemängeln. Diese Informationsdichte erscheint mehr einem Grundstudium angemessen als der schulischen Ausbildung.
Dem gegenüber enthält das Buch jedoch auch Autorentexte, die die Balance zwischen fachlicher Exaktheit und zielgruppengemäßer Darstellung wahren (S. 244). Auffällig ist die geringe Verknüpfung von Texten, Fotos, Karten und sonstigen Abbildungen. Nicht durchgehend wird im Text auf die zur Verfügung stehenden Materialien verwiesen, so dass die einzelnen Inhalte z. T. zusammenhanglos nebeneinander stehen (S. 198f.).
Repräsentation und Motivation
Das Lehrwerk kommt durch die eingesetzten Medien der Repräsentationsfunktion nach, die räumliche Wirklichkeit wird weitestgehend adäquat repräsentiert. So finden sich im Lehrbuch neben passend gewählten Raumbeispielen von fast allen Kontinenten auch Beispiele aus dem Nahraum der Schülerinnen und Schüler (S. 148ff., 240, 259ff.). Erneut ist allerdings eine fehlende Verknüpfung zu bemängeln: So wird etwa auf S. 57 eine Vb-Wetterlage erklärt. Es erfolgt ein kurzer Hinweis auf die Auswirkungen für Sachsen. Fast 100 Seiten später sind Bilder des Elbehochwassers 2002 abgedruckt. Eine Verknüpfung dieser Seiten fehlt. Ähnlich verhält es sich mit S. 216-217: Kapitel 9 wird durch ein Schrägluftbild von Dresden eingeleitet; im Kapitel selbst findet die Landeshauptstadt jedoch keine weitere Erwähnung. Der Einbezug der Umwelt der Schülerinnen und Schüler ist somit gegeben und dient durchaus der Motivation, die konsequente Umsetzung erfordert jedoch zusätzliches Engagement der Lehrperson.
Aufgabenstellungen
Exemplarisch wurden für diese Rezension die Aufgaben aus Kapitel 4 untersucht, wobei der Analyse die einheitlichen Prüfungsanforderungen in der Abiturprüfung (EPA) zugrunde gelegt wurden. Auf 18 Seiten enthält das Kapitel 22 Aufgaben mit 23 Operatoren der EPA und vier weiteren Arbeitsanweisungen. Folglich enthalten einzelne Aufgaben mehrere Operatoren, wodurch diese Arbeitsaufträge unübersichtlich erscheinen. Nur vier der Operatoren sind dem Anforderungsbereich (AFB) I zuzuordnen, 12 dem AFB II. Die übrigen Operatoren und Arbeitsanweisungen entsprechen dem AFB III. Nur in Ausnahmen bauen die Aufgaben inhaltlich und entsprechend ihrer Anforderung aufeinander auf. Positiv hervorzuheben sind hier die Aufgaben auf Seite 111. Sie sind gemäß der Anforderungsbereiche gegliedert: An die Operatoren nennen und beschreiben (AFB I) schließen sich erklären und erläutern (AFB II) an. Schließlich folgt der Auftrag zur Bewertung (AFB III) einer Karikatur. Leider bildet diese Aufgabenkonstellation nicht nur in Kapitel 4 sondern im gesamten Lehrbuch die Ausnahme.
Fachwissenschaftliche Aktualität und fachdidaktische Positionen
Das Lehrbuch lässt weder ein modernes fachdidaktisches Konzept noch einen fachwissenschaftlichen Schwerpunkt erkennen. Es deckt ein breites Spektrum an Themen sowohl aus der physischen Geographie als auch aus der Anthropo- bzw. Humangeographie ab, auch gesellschaftspolitische und z. T. historische Aspekte werden angerissen. Der zu Beginn erwähnte Eindruck einer deduktiven Aufbereitung der Inhalte bestätigt sich nach genauer Betrachtung und steht einer schüler-, problem- und handlungsorientierten, multiperspektivischen Erarbeitung im Weg, da er sich auch in den zumeist geschlossenen Aufgabenstellungen niederschlägt. Anregungen für offene Unterrichtsformen bietet das Lehrbuch nicht, bestenfalls die kurze Methodenerklärung zur Podiumsdiskussion (S. 212) könnte derart ausgelegt werden. Die vereinzelten Aufträge zur Erstellung von externen Visualisierungen, wie Mindmaps, können als Element einer konstruktivistischen Didaktik verstanden werden. Dennoch wird das Vorwissen der Schülerinnen und Schüler durchweg nicht beachtet, was die Input-Orientierung als Ausrichtung des Lehrbuchs deutlich macht.